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Berliner Entwicklungshilfe in PeruDie Welt rettet man nicht in Flipflops

Magdalena Siedlaczek lernt am Berliner Seminar für Ländliche Entwicklung, wie man Armut und Hunger in der Welt bekämpfen kann. Jetzt wendet sie ihr Wissen an - und berät Kleinbauern in Peru.

BERUF ENTWICKLUNGSHELFER

Das Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) ist

das älteste Institut für entwicklungspolitische Nachwuchsförderung in Deutschland. Organisatorisch gehört es zur Humboldt-Universität, es nimmt aber nicht am normalen Lehrbetrieb teil. Finanziert wird die Einrichtung vom Land Berlin, der Humboldt-Universität und dem Entwicklungshilfeministerium. Die Studieninhalte wie Projektplanung, Krisenprävention und Finanzmanagement werden von externen Dozenten aus der Praxis vermittelt. Die meisten Kurse können in begrenztem Umfang auch von Gasthörern besucht werden. Außerdem gibt es im Sommer ein englischsprachiges Trainingsprogramm für ausländische Fachkräfte. Ein Kernelement der Ausbildung ist das dreimonatige Auslandsprojekt. Bei diesen Projekten untersuchen die Teilnehmer im Auftrag von Entwicklungshilfeorganisationen

etwa die Rolle von Kinderarbeit in Ghana. Bewerbungsschluss ist der 31. Juli des Vorjahres. TIL

Weitere Infos: www.berlinerseminar.de

Vorsichtig legt Magdalena Siedlaczek ihren schwarzen Blazer über das eingewickelte Moskitonetz. In ihrem Zimmer stapeln sich säuberlich Umzugskartons und Haufen mit Wanderstiefeln, Moskitonetz, Kopflampe. In wenigen Tagen wird die 29-jährige Fachkraft in der Entwicklungszusammenarbeit als Gutachterin die Interessen der deutschen Bundesregierung in Peru vertreten. "Da kann ich nicht in Flipflops auflaufen." Die Politikwissenschaftlerin ist Stipendiatin am Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE), einer Einrichtung der Humboldt-Universität und Kaderschmiede für deutsche Entwicklungshelfer.

Hungerrevolten, Klimawandel, Artensterben und Bürgerkrieg: Katastrophen, die viele Menschen nur aus den Medien kennen, sind Siedlaczeks tägliches Brot. "Im ganz Kleinen" möchte sie für eine bessere Welt ohne Hunger kämpfen - weil sie glaubt, dass große Veränderungen in vielen Ländern nicht möglich sind. Und sie möchte nach Afrika: "Dort liegt die Zukunft, da wird Entwicklungszusammenarbeit am dringendsten benötigt."

Aber auch in Peru gibt es für die junge Frau eine Menge zu tun: In den nächsten drei Monaten wird Siedlaczek Kleinbauernorganisationen besuchen, die versuchen, ihren Mitgliedern trotz schlechter Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao das Überleben zu sichern. "Wir wollen herausfinden, welche Form der Unterstützung aus Deutschland Sinn haben", erklärt sie. Dafür sollen Gruppendiskussionen mit den Kleinbauern geführt werden. In Workshops werden zusammen mit den Mitarbeitern der Bauernorganisationen die Stärken und Schwächen ihrer Arbeit durchleuchtet. Anschließend wird ein dicker Bericht für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) verfasst.

Der finanziert seit Jahren deutsche Fachkräfte, die in den lokalen Organisationen zum Beispiel die Buchhaltung oder die Weiterbildung des Personals machen. "In Peru gibt es allerdings eine ziemlich unübersichtliche Menge von lokalen Hilfsprojekten und darunter auch einige schwarze Schafe", erzählt Siedlaczek. Die seien manchmal nicht sehr effizient oder sie seien vor allem gegründet, um ausländische Hilfsgelder zu akquirieren. "Jetzt will der DED von uns wissen, wie er seine Mittel in Zukunft besser einsetzen kann."

Dass sich eine Politikwissenschaftlerin am SLE mit Landwirtschaft beschäftigt, ist längst nichts Ungewöhnliches mehr. Früher musste man diplomierter Bauer sein, um an dem Berliner Studiengang aufgenommen zu werden. Heute absolvieren auch viele Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler das Programm. Der Grund ist einfach: Ackerbau und Viehzucht allein können das Armutsproblem in der Welt nicht lösen - das ist seit einiger Zeit Konsens in der Fachwelt. In den vergangenen sechs Monaten hat sich Magdalena Siedlaczek daher auch mit so unterschiedlichen Themen wie Nothilfe, Konfliktmanagement und Finanzbuchhaltung beschäftigt.

Jetzt muss sie beweisen, dass sie die neu erlernten Methoden und Kenntnisse in der Praxis souverän anwenden kann. Peru kennt die Naturliebhaberin bisher nur von einem Treckingurlaub mit ihrem Freund. "Der schönste Urlaub meines Lebens", schwärmt sie. Weniger als die fremde Natur und Kultur stresst Siedlaczek daher der Gedanke an eventuelle Konflikte in ihrem Team. In den nächsten drei Monaten wird sie mit vier Kollegen des SLE und einer Vorgesetzten das Büro und vielleicht sogar das Zimmer teilen. "Wir werden unter starkem Druck sehr viel arbeiten müssen. Vor diesen Stresssituationen im Team habe ich Angst."

