Neuköllns SPD-Bürgermeister hat Rotterdam besucht: "Dort sitzen alle an einem Tisch"
Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky würde Erfahrungen mit Mirganten aus Rotterdam und London gern auf Berlin übertragen.
taz: Herr Buschkowsky, Sie waren mit einer Delegation aus Neukölln in Rotterdam und London - beides sind Städte mit hohem Migrantenanteil. Sind Sie nun Experte für Integrationsfragen?
Heinz Buschkowsky: Nein. Ich bringe auch keine fertigen Programme mit. Wir waren drei Tage in zwei Weltstädten und hatten am Tag zwischen fünf und sieben Termine. Das heißt, man bekommt nur Flashlights. Diese Eindrücke gilt es nun auf eine mögliche Übertragbarkeit auf Berlin genauer abzuklopfen.
Was haben Sie festgestellt?
Egal ob es sich um Quartiere in Rotterdam, London oder Berlin handelt; egal ob um Surinamer, Antilianer, Marokkaner, Bangladesies oder um Türken und Araber - wenn sie Teil der Bildungsunterschicht sind, sind die sozialen Auffälligkeiten im Wohngebiet die gleichen.
HEINZ BUSCHKOWSKY, 59, ist
SPD-Mitglied und Bezirksbürgermeister von Neukölln.
Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), sitzt im Zuschauerbereich in der letzten Reihe und lauscht dem Schlagabtausch der Parlamentarier. Es geht um seine Person. Eigentlich hatte er am Montag im Innenausschuss von seiner Reise nach London und Rotterdam berichten wollen. Dort hatte sich Buschkowsky im Juni zusammen mit der Jugendrichterin Kirsten Heisig, der Neuköllner Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) und dem Neuköllner Migrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch über staatliche Maßnahmen informiert, die verhindern könnten, dass Stadtteile mit hohem Migrantenanteil kippen.
Zu der Anhörung kommt es nicht. SPD und Linke lehnen es ab, Buschkowsky über seine Eindrücke sprechen zu lassen. Dies soll nun erst nach der Sommerpause geschehen. "In weiten Teilen der Landespolitik findet Wirklichkeitsverweigerung statt", kommentiert Buschkowsky den Beschluss nach der Sitzung. Es klingt ziemlich enttäuscht.
SPD-Politiker äußern am Rande der Sitzung Unmut über den SPD-Bürgermeister, weil er nicht zuerst in den Parteigremien über seine Reise diskutiert habe. So sehe es nun aus, als müsse die Partei in der Integrationspolitik angetrieben werden. Im Innenausschuss bietet der SPD-Abgeordnete Thomas Kleineidam an, das Themas nach den Sommerferien zu behandeln. Die Aussprache müsse "ordentlich" vorbereitet sein. Der Linke-Abgeordnete Udo Wolf bekräftigt dies. Es würden Experten, nicht Reisende benötigt, wenn es um die Integrationspolitik gehe.
Der CDU-Sicherheitspolitiker Frank Henkel nennt es ein Armutszeugnis, wie Rot-Rot eine Debatte verweigere. Er halte Buschkowsky zwar für einen "politischen Windbeutel", doch wie die SPD mit ihrem Funktionsträger umgehe, sei einzigartig. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagt, der SPD sei das ganze Thema peinlich. Der FDP-Innenpolitiker Björn Jotzo äußert die Erwartung, dass sich die Koalition der parlamentarischen Debatte nicht werde entziehen können. Die FDP hatte Buschkowsky bereits kürzlich in ihre Fraktion gebeten. Für den 10. Juli ist der Bürgermeister in der Fachgruppe SPD Inneres und Recht eingeladen.
Welches von den Projekten hat Sie am meisten beeindruckt?
