Georgier erwarten russische Besetzung: Rette sich, wer kann

Zerstörte Häuser, Tote, Tausende auf der Flucht. Im georgischen Gori geht die Angst vor einer russischen Invasion um.

Eine Frau in Gori vor ihrem zerstörten Haus. Bild: Reuters

GORI taz Zuerst ist es ein einzelner Mann mit einer Kuh, dann eine Familie, die eine kleine Herde vor sich hertreibt. Als schließlich ein mit Hausrat beladener Traktor entgegenkommt, wird klar: Diese Menschen fliehen.

Die Straße zwischen der georgischen Stadt Gori und der südossetischen Hauptstadt Zchinwali führt durch Dörfer, vorbei an Feldern und Fruchtplantagen. Der Krieg zwischen Georgien und Russland hat die Idylle zerstört. Je mehr man sich der Front nähert, desto menschenleerer werden die Dörfer. Ergneti, zwei Kilometer von Zchinwali entfernt, ist fast ganz verlassen.

Die georgische Stadt Gori zählt rund 50.000 Einwohner und liegt 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Tiflis, an der Grenze zur abtrünnigen Region Südossetien. Seit Samstag haben russische Flugzeuge die Stadt mehrfach bombardiert. Wohnviertel wurden zerstört, mindestens 28 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt.

Im Januar dieses Jahres hat Georgiens Präsident Michail Saakaschwili in Gori eine neue Militärbasis eröffnet, die auch die Standards der Nato einhält. Der bekannteste Sohn der Stadt Gori

ist Josef Stalin, der hier vor 130 Jahren geboren wurde. TAZ

Einzig Tariel Bagradze hält noch die Stellung, ein müder alter Mann, der nirgends mehr hin will. Alle Nachbarn hätten sich aus dem Staub gemacht, sagt Bagradze. Die Angst vor marodierenden Banden ist groß. Die "Kosaken", womit er russische Freiwillige meint, würden auf alles schießen, was sich bewegt. "Und sie stehen nur wenige hundert Meter vor Ergneti."

Georgische Soldaten sind keine mehr zu sehen. Noch am Samstag haben sich hier georgische und russische Truppen heftige Kämpfe geliefert. Entlang der Straße nach Zchinwali stand ein Dutzend georgischer Artilleriekanonen, die im Minutentakt feuerten. Unter Bäumen waren Militärlaster, Panzer und hunderte Soldaten versteckt. Der Rückzug erfolgte wohl in der Nacht. Bewohner eines Dorfes erzählen, sie hätten mehrere georgische Armeeeinheiten gesehen, die in Richtung Gori rollten.

Offenbar ist Tiflis vom massiven Eingreifen der Russen überrascht worden. Laut Angaben aus georgischen Sicherheitskreisen hat Moskau mindestens 6.000 Mann, 90 Panzer und 250 Artilleriekanonen in die Schlacht geworfen.

Von den russischen Angriffen besonders betroffen war die georgische Frontstadt Gori, rund 30 Kilometer südlich von Zchinwali. Hier schlugen am Wochenende russische Geschosse in mehrere Wohnblocks ein. Die Gebäude brannten auch zwei Stunden nach der Attacke noch lichterloh, Sirenen heulten, schwarzer Rauch verdeckte die Sicht. In der Stadt brach zum Teil Panik aus. Dutzende Menschen sollen bei dem Angriff ums Leben gekommen sein.

Am Montag melden die Agenturen neue Luftangriffe auf Gori, russische Panzer seien auf dem Vormarsch. Tausende Einwohner verlassen die Stadt, fliehen in Richtung Tiflis, nachdem das georgische Innenministerium eine Warnung herausgegeben hat, dass die Stadt nicht mehr sicher sei. Eine Invasion der Russen stehe möglicherweise bevor, heißt es in der Erklärung.

