Bosniakin über Karadzic-Auslieferung: "Wir machen weiter"

Über die Auslieferung von Radovan Karadzic hat sich Bakira Hasecic, Kriegsopfer und Bosniakin, so gefreut, dass sie nicht schlafen konnte.

taz: Frau Hasecic, wie ist es Ihnen ergangen, als Sie die Nachricht erhielten, dass Radovan Karadzic tatsächlich nach Den Haag überstellt wird?

Bakira Hasecic: Ich saß gebannt vor dem Fernseher, habe überhaupt nicht geschlafen. Es ist für mich ein Vergnügen, all die in Handschellen zu sehen, die verantwortlich sind für den Genozid, für diese unfassbaren Verbrechen, speziell an uns Frauen.

Eine Erlösung?

Nun, mit der Verhaftung von Karadzic sind die Probleme, die wir als Vergewaltigungsopfer haben, längst nicht gelöst. Denn wir Frauen treffen an den Orten dieser Verbrechen immer noch jene in Freiheit an, die uns das alles angetan haben. In meiner Heimatstadt Visegrád arbeiten diese Leute noch immer als Polizisten. Sie waren Teil des verbrecherischen Systems, aber sie leben und arbeiten, führen ein normales Leben, während wir Opfer jeden Tag und jede Stunde an ihre Untaten erinnert werden. Unser Leben und das unserer Angehörigen ist zerstört worden. So können Sie sicherlich verstehen, dass ich eine gewisse Genugtuung spüre, wenn ich Radovan Karadzic ins Gefängnis von Scheveningen einfahren sehe und dennoch allen zurufe: Das ist noch nicht genug.

Was wäre denn genug?

Ich will keine Rache, sondern Gerechtigkeit. Unsere Organisation ist für alle Vergewaltigungsopfer aus allen Volksgruppen offen. Selbst Frau Karadzic hätte hier einen Platz, würde sie dieses Schicksal mit uns teilen.

Wieso ist es so schwer, die Täter zu fassen?

Nach dem Krieg sind die alten Kräfte an der Macht geblieben, sie schützen sich gegenseitig, gerade dort, wo die Verbrechen geschehen sind. Vor allem die serbische Teilrepublik weigert sich, gegen die eigenen Kriegsverbrecher vorzugehen. Nach wie vor sind die alten Ideologien präsent. Die Leute, die am Dienstagabend in Belgrad demonstriert haben, wären jederzeit bereit, das Gleiche zu tun. Sie demonstrieren für Karadzic und damit für alles, wofür dieser Mann steht.

Was tun Sie, um die Vergangenheit aufzuarbeiten?

Wir gehen an die Orte des Verbrechens und machen Fotos von jenen Tätern, die wir wiedererkennen. Wir sammeln Informationen, ermutigen Frauen und Männer dazu, auszusagen.

Männer?

Ja, auch Männer wurden Opfer von Vergewaltigungen. Wir haben jetzt einen Zeugen gefunden, der zwei Jahre lang in einem Lager erniedrigt und vergewaltigt wurde. Sie haben ihm sogar Elektroden in den After eingeführt und ihn mit Stromstößen gefoltert. Sie haben Männer gezwungen, mit ihren Schwestern und Müttern Geschlechtsverkehr zu haben. Es gibt also traumatisierte Männer, und die sind ebenfalls wichtige Zeugen.

Wie hoch ist die Zahl der Opfer?

Wir gehen von einer Zahl von 25.000 vergewaltigten Frauen aus. Bis jetzt haben wir die Aussagen von über 1.000 Frauen gesammelt. Immerhin ist es uns seit 2005 gelungen, fünf Polizisten vor Gericht zu bringen. Und wir haben es geschafft, die Gerichte in Den Haag und Sarajevo zu überzeugen, einige Personen, die wegen Mordes angeklagt sind, auch wegen Vergewaltigung anzuklagen. Wir machen weiter, wir geben nicht auf.

INTERVIEW: ERICH RATHFELDER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.