In Rotterdam wird der Schulbesuch sehr viel ernster genommen. Die Zeugnisse werden nur an die Eltern ausgegeben. Das finde ich eine interessante Idee. An jeder Schule gibt es ein Elternzentrum, das jeden Tag von 8 bis 16 Uhr geöffnet ist. Da kann man Sprachen lernen oder häkeln oder mit der Sozialarbeiterin Sorgen besprechen. Mindestens ein Drittel des Lehrerkollegiums hat die gleichen Abstammungen wie die Schüler. Das wäre bei uns auch sinnvoll.
In Rotterdam gibt es eine polizeiliche Eingreiftruppe, die ohne richterlichen Beschluss Wohnungen durchsuchen kann. Was halten Sie davon?
Dabei handelt es sich nicht um eine Eingreiftruppe, sondern um ein professionelles Team, zu dem auch die Polizei gehört. Wird es nicht freiwillig in die Wohnung gelassen, braucht es einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, genau wie bei uns. Der wird in Rotterdamm allerdings sofort erteilt.
Und was halten Sie davon?
Ich setze mich dafür ein, dass wir solche Zustände nicht bekommen, dass es solche Gesetze braucht. Das Rotterdamer Gesetz ist doch gemacht worden, weil die Leute sich nachts nicht mehr auf die Straße getraut haben. Die Frage ist: Muss es wirklich erst so weit kommen, dass man tief in die bürgerlichen Rechte eingreift, um die Stadt wieder lebenswert zu machen?
Ist es in Neukölln denn so schlimm?
Es geht hier nicht nur um Neukölln. Das ist in Kreuzberg und Moabit nicht anders. Schauen Sie auf die aktuelle Schuldebatte in Kreuzberg. Rotterdam und London beweisen, dass dies nicht das Problem einer Stadt ist.
Was aus Rotterdam wäre denn übertragbar?
Die machen eine Menge interessanter Dinge, die prüfenswert sind. Es gibt dort eine Einrichtung für 60.000 Einwohner, die heißt Transfer Information Point (TIP). Dort sitzen Mitarbeiter von Polizei, Schul-, Jugend und Gesundheitsämtern Schreibtisch an Schreibtisch. Sie tragen alle Informationen über Auffälligkeiten der Menschen in diesem Sozialraum zusammen. Dann verabreden sie, wer sich wie um das Problem kümmert. So eine Form der Vernetzung und Kooperation gibt es bei uns schlichtweg nicht.
Aber das wird doch immer behauptet.
Ja, aber das stimmt nicht. Wir haben in den Behörden eine völlige Versäulung. Jeder macht seins und achtet eifersüchtig darauf, dass ihm möglichst niemand in die Suppe spuckt. Ich habe mir den Zorn des Polizeipräsidenten Dieter Glietsch zugezogen, weil ich gelobt habe, dass sich die Polizei in Rotterdam und in London auch für das zwischenmenschliche Klima verantwortlich fühlt, nicht nur für die Straftaten.
Aber die Berliner Polizei sitzt doch in vielen Kiezen mit an den runden Tischen.
Das Sitzen am runden Tisch ist nicht die Lösung eines praktischen Problems. Auch nicht der Verweis auf Ordnungsamt und Sozialarbeit. In Rotterdam wie in London lautet die Philosophie: Wir sind eine Einheit und haben das gleiche Ziel.
Warum war denn eigentlich kein Polizist bei Ihrer Tour dabei?
Wir hatten Herrn Glietsch angeboten, einen Polizeihauptkommissar mitzunehmen, der die Jugendkriminalitätsszene in Neukölln sehr gut kennt. Das wurde abgelehnt, er war nicht standesgemäß. Stattdessen sollte eine Beamtin des höheren Dienstes mitfahren. Das wollte ich nicht, weil das genau das war, was ich in Berlin beklage.
Was beklagen Sie denn?
Es gibt einfach viel zu wenig Offenheit. Es wird nicht geschaut, was der Sache dient, sondern ob es hierarchisch angemessen, parteipolitisch korrekt und im geordneten Verfahren vorgetragen ist. So war das wohl auch heute im Innenausschuss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!