piwik no script img

Web-Lexikon MetapediaDas Nazi-Nachschlagewerk

Mit der Wikipedia-Software kann jeder seine eigene Enzyklopädie basteln. Metapedia nutzt sie, um rechtsradikales Gedankengut zu verbreiten.

Der Wolf im Schafspelz: Metapedia. Bild: screenshot de.metapedia.org

Sie sieht der echten Wikipedia zum Verwechseln ähnlich. Aber wer an den richtigen Artikel gerät, könnte auch glauben, hier hätte sich ein bekanntes Satiremagazin einen schlechten Scherz erlaubt. Beides ist falsch - unter dem Deckmantel seriöser Informationsvermittlung verbreitet das Onlinenachschlagewerk "Metapedia" ernsthaft rechte Ideologie. Eine Zeit lang wurde es kaum aktualisiert. Doch seit kurzem kommt wieder Bewegung in die Sache.

metapedia über ...

den "sogenannten deutschen Angriff auf Polen" 1939: Dieser "Angriff" war im engeren Sinne eine Verteidigungsmaßnahme gegenüber Polen, um die ständigen Grenzprovokationen Polens endlich wirksam zu unterbinden. Im Zuge dieser Übergriffe kamen tausende Volksdeutsche ums Leben oder flohen aus ihrer angestammten Heimat. Das polnische Großmachtstreben nach dem ersten Weltkrieg hatte für die Deutschen im Grenzland zu Polen und den durch Polen annektierten deutschen Gebieten mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung auf Grundlage des sogenannten Versailler Vertrages bis zu diesem Zeitpunkt unerträgliche Ausmaße angenommen.

den Holocaust: Mit dem Begriff Holocaust verbindet sich heute die durch Strafrecht und Erziehung vorgegebene Ansicht an die geplant und gezielt durchgeführte Ermordung von bis zu sechs Millionen Juden und weiterer Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus als Systemfeinde ausgesondert wurden. Als historische Tatsache wird dies jedoch in geschichtsrevisionistischen Kreisen zum Teil geleugnet.

das Deutsche Reich: Das Deutsche Reich ist ein im Jahr 1871 gegründeter mitteleuropäischer deutscher Staat. Dieser ist derzeit allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.

den Zweiten Weltkrieg: Der Zweite Weltkrieg war der zweite auf globaler Ebene geführte Krieg sämtlicher Großmächte des 20. Jahrhunderts und stellt den bislang größten und verlustreichsten Konflikt in der Menschheitsgeschichte dar. Zugleich war dieser Krieg in Europa der größte Kampf des deutschen Volkes um seine Freiheit und Selbstbestimmung, den das Deutsche Reich letztendlich gegen eine Übermacht an Feinden unterschiedlichster Interessen und Ideologien nach einem beispiellosen und heldenhaften Abwehrkampf verlor.

Metapedia existiert seit dem 15. Mai 2007. Am vergangenen Freitag wurde der 500. Artikel hochgeladen, heute sind es bereits über 600. Diese Artikel sehen harmlos aus, wie normale Seiten bei Wikipedia eben. Denn Metapedia hat das gleiche Layout, das gleiche Design, das gleiche Prinzip wie das große Original: Jeder kann mitmachen, alle sollen Beiträge schreiben. Dafür wird auch auf der Hauptseite auffällig geworben. Wer hier genau hinsieht, weiß schon, aus welcher Richtung der Wind weht. Denn: Keine E-Mail, sondern eine E-Post soll schreiben, wer Autor werden will. Eine E-Post also - um die Reinheit der deutschen Sprache zu bewahren, vermeidet die rechte Szene und vor allem ihr publizierender Teil tunlichst Anglizismen im deutschen Sprachgebrauch. Das gilt eben auch für die Nutzung des "Weltnetzes".

