Sarkozy nimmt an Gedenkfeier teil: Späte Geste an die Opfer von Maillé
Jahrelang von der französischen Politik ignoriert: Das Dorf Maillé wurde von deutschen Soldaten dem Erdboden gleich gemacht. Mit Sarkozy nimmt erstmals ein Präsident an der Gedenkfeier teil.
PARIS taz "Das ist die Strafe für die Terroristen und ihre Helfershelfer", steht auf dem handgeschriebenen Zettel, den einer der Mörder auf einer Leiche in Maillé hinterließ. Das Wort "Strafe" ist falsch geschrieben: "punission" statt punition. Gegen 9 Uhr morgens waren die deutschen Soldaten am 25. August 1944 über das 40 Kilometer südlich von Tours gelegene Dorf hergefallen. Als sie abzogen blieben Ruinen, verbrannte Kühe und 124 tote Menschen zurück, darunter 44 Kinder.
Manche Opfer waren erschossen, andere mit dem Flammenwerfer verbrannt, wieder anderen war die Kehle durchgeschnitten worden. Eine der wenigen Überlebenden berichtet später von dem Lachen der blutjungen deutschen Männer, das sie in ihrem Versteck in einem Keller unter der Schule gehört hat.
Mehr als sechs Jahrzehnte bleiben die Überlebenden des Massakers von Maillé während ihrer Gedenkfeiern unter sich. Kein Spitzenpolitiker steht ihnen bei. Die Geschichtsbücher ignorieren sie und konzentrieren sich auf ein anderes Ereignis, das am selben Tag stattfand: die Befreiung von Paris. Die Justiz legt das Dossier Maillé in die Ablage. Nur über einen einzigen Mörder befindet ein Gericht. 1952 wird der deutsche Leutnant Gustav Schlüter in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er stirbt 13 Jahre später unbehelligt in Deutschland.
Am 64. Jahrestag hat sich das Blatt für das nach Kriegsende wiederaufgebaute Dorf gewendet. Am Montag ist Nicolas Sarkozy als erster französischer Staatschef zu der jährlichen Gedenkfeier gereist. "Frankreich beging einen Fehler, indem es das Drama von Maillé lange vergessen hat", sagte er. Dann zog er einen weiten Bogen von der sanften Landschaft an der Loire nach Afghanistan und erinnerte an das "Opfer unserer zehn jungen Soldaten, die in Afghanistan gegen mittelalterliche Barbaren, Terroristen, kämpften".
In diesem Sommer ist auch in die juristische Aufklärung Bewegung gekommen. Aus Deutschland ist im Juli ein Staatsanwalt nach Maillé gereist. Ulrich Maas aus Dortmund hat seine Ermittlungen 2004 begonnen, nachdem der Bürgermeister des Dorfes und ein Überlebender einen Vortrag in Stuttgart gehalten haben. Noch ist keiner der mutmaßlichen Täter identifiziert.
Bis es zu einem Gerichtsverfahren in Deutschland kommt, dürfte das Verbrechen fast sieben Jahrzehnte zurückliegen. Doch für das 500-Einwohner-Dorf ist das neue Interesse von Politik und Justiz wichtig. Die Atmosphäre, die seit sechs Jahrzehnten in Maillé herrscht, beschreibt Bürgermeister Bernard Eliaume als "erstickenden Bleideckel, der am Atmen hindert".
Das Massaker von Maillé fand wenige Wochen nach der alliierten Landung in der Normandie (6. Juni 1944) statt. Unmittelbar nach der Landung wandten deutsche Soldaten in Frankreich eine Praxis an, die sie in den Jahren zuvor in der Sowjetunion und in anderen Gebieten Süd- und Osteuropas erprobt hatten: die Politik der verbrannten Erde. Schon im Juni wüteten die Deutschen in Oradour-sur-Glane und Tulle. Weitere Massaker folgten. Nach Oradour-sur-Glane ist Maillé jenes mit den meisten zivilen Opfern in Frankreich.
Wie manche andere Orte, an denen die deutsche Soldateska während ihres Rückzugs tobte, war die mehrheitlich kommunistische Widerstandsbewegung FFI rund um Maillé stark. Das Dorf liegt an der strategisch wichtigen Eisenbahnstrecke von Paris nach Bordeaux, auf die die Résistance mehrfach Anschläge verübt hat. Am Abend vor dem Massaker im Dorf war ein SS-Mann auf einem Bauernhof bei Maillé in einen Hinterhalt geraten. Manche Überlebende und Historiker vermuten, dass sein Tod Auslöser des Massakers gewesen sein könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!