Am Tag zuvor hatte die georgische Regierung noch Journalisten in einem provisorischen Informationszentrum im Gebäude des lokalen Fernsehsenders in Gori empfangen. Es gibt Mineralwasser, getrocknete Äpfel und Wurstscheiben. Irakli Portschchidse, ein junger Mann in Jeans und hellblauem Hemd, ist so etwas wie der Chefkommunikator vor Ort. Er ist erst gerade von seinem Studienort New York in die Heimat zurückgekehrt - direkt in den Krieg. "Die russischen Flugzeuge sind in der Luft, sie können jeden Moment zuschlagen", sagt er und zeigt für alle Fälle, wo der Luftschutzkeller ist. Portschchidse kann nicht nur perfekt Englisch, er beherrscht es auch, die offizielle georgische Sicht des Konfliktes darzulegen. "Es ist ein Krieg der Werte", sagt er. Das autokratische Russland greife Georgien an, weil dieses den Weg zu Freiheit und Demokratie eingeschlagen habe. "Das gefällt Moskau nicht, denn wir könnten ein Beispiel für andere Länder auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion werden", sagt er.

Später werden die Journalisten in ein örtliches Spital geführt. Auf schäbigen Pritschen liegen dort furchtbar zugerichtete Menschen. Zwei blutverschmierte Männer erzählen, sie seien durch ihr Dorf spaziert, als neben ihnen eine russische Bombe explodierte. "Sobald der Zustand der Patienten stabil ist, schicken wir sie nach Tiflis", sagt der Chefarzt. Dann macht er den Pressevertretern ein gruseliges Angebot: "Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch noch die Leichen zeigen." Die Journalisten lehnen ab.

Im Spitalkorridor steht ein Herr mittleren Alters, der sich als "einfacher georgischer Bürger" vorstellt, allerdings auffällig geschliffen argumentiert. "Wenn man den Russen heute erlaubt, Georgien zu okkupieren, welches Land ist dann morgen dran?", fragt er rhetorisch. "Es ist Zeit, dass der Westen erwacht."

Es scheint, als ob Georgien wenigstens als moralischer Sieger vom Schlachtfeld abtreten will.

Die russische Öffentlichkeit lebt in einer ganz anderen Realität. Die staatlichen Fernsehkanäle zeigen erschütternde Reportagen über südossetische Flüchtlinge. Premierminister Wladimir Putin reiste am Wochenende eigens in die Krisenregion und warf den Georgiern vor, "Völkermord" an den Osseten begangen zu haben.

Davon erfährt in Georgien niemand: Russische Fernsehkanäle kann man seit Samstag nicht mehr empfangen, auch der Zugriff auf russische Websites ist gesperrt. Bei einer Demonstration in der Innenstadt von Tiflis versammeln sich hunderte georgische Patrioten, die Flaggen schwenken. Auf einem Bildschirm werden Bilder gezeigt von der Revolution in Budapest 1956, Prag 1968 - und Georgien 2008. Vom Krieg ist hier in der Innenstadt kaum etwas zu spüren, die Militärpräsenz ist nicht übermäßig hoch, lediglich das Aufkommen der Polizei hat sich erhöht. Dennoch geht auch hier die Furcht um, genährt von Gerüchten, ein gravierender russischer Bombenangriff stehe bevor.

In Tkviavi, einem kleinen Flecken an der Straße von Gori nach Zchinwali, steht derweil Bauer Georgi Giguaschwili in seinem Garten und dankt Gott. Eine russische Bombe hat einen hässlichen Krater in die Erde gerissen. Auf dem Grundstück der Nachbarn schlug ebenfalls ein Geschoss ein. Das Wohnhaus und ein daneben liegender Schuppen wurden schwer beschädigt. Fünf Minuten vor der Attacke habe er noch Gras gemäht, sei dann aber kurz weggegangen, sagt Georgi Giguaschwili und schaut in den Himmel. "Ich könnte jetzt tot sein, aber ich wurde gerettet."

Scheinbar wie aus dem Nichts ist der Krieg über Giguaschwili und seine Nachbarn gekommen. "Wir sind einfache Bauern, warum greifen sie uns an?", sagt er.

Hakt man nach, findet er es aber doch richtig, dass die georgische Armee vergangene Woche in Südossetien einmarschiert ist und so den Krieg erst lostrat. Die "Separatisten" hätten Georgien mit ständigen Angriffen provoziert, sagt er.

Dass Zchinwali von der georgischen Armee in Schutt und Asche gelegt wurde, bucht der Bauer Giguaschwili als Kollateralschaden ab. "Wenn gekämpft wird, gibt es halt Opfer."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.