Dass auf de.metapedia.org alles nach seriöser Internet-Enzyklopädie aussieht, ist beileibe kein Kunststück: MediaWiki, das Programm, mit dem das Original zusammengebaut wurde, steht zum kostenlosen Download im Internet. So entstanden viele kleine Wikis zu speziellen Themen - indiepedia.de etwa beschäftigt sich mit Independentmusik, wikitravel.org mit Reisen. Auch die Metapedia wurde mit MediaWiki programmiert und verkündet auf der Startseite, sie möchte "Themen ansprechen, welche im Heute absichtlich verklärt werden, um das Morgen zu beeinflussen". Vor einigen Monaten konnte man dort noch lesen, Metapedia sei "dem pro-europäischen Kulturkampf gewidmet" und richte sich an diejenigen, "die eben nicht für Multikulti und Globalisierung" sind. Heute steht da, die Seite setze ihren "Schwerpunkt auf Themen, die normalerweise nicht in anderen Weltnetz-Enzyklopädien behandelt werden und versteht sich als Alternative".

Es ist eine braune Alternative. Ein überwältigend großer Anteil der Beiträge behandelt das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Da wird ausführlich dargelegt, dass der Zweite Weltkrieg durch eine jüdische Kriegserklärung an Deutschland begonnen habe. Dass der "sogenannte deutsche "Angriff auf Polen" 1939" nur eine Maßnahme gewesen sei, um das "deutsche Volk" vor den polnischen Provokationen zu schützen. Da werden ellenlange Passagen aus "Mein Kampf" zitiert, um zu belegen, dass Hitler den Holocaust in Wirklichkeit ja nie geplant, und ergo auch gar nicht so richtig gewollt haben könne; ein völlig zusammenhanglos dargestelltes Zitat, ausgerechnet von Kurt Tucholsky, soll suggerieren, dass die Benutzung von Giftgas eigentlich auch eine jüdische Idee gewesen sei. Verschwiegen werden die Verbrechen der Nazi-Granden wie Hermann Göring, deren Artikelseiten lieber mit schmeichelhaften Fotos aufgehübscht werden. Und so geht das weiter: Der Reichstagsbrand von 1933 wird gänzlich unkommentiert als Brandstiftung des Niederländers Marius von der Lubbe dargestellt. Die alliierten Bombenangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sind für Metapedia "angloamerikanische Terrorbomber" und die Bundesrepublik Deutschland an sich sei ohnehin nichts weiter als ein Besatzungskonstrukt, ein Übergangszustand, nach dessen Auflösung das Deutsche Reich als "Viertes Reich" wiederhergestellt werden solle. Metapedia schreckt nicht einmal davor zurück, etwas vom Lebensraum des "deutschen Volkes" zwischen Maas, Memel, Etsch und Belt zu faseln.

Doch verleihen Layout und Stil den Inhalten eine vermeintliche Seriosität. So taucht die rechte Ideologie oft erst auf den zweiten Blick auf. Das liegt daran, dass die Macher ganz gerne komplette Artikel aus Wikipedia übernehmen und nur bestimmte Stellen verändern, Fakten weglassen oder vermeintliche Wahrheiten hinzufügen. Beiträge über Politiker wie Helmut Schmidt oder Daniel Cohn-Bendit verstärken den Eindruck, man habe es hier mit einer normalen Online-Enzyklopädie zu tun. Unter den Zitaten zu der jeweiligen Persönlichkeit finden sich aber wieder nur Äußerungen zu Einwanderungsfragen, die, so aus dem Zusammenhang gerissen, wie sie hier präsentiert werden, auch ganz gut in eine rechte Argumentation passen würden.

Dass eine subtile Vermittlung von rechter Ideologie vor allem Jugendliche mit altersbedingten Orientierungslosigkeiten ansprechen kann, liegt auf der Hand. Das haben sich offenbar auch die Jungen Nationaldemokraten in Sachsen gedacht. In den letzten Wochen wurden verstärkt Artikel mit Inhalten hochgeladen, die direkt mit der sächsischen NPD-Jugendorganisation zu tun haben - die Begriffsdefinition von "Demokratie" ist sogar eins zu eins von npd.net kopiert worden, inklusive Schreibfehler (der heißt Huizinga, liebe Nazis!). Das legt den Schluss nahe, dass die JN in der Autorenschaft an der Wiederbelebung von Metapedia beteiligt ist. Dass man bei der JN Sachsen landet, wenn man metapedia.de eingibt statt de.metapedia.org - auch.

