Schlechte Chancen für Nicht-Akademiker: Praktiker machen seltener Karriere

Hochqualifizierte Angestellte müssen mit "verminderten Berufsperspektiven" rechnen. Das stellt eine aktuelle Studie der Böckler-Stiftung fest.

Nicht-Akademiker machen weniger Karriere als vor zehn Jahren. Bild: ap

Der berufliche Aufstieg war in deutschen Unternehmen früher leichter als anderswo. Ein "privilegiertes Gemeinschaftsmodell" machte Hermann Kotthoff, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, Mitte der neunziger Jahre in einer Studie aus. Es zeichnete sich durch "sozialen Austausch", "Arbeits- und Lebenssicherheit" und nicht zuletzt durch ein "üppiges Gehalt" aus. Die Arbeitnehmer bedankten sich mit Loyalität und Einsatzbereitschaft. Sie verstanden sich als Firmenmenschen, die ihre Kompetenz in den Dienst des Arbeitgebers stellten, weil sie diesem Qualifizierung und Karriere verdankten.

Zwölf Jahre später hat Kotthoff zusammen mit der Berliner Arbeitsmarktforscherin Alexandra Wagner dieselben Betriebe erneut befragt. Die Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung diagnostiziert "Akademisierung" und schärfere Konkurrenz vor allem in Großunternehmen: Im Vergleichszeitraum ist der Anteil der Hochschulabsolventen um 42 Prozent gestiegen. Die Karrierechancen von Angestellten ohne akademischen Abschluss haben sich verschlechtert: "Ein Aufstieg von Berufspraktikern, der bis vor zehn oder fünfzehn Jahren noch relativ häufig vorkam, ist heute ganz selten geworden." Trotzdem, so das überraschende Fazit, sei die Stimmung unter den hochqualifizierten Arbeitnehmern "entspannt" und "keineswegs verbittert".

Der Hauptgrund liegt darin, dass eine Teilgruppe ihre Karriereambitionen zurückgeschraubt hat. Die Studie nennt sie "rückzugsreife Realisten". Diese merken ab Mitte 30, "dass sie vor einer undurchdringlichen Karrierewand stehen". Ob ein Angestellter zur Führungskraft werde, entscheidet sich der Untersuchung zufolge heute bereits in den ersten Berufsjahren - mit der so genannten "High-Potential-Analyse", die nur die wenigsten überstehen.

Die ausgegrenzten "Realisten" verändern dann ihr Lebenskonzept, in dem sie "den unausgesprochenen psychologischen Vertrag mit der Firma revidieren". Der Stellenwert des Berufs nimmt ab, der von Freizeit und Familie zu. Ganz im Sinne der viel diskutierten "Work-Life-Balance", dem besseren Gleichgewicht von Arbeit und Privatleben, schalten sie im Job einen Gang zurück: Als "Edelsachbearbeiter" gehen sie nicht in die innere Kündigung, machen keineswegs Dienst nach Vorschrift, reißen sich aber auch kein Bein mehr aus für die Firma. Ihre Arbeitszeit reduzieren sie auf ein vergleichsweise niedriges Niveau von rund 45 Wochenstunden.

Als die Führungskräfte-Studie erstmals durchgeführt wurde, befanden sich viele Großunternehmen in einer kritischen Phase. Erstmals blieben auch Angestellte in höheren Positionen von Umstrukturierungen und Entlassungen nicht verschont. Berater empfahlen einen Strategiewechsel zu "amerikanischen" Modellen der Personalführung. Sie propagierten das Ende jeder moralischen Ökonomie, die nicht mehr zu den Herausforderungen des globalen Kapitalismus passe.

Die Folgeuntersuchung widerspricht den damaligen Prognosen: Aus einst loyalen Mitarbeitern sind keine bindungslosen Opportunisten geworden. Eine "Drehtür-Personalpolitik" sei nicht festzustellen, stellen Kotthoff und Wagner fest, im Gegenteil: Wegen des absehbaren Fachkräftemangels investieren Unternehmen sogar mehr Geld in Rekrutierung, Training und Entwicklung ihrer Mitarbeiter.

"Jobhopper mit Werkvertragsmentalität" oder individualistisch orientierte "Arbeitskraftunternehmer" gebe es kaum. Allerdings bieten die Firmen statt "beamtenähnlicher" Beschäftigungsgarantie häufig nur noch befristete Stellen. Beide Seiten, so die Studie, stellen sich auf eine "Lebensabschnittsbindung" mit weniger Emotionen und Ansprüchen ein.

Die Karriere, fasst die Studie zusammen, sei stets der "Treibstoff" der hochqualifzierten Angestellten gewesen. Dass die "Realisten" auf den Aufstieg um jeden Preis verzichten, sieht Soziologe Kotthoff als ein neues Verhaltensmuster der "eigentlichen Wissensarbeiter der Zukunft". Das habe sie bisher aber "nicht näher an die Gewerkschaft herangeführt". Zwar denken sie meist positiv über die Institution Betriebsrat. In Konfliktfällen schalten sie ihn aber kaum ein, sondern versuchen, Probleme direkt mit ihren Vorgesetzten zu lösen. Es sei offen, resümiert die Studie, ob sich die "rückzugsreifen Realisten" langfristig "in Richtung der großen Einheitsgewerkschaften oder in Richtung von kleinen Berufsverbänden" orientieren.

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