Wie Chinesen den Krieg deuten: Hauptsache Harmonie

China fordert Russland und Georgien zur Beilegung des Konflikts auf. Auf eine Verurteilung verzichtet die Regierung aber. Auch einen Zusammenhang zwischen Olympia und Krieg sieht sie nicht.

Bloß keine Konflikte: Chinas Parteichef Hu Jintao will niemanden verurteilen. Bild: dpa

Der chinesische Architekt Li Hui wohnt im Südwesten Pekings, nicht weit vom Shijie-Park. In dem Park dürfen nach Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die China gebilligt hat, während der Olympischen Spiele genehmigte Proteste und Kundgebungen stattfinden. Das bringt Li auf eine Idee: "Statt im Kaukasus Krieg zu führen, sollten Bush und Putin, wo sie doch gerade hier sind, lieber im Shijie-Park miteinander kämpfen. Es gibt dort Platz genug!", sagt Li, nachdem er in der Neuen Pekinger Zeitung die Kriegsmeldungen gelesen hat.

Wie viele Chinesen sieht Li den Konflikt im Kaukasus eher als Streit zwischen Russland und einer von den USA geführten Nato, die Georgien vor ihren Karren spannt - und nicht als ethnischen Konflikt. Außerdem weiß er vom Fernsehen, dass US-Präsident George Bush und der russische Premierminister Wladimir Putin beide Gäste der olympischen Eröffnungsfeier am Freitag in Peking waren. Aber die USA oder Russland wegen ihrer Kriegsverantwortung von Olympia ausschließen, will Li dann doch nicht. "Wir haben jetzt Olympia. Der Krieg geht uns nichts an," sagt Li.

Doch andere schaudern. Für Zhu Xiaoyu, 21 Jahre, der an der Peking-Universität Internationale Beziehungen studiert, ist der kaukasische Kriegsausbruch am Tag der olympischen Eröffnungsfeier in Peking eine große Enttäuschung. "Dass der Krieg ausgerechnet in diesem Augenblick stattfindet, ist furchbar", sagt Zhu. Er nimmt einen Artikel der am vergangenen Donnerstag erschienenen chinesischen Wochenzeitung Nanfang Zhoumo zu Hand und zeigt auf seine Überschrift, die lautet: "Bitte Waffenruhe für Olympia!" Darunter steht eine Geschichte von chinesischen Veteranen, die ein Friedensdenkmal errichten und von russischen Veteranen Unterstützung bekommen. "Die Alten haben jetzt umsonst für die Waffenruhe gebetet", sagt Zhu.

Die staatlich kontrollierten chinesischen Zeitungen melden den "Kriegszustand zwischen Russland und Georgiern" am Sonntag auf ihren Titelseiten und berichten ausführlich im hinteren Teil. Wie häufig der Fall, wird die offizielle Reaktion des chinesischen Außenministeriums nur notiert, aber nicht kommentiert. Das Pekinger Ministerium forderte am Samstag beide Seiten zur Beilegung des Konflikts auf, verzichtete aber auf eine Verurteilung der Kontrahenten. Gleich ist den meisten offiziell sanktionierten Reaktionen, dass jeder Zusammenhang zwischen Olympia und dem Krieg ausgeklammert wird. Nur im weniger durchgängig zensierten Internet wird Georgien deutlicher kritisiert: "Olympia hat den militärischen Angriff Georgiens auf Südossetien nicht verhindert", schreibt der Autor Wen Yufu auf der populären Webseite China.com.cn.

Wen sieht die USA, die sich hinter Georgien verstecken, als Nutznießer der aktuellen Entwicklung. Denn die ganze Welt schöpfe nun den Verdacht, dass Russland der Aggressor sei. Die Folge, vermutet Wen, könne sein, dass Georgien viel schneller als erwartet in die Nato integriert werde und die USA damit ihre Stellung in der Region stärken könnten. Wen verweist aber auch auf die Widersprüche sowohl der amerikanischen wie der russischen Politik. Russland hält er den "Doppelcharakter" seiner Politik in Tschetschenien und Südossetien vor: Hier würde Moskau den Separatismus bekämpfen, dort unterstützen. Den USA hingegen unterstellt Wen, ihre alte Überzeugung aufzugeben, dass eine demokratische Volksmeinung mehr zähle als staatliche Souveränität. Er zeigt sich darüber allerdings nicht unglücklich. "Für die Weltgemeinschaft ist die Logik der USA in Georgien schwer zurückzuweisen", schreibt Wen in Anlehnung an das traditionelle chinesischen Pochen auf der unanfechtbaren Souveränität aller Staaten.

Ob die Beobachter in China ihre distanzierte, analytische Betrachtungsweise des Krieges durchhalten, wenn die Ereignisse im Kaukasus dem Land weiter die Olympiashow stehlen, ist jedoch offen. Yang Chenxu, ehemaliger Leiter des Instituts für Internationale Strategien des Pekinger Außenministeriums, zeigt sich gegenüber der taz besorgt: "Die Waffenruhe während der Spiele ist eine historische Regel. Das IOC sollte beide Seiten im Kaukasus deutlich verurteilen", fordert Yang. Indirekt kritisiert Yang damit auch die Reaktion Pekings, die eine Verurteilung sparte. Auch der emeritierte Geschichtsprofessor der Peking-Universität, Shang Dewen, sieht China jetzt stärker in der Pflicht: "Die Olympischen Spiele sind eröffnet. Wir wollen friedliche Spiele. Deshalb müssen wir die kriegführenden Seiten verurteilen", sagt Shang. Er erinnert daran, dass Bush während der Eröffnungsfeier rechts und Putin links von Staatspräsident Hu Jintao saß. Das sei das Problem, sagt Shang. China will weder die USA noch Russland ärgern.

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