Bisher ist niemand auf die Idee gekommen, Metapedia zu verklagen. Wahrscheinlich auch, weil die Seite im letzten Jahr lange brachlag und erst jetzt richtig aufgebaut wird. Bei Wikipedia kannte man den Fall zwar schon, wusste aber nicht, dass Texte von Wikipedia-Autoren kopiert und in einen braunen Kontext gestellt wurden, sagt Arne Klempert, der Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland. Das habe zumindest urheberrechtliche Relevanz. Doch ist es schwierig, herauszufinden, wen man überhaupt belangen soll. Nach Recherchen des Neonazi-Spezialisten Mathias Brodkorb liegen alle Metapedia-Seiten auf einem Server in Schweden, der von der rechtsextremen NFSE media AB betrieben wird.

Ansonsten ist unklar, wer hinter der ganzen Sache steckt. Das Impressum ist leer. Metapedia selbst ist Teil eines Netzwerkes mit Ablegern in ganz Europa. Der Name "Metapedia" ist eine Anspielung auf einen zentralen Begriff der Neuen Rechten: "Metapolitik" ist die Theorie der Politik, die nicht von einem Staatswesen ausgeht, sondern als Denken, als Geist verstanden wird. Für die Szene der Neuen Rechten ist dieses Denken ("Volk" statt "Staat") die Grundlage für die Idee vom proeuropäischen Kulturkampf. Die Stiftung "Kontinent Europa" des schwedischen Neonazis Patrik Brinkmann hat einen hohen Stellenwert in der Szene. Auf ihrer Website ist Metapedia prominent verlinkt. Mehr weiß man nicht.

Was man weiß: Metapedia wächst und wächst. Wenn man Glück hat, stößt man in dem Wust aus subtiler Propaganda und dummdreisten Behauptungen auf Sachen, die so verquer sind, dass man sich schieflachen möchte. Die Schlussfolgerung Albert Speers, dass Hitler eigentlich gar kein richtiger Ditkator sein könne, weil er den ganzen Tag über lieber esse, Tee trinke und Monologe im Beisein seiner Minister halte, lange aufbliebe und bis zum Mittag schlafe, ist so ein Brüller. Dann geht man zur Kontrolle auf Wikipedia - und da steht das auch.

Merkwürdig.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

10 Kommentare

 / 
  • P
    Pateyo*

    Wenn mir etwas auf Wiki'verwunderlich vor-kommt, dann schau'ich gern'mal'beiMeta'nach, um dasBild'zu-erweitern. Allerdings'muß man auch dort'skeptisch bleiben; weil es eben von Nationalisten überWacht wird, dieSelbst Hitler arg kritisieren würde.

  • S
    Sebastian

    @ Thomas Mertens

     

    Zumindest ist Metapedia nicht besser oder schlechter als Wiki in politischen Dingen. Da gebe ich ihnen recht.

     

    In der Mitte wird irgendwo die Wahrheit liegen.

     

    Wenn ich mir alleine die Lügen gegen den Irak anhöre, die 2 mal zu einem Krieg geführt haben, dann kann ich mir schon vorstellen wie wahr das Geschichtsbild ist, dass uns die amis aufgedrückt haben.

  • TM
    Thomas Mertens

    Ich habe mir einige Artikel auf Metapedia durch gelesen. Und als Student der Geschichte, Studium in Großbritannien, kann ich nur sagen. Verbogen und Gelogen wird in deutschen Medien. Nicht aber auf Metapedia.

