Kulturgeschichte per Schiff: Literarisches auf der Spree

Mit der Schiffsfahrt "Sunset in Berlin" hat die Geschichtswerkstatt ihr Publikum gefunden. Texte von Bertolt Brecht bis Kathrin Passig entzücken auf der "Spreeperle" Jung und Alt, Berliner und Touristen gleichermaßen

"Sunset in Berlin", und das auch noch auf der Spree. Da denkt man unwillkürlich an lauschige Sommerabende, romantische Sonnenuntergänge und jede Menge Touristen.

"Sunset in Berlin", das kann aber auch spannend sein und manchmal sogar gruselig. Dann nämlich, wenn die Berliner Geschichtswerkstatt eine ihrer Themenfahrten mit der "Spreeperle" veranstaltet. Der Sonnenuntergang wird da plötzlich zum literarischen Abend inklusive Krimigruseln.

Zum Beispiel mit Kathrin Passig. Da fliegen die Orte und Worte wild durcheinander, wenn es heißt: "Das ist die Weser, äh, die Spree, die fließt hier in den Bodensee." Das ist andere Sperrprosa als die, die man sonst auf den Fahrgastschiffen zu hören bekommt. Die Lacher sind der Schriftstellerin sicher, und damit auch dem Veranstalter.

Drei Stunden dauert die Sunsetfahrt und dreißig lange Spreekilometer. Los gehts am Paul-Löbe-Haus, die Spree hinab bis Charlottenburg und dann in den Landwehrkanal. "Bahnhof, flugs aufs Dach! Dach fällt nicht, Betrieb fällt flach", heißt es aus einem Gedicht von Martin Betz - da fährt die Spreeperle gerade am Hauptbahnhof vorbei.

An der Mühlendammschleuse, erzählt Jürgen Karwelat, Mitbegründer der Geschichtswerkstatt, dass es da einmal ein Gefängnis gegeben hat. Er zitiert aus einem Text von Andreas Hoffmann. Und die Leute gehen mit: "über die Mauer über die Mauer". Während die Gedichte über die Lautsprecher laufen, steigt nicht nur die Stimmung, sondern auch der Getränkekonsum.

Auch der Schauspieler Ingo Albrecht ist auf dem Dampfer. Normalerweise hört man ihn in Hollywoodfilmen. Doch diesmal schippert er auf der "Spreeperle", gibt mit seiner Stimme den Texten die entsprechende Note. Als er das Gedicht "Besuch vom Lande" von Erich Kästner liest, weiß er den ernsten Ton zu geben, der dem Text über das hektische Leben in der Großstadt angemessen ist. Rezitiert er einen Krimi, lässt er die Stimme ruhiger und mysteriöser klingen. Die fiktive Leiche an der Spree könnte ja wieder auferstehen. Bertold Brecht erklingt aus dem Rekorder. "Die Dreigroschenoper" ergreift das Publikum.

Überhaupt das Publikum. Jung mischt sich mit Alt, Berliner treffen auf Touristen. Der Textmix auf der Sunsettour hat offenbar sein Publikum gefunden. Und manchmal gibts sogar ein Aufstehverbot. Streckt man dann die Arme hoch, kann man die Brücke greifen, unter der man gerade durchfährt. Passend zu den Krimitexten hallen die Fahrgäste und geben geheimnisvolle Laute von sich. Die "Spreeperle" hat sie alle längst verzaubert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.