Rettungsversuch für die WTO-Runde: Heikle Diplomatie oder Kuhhandel?
Die US-Delegation spielt in der Agrardebatte mit gezinkten Karten, die EU-Vertreter sind zerstritten. Kann die Doha-Runde da noch eine Chance haben?
Vor Beginn der Welthandelsgespräche ist es zu einem diplomatischen Eklat gekommen. Brasiliens Außenminister Celso Amorim warf den Industriestaaten eine Täuschungstaktik vor, die an NS-Propagandaminister Joseph Goebbels erinnere: "Goebbels sagte, wenn man eine Lüge häufig genug wiederholt, dann wird sie zur Wahrheit." Die USA verurteilten Amorims Äußerungen in aller Schärfe. Die US-Handelsbeauftragte Susan Schwab ist Tochter von Holocaust-Überlebenden. Amorims Sprecher bat Schwab um Entschuldigung.
Für Pascal Lamy schlägt heute erneut "die Stunde der Wahrheit". Zum wiederholten Male in den letzten Jahren bemüht der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) diese abgedroschene Phrase, um Druck zu machen für einen Abschluss der im November 2001 in der Hauptstadt Katars eingeläuteten Doha-Verhandlungsrunde.
Doch die Chance für einen Durchbruch ist gering. Den tiefsten Graben zwischen den 152 WTO-Mitgliedern gibt es nach wie vor in der Agrarpolitik. Zwar haben sich die USA, die EU und andere Industriestaaten inzwischen zu einer Reduzierung von Exportsubventionen und internen Behilfen an ihre Bauern bereit erklärt. Aber die Angebote gehen der Gruppe der 20 führenden Schwellen- und Entwicklungsländer unter Führung von China, Indien, Brasilien und Südafrika (G 20) nach wie vor nicht weit genug.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Konzessionsbereitschaft, die die Handelsbeauftragte der Bush-Regierung, Susan Schwab, in Genf demonstriert, ein "ungedeckter Scheck" ist. So jedenfalls lautet der Vorwurf US-amerikanischer Nichtregierungsorganisationen und Genfer Diplomaten anderer WTO-Staaten. "Wir haben schon unsere Bereitschaft signalisiert zu Marktöffnung und Beihilfendisziplin in großem Umfang", sagte Schwab. Doch die angekündigten Einschnitte bei den Agrarsubventionen stehen in deutlichem Widerspruch zum Farmgesetz der USA. Dieses Gesetz, das den Farmern großzügige Beihilfen zusichert, hat der US-Kongress seit Ende 2007 schon zweimal bestätigt - jeweils mit parteiübergreifender Zweidrittel- bis Dreiviertelmehrheit. Damit wäre auch ein Veto von Präsident Bush nicht zwecklos. Die Autorität des Präsidenten, internationale Handelsverträge auch ohne Zustimmung des Kongresses abzuschließen war ohnehin bereits zum 30. Juni 2007 abgelaufen.
Ähnliche Probleme hat die EU. Ihr ursprünglich gemeinsames Angebot an die anderen WTO-Staaten zur Reduktion von Agrarbeihilfen und Exportsubventionen wird inzwischen von Frankreich und Irland nicht mehr mitgetragen. Auf einer Krisensitzung der EU-Wirtschaftsminister am vergangenen Freitag in Brüssel blieb der Konflikt ungelöst. Die Regierung in Dublin droht mit einem Veto, sollte EU-Handelskommissar Peter Mandelson in Genf trotzdem noch die frühere gemeinsame EU-Position vertreten.
"Aus deutscher Sicht" würde sich Mandelson mit dieser Position hingegen "innerhalb seines Mandats bewegen", erklärte Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Ende letzter Woche gegenüber Journalisten in Genf. Neben Pfaffenbach werden zeitweise auch Wirtschaftsminister Michael Glos und Landwirtschaftsminister Horst Seehofer an den WTO-Verhandlungen teilnehmen.
Ohne größeres Entgegenkommen der Industriestaaten im Agrarbereich ist die G 20 und darüber hinaus die große Mehrheit aller Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ihrerseits nicht bereit, die Handelsschranken für Industriegüterimporte aus den USA, der EU und anderen Staaten des Nordens zu senken. Auch für die Öffnung der Märkte des Südens für Dienstleistungsunternehmen aus dem Norden, an dem vor allem die EU ein erhebliches Interesse hat, gibt es ohne eine Einigung in der Agrarfrage keine Chance.
Sollte die auf maximal eine Woche anberaumte Verhandlungsrunde in Genf keinen Durchbruch errringen, könnte dies das endgültige Aus für die Doha-Runde bedeuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!