Um sich in Peru nicht gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, haben Siedlaczek und ihre Kollegen einen Vertrag aufgesetzt. "Darin steht, dass wir im Fall von Konflikten möglichst bald und offen darüber reden; außerdem wollen wir auf Pünktlichkeit achten und dass keine Konkurrenz untereinander entsteht", erzählt die zierliche junge Frau.

Wenn Magdalena Siedlaczek zurückgelehnt auf ihrem Sessel inmitten ihrer Reiseutensilien ihre Worte mit ruhigen Gesten unterstreicht, dann glaubt man der Politikwissenschaftlerin gerne, dass sie diplomatisch mit delikaten Situationen umgehen kann. Das könnte auch mit ihrer persönlichen Geschichte zusammenhängen. Als das Telefon klingelt, wechselt ihre Sprache plötzlich zum Polnischen.

Mit elf Jahren kam Siedlaczek mit ihren Eltern aus Gliwice nach Titisee-Neustadt im Schwarzwald. Dort lernte sie Deutsch und sich in einer fremden Kultur zurechtzufinden. Irgendwann beschloss sie dann, Entdeckerin zu werden und der Provinz für immer den Rücken zu kehren. Mit ihrer Spezialisierung in der Entwicklungszusammenarbeit hat sie sich also einen Kindertraum erfüllt. "Meine Eltern nehmen meine Reiselust mit Fatalismus, und die meisten alten Freunde sind begeistert, dass ich es aus Titisee-Neustadt herausgeschafft habe", schmunzelt Siedlaczek. Ihre Leidenschaft für Lateinamerika ist dann beim Grundstudium in Tübingen entflammt.

Vom SLE fühlt sich Siedlaczek für ihre Arbeit in Peru gut vorbereitet. Für sie stimme das Gesamtkonzept: "Ein Häuflein Menschen muss ein Jahr lang so aufeinandergedrängt leben und arbeiten, dass jeder Einzelne zwangsläufig Soft Skills entwickelt." Als nach sechs Wochen Nacht- und Wochenendarbeit zur Vorbereitung des Peruprojekts alle ausgelaugt gewesen seien und sich nicht mehr vertrugen, habe es zum Beispiel einen mehrtägigen Kurs zu Konfliktmanagement gegeben. "Jeder gab dabei einen kleinen Einblick in seine Psyche. Damit man weiß, wie man in Extremsituationen miteinander umgeht."

Bei so viel Lob fängt auch Siedlaczeks alter Freundeskreis langsam Feuer für das Institut. An ihrem Studienort Tübingen säßen bereits Nachahmer in den Startlöchern, die sich auch bewerben wollen, erzählt sie. Der einjährige Aufenthalt in der Szenestadt Berlin dürfte den Reiz noch vergrößern. Auch Siedlaczek hatte sich sehr auf Events wie Berlinale, EM-Fanmeile oder Obama-Besuch gefreut. Bald habe sie jedes Wochenende Besucher aus Tübingen auf der Gästecouch beherbergt, erzählt sie. Schließlich habe sie das SLE so gefordert, dass sie das kulturelle Überangebot kaum noch genutzt habe.

"Berlin ist bisher die erste Großstadt, die mir gefallen hat." Wenn das Aufbaustudium im Dezember vorbei ist, möchte Siedlaczek trotzdem eigentlich erst einmal für längere Zeit in einem Entwicklungsland arbeiten. Jobs gibt es zwar auch in den Zentralen der Hilfsorganisationen in Deutschland, aber: "Die realen Arbeitserfahrungen in den Entwicklungsländern sind einfach unbezahlbar, um die Hilfsprojekte effektiv betreuen zu können," findet die angehende Expertin.

Doch das Leben als Jetsetterin hat auch Nachteile: Die mit wechselnden Vor-Ort-Einsätzen und dem Beruf überhaupt einhergehende Wurzellosigkeit empfindet Siedlaczek als großes Wagnis. Ihr Freund lasse sich zwar als Lehrer gut in die Fremde mitnehmen, aber genau habe man darüber noch nicht gesprochen. "Mit 20 wäre ich sofort überallhin gegangen, aber wenn es auf die 30 zugeht, ändert man sich. Familienplanung bekommt auf einmal Bedeutung," erklärt sie ihre gemischten Gefühle.

"Ob ich nach dem Studium ins Ausland gehe oder nicht, das entscheide ich, wenn die Jobangebote vorliegen", sagt Siedlaczek. Bis dahin möchte sie jedenfalls so lange wie möglich in Berlin bleiben. "In den letzten sechs Monaten habe ich eigentlich gar nicht in Berlin gewohnt - sondern am SLE." Und jetzt ist sie erst mal in Peru.

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1 Kommentar

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  • FM
    Ferenc Magai

    Das SLE als Kaderschmiede zu bezeichnen entspricht wohl nicht der Wirklichkeit. Wo sind denn die Absolventen des lezten Jahrgangs beschäftigt? Die meisten erst einmal längere Zeit beim Arbeitsamt. Beim DED oder sogar GTZ die allerwenigsten. In Ministerien schon gar nicht. Das SLE wird seinem Anspruch nicht gerecht, wenn es nicht in der Lage ist sein Kader auch unterzubringen.