  • FK
    Fr. Kish

    Bin versehentlich dorthin geraten - habe den Film "Im Toten Winkel" gesehen und ein paar Begriffe gegoogelt - man kennt ja doch nicht alle Verbrecher auswendig. Und da wusste ich anfangs gar nicht, was das für ein verqueeres Geschreibsel ist!

    Ghört sofort vom Netz geholt! Wenn jemand keine wirkliche Ahnung hat, der kann sich von so einem Grind schon verwirren lassen!

  • SK
    Sebastian Knoth

    " Wie kann man da absolut sicher sein, dass all' das stimmt, was heute über die Zeit von 1933 bis 1945 bei uns offiziell zu finden ist?"

     

    Sehe ich auch so, es ist alles mit Vorsicht zu genießen. Man stelle sich vor, Hitler hätte den Krieg gewonnen...würden wir dann auch alles so vorbehaltslos glauben, was in den Geschichtsbüchern steht?

     

    Wenn ich mir die Lügen über den Irak anschaue...Brutkastenlüge...Massenvernichtungswaffen usw...und viele andere Dinge mehr...dann kommen mir schon manche Zweifel ob das alles so stimmt.

     

    Die Sache mit der Lusitania im ersten Weltkrieg...die Propaganda gegen Deutschland, etwa das wir belgische Kinder braten usw...

  • H
    Hans

    Ich hab mir das grade mal angesehen und musste bei den meisten Artikel prusten, hätte ich nicht gedacht, aber die unfreiwillige Komik ist besser als Satire.

  • T
    Test

    Warum wird hier eigentlich explizit auch noch auf die Seiten verlinkt?

    Linkpower und so...

    Traurig, TAZ, traurig.

  • K
    karlwoe

    Schade, dass sich die TAZ hier so einseitig, 'deutsch'-mainstrem-mäßig gibt.

     

    Herr BENJAMIN WEBER sollte sich mal (selbst) bei Wiki kundig machen, wie auch in allen anderen Bereichen, wo es wirklich *seriöse* Quellen zu dem gibt, was unsere Kinder immer noch über deutsche Vergangenheit lernen müssen.

     

    Allerdings kann man aus Originalquellen alles so herausfiltern, dass es zu dem passt, was unsere Vergangenheit gewesen sein soll. Aber wer hat sie wirklich 'gebastelt' Zumindest nicht 'wir' Deutschen alleine - wie es in anderen Nationen üblich ist. Denn zu der Zeit, als diese deutsche Geschichte geschrieben wurde, war Deutschland von 4 Mächten besetzt und alles was hier geschah, von denen kontrolliert. Wie kann man da absolut sicher sein, dass all' das stimmt, was heute über die Zeit von 1933 bis 1945 bei uns offiziell zu finden ist?

     

    Und der Ausdruck "Nazi" ist schon entsprechend suggestiv. Denn Nazionalsozialismus ist ganz etwas anderes. Hier ging es um deutschen *Menschen* in Deutschland - erst einmal, aber auf keinen Fall um Menschenverachtendes.

     

    Insofern ist es gut, dass es dieses Gegenstück zu Wiki gibt. Denn das was da steht ist auch nicht immer das 'Gelbe vom Ei'.

  • R
    Raffael

    Jetzt hatt die Metapedia schon fast 10 000 Seiten! Wann endlich greift da jemand ein!

  • D
    DF2K2

    Wann werden die Menschen endlich einmal sehen, dass sich Wahrheit und Meinungspluralismus ab einem bestimmten Punkt zu widersprechen beginnen... Jedenfalls ist die Holocaustleugnen nicht zu diskutieren, da sie nicht von Fakten gestützt wird, sondern nur durch Meinungen, und die meisten Meinungen sind leider alles andere als wahr, da die meisten Meinungen so dumm sind, wie ihre Besitzer.

    Glaub mir "Selberdenker", die Wahrheit hat immer einen harten Kampf vor sich... und ihre Feinde sind selbst noch nach dem Sieg zahlreich, als hätte jemals die Wahrheit gesiegt, nur weil sie wahr gewesen sei...