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Ministerium streicht IntegrationsklassenIntegrierte Schulen unerwünscht

In einer badischen Schule lernen geistig behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam. Doch plötzlich streicht das Kultusministerium die erste von zwölf Integrationsklassen.

Der Grund für die Enschränkung der Unterstützung: Keine nachweisbare bessere Leistung der Integrationskinder gegenüber denen, die eine Sonderschule besuchen. Bild: dpa

Peter Fischers Handy klingelte im Urlaub, kurz vor dem ersten Schultag seines Sohns Balthasar. Die Nachricht: Die Einschulung des Siebenjährigen steht auf der Kippe. Balthasar hat das Down-Syndrom und sollte am kommenden Mittwoch die erste Klasse der integrativen Waldorfschule im baden-württembergischen Emmendingen besuchen.

Dort lernen behinderte und nichtbehinderte Kinder seit 13 Jahren gemeinsam. Jede Klasse hat 4 Schüler mit und 24 Schüler ohne Behinderung. Zwei Lehrer halten den Unterricht, ein Integrationshelfer unterstützt sie. Da es im Schulgesetz von Baden-Württemberg offiziell keine Integrationsschulen, sondern nur "normale" und Sonderschulen gibt, wurden bisher befristete Sondergenehmigungen für dieses "Integrative Schulentwicklungsprojekt" erteilt.

Dieses Jahr hat das Kultusministerium das erste Mal die Unterstützung für die Schule eingeschränkt: Klasse 1 wurde nicht genehmigt. Der Grund: Es könne nicht nachgewiesen werden, dass die behinderten Kinder durch den integrativen Unterricht bessere Leitungen erzielen als die, die eine Sonderschule besuchen.

Michael Löser, Geschäftsführer der integrativen Waldorfschule, ist empört: "Es ist menschlich unmöglich, was da passiert." Jahrelang hatten die Gutachter des Regierungspräsidiums den Pädagogen hervorragende Arbeit bescheinigt.

Die Schule befürchtet nun, dass ihr integratives Modell in der Zukunft auslaufen soll. Die Opposition im schwarz-gelb-regierten Landtag vermutet keine pädagogischen, sondern politische Motive. "Die CDU will ihr Sonderschulwesen unbedingt erhalten", sagt der SPD-Abgeordnete Norbert Zeller, selbst Sonderschullehrer und Vorsitzender des Schulausschusses.

Damit formell die Trennung der Schularten - auf die das Land Wert legt - auch in der integrativen Waldorfschule eingehalten werden kann, hat das Kultusministerium einen Kompromiss vorgeschlagen. Die bestehenden Klassen 2 bis 12 sollen als integrativer Schulversuch erst einmal weiterlaufen. Eine neue integrative Klasse darf aber nicht gegründet werden. Stattdessen soll sich die Schule spalten: in eine gewöhnliche und eine Sonderschule. Dabei könnten die Kinder natürlich auch in gemeinsamen Stunden unterrichtet werden. "Formal sind die behinderten Schüler Sonderschüler, in der Praxis können Kooperationen aber sehr flexibel gehandhabt werden", sagte ein Ministeriumssprecher.

Was sich so anhört, als würde sich für die Schüler nichts ändern, bedeutet für die Waldorfschule Emmendingen extreme finanzielle Schwierigkeiten. Im Rahmen des bisher genehmigten Schulversuchs finanzierten die Landkreise Schulbusse und Freiwilligenhelfer, die die behinderten Schüler im Schulalltag begleiten. "Drei von vier Landratsämtern haben uns gesagt, dass sie uns diese Gelder nicht mehr geben könnten, wenn wir kein Integratives Schulentwicklungsprojekt mehr sind", sagt Schulgeschäftsführer Michael Löser. Bis zu 300.000 Euro könnten der Schule fehlen.

Baden-Württemberg ist bei der Integration gehandicapter Schüler nicht gerade ein Musterländle. Statistiken zeigen, dass die Waldorfschule Emmendingen eine Ausnahme ist: Im Jahr 2006 etwa wurden nur 0,3 Prozent der geistig behinderten Schüler in eine "normale" Schule integriert. Der Rest ging auf eine Sonderschule. Zum Vergleich: In Hamburg sind es 22, in Berlin 10 Prozent, so der Verein Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung.

Zum Schulbeginn am Montag hat die Schulleitung in Emmendingen den Kompromiss nun erst einmal angenommen, damit die Erstklässler mit Behinderung am Unterricht teilnehmen können. Die Trennung in zwei Schulen soll aber nur eine Zwischenlösung sein: Die Leitung klagt gemeinsam mit den Eltern gegen das Kultusministerium.

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9 Kommentare

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  • R
    Rebekka

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    Das wäre sicherlich der falsche Gedanke eine Schule auf dem Rücken behinderter Kinder zu finanzieren. Dem ist auch nicht so und kann auch nicht funktionieren. Vielmehr geht es um das Recht und die Freiheit entscheiden zu dürfen auf welche Schule ich mein Kind mit Behinderung schicke, ohne das dies mit zusätzlichen Einschränkungen verbunden ist, indem man z.B.dann die finanziellen Mittel dafür streicht! Jeder sollte die gleichen Rechte und damit auch die freie Wahl haben!! Fragen Sie Eltern die davon betroffen sind und fragen Sie sie warum sie ihre Kinder lieber in eine integrative Schule schicken und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Für die Meinungsbildung braucht es immer beide Seiten!

  • S
    Susanne

    Der Begriff "Leistung"wird fälschlicherweise gleich in Verbindung mit den negativen Auswüchsen einer materiellen Leistungsgesellschaft in Verbindung gebracht. Ein Mensch mit einer Einschränkung kann aber auch etwas leisten. Diese Talente zu wecken und

    somit zu fördern bedarf es aber einer besonderen Sorgfalt und einer fundierten Ausbildung. Die "Sonderbehandlung" an Förderschulen und Behindertenschulen trägt genau diesem Anliegen Rechnung.

    Das Kulturministerium hat Recht. Es ist keine "Leistung" bei diesem Projekt "integrative Waldorfschule" zu verzeichnen. Mir ist auch eine Abmeldung eines behinderten Kindes bekannt, das nun an einer Förderschule prima zurecht kommt.

    Da die Waldorfschule nunmal auf die 300.000 Euro nicht verzichten kann, kommt die ganze Sache ins Politische. Auf dem Rücken behinderter Kinder soll also die Schule finanziert werden!

  • R
    Rebekka

    Es geht hier sicherlich nicht darum Sonderschulen in die Ecke zu stellen.!! Vielmehr stellt sich doch die Frage aus welchem Gedanken heraus man Kinder mit Behinderung von Kindern ohne Behinderung schulisch vor vielen Jahren getrennt hat.? Warum wurde hier eine zwei-Klassen-Gesellschaft (Leistungsgesellschaft?) geschaffen.?

    Warum haben heute immer noch so viele Erwachsene Probleme mit Menschen mit Behinderung? Warum gibt es auf dieser Ebene Kontaktschwierigkeiten?

    Ich erlebe die Integration als wertvollen Beitrag in unserer Sozialgemeinschaft "Mensch", in der alle (gesetzlich!) die gleichen Rechte haben.

    (Die Würde des Menschen ist unantastbar. Grundgesetz).

    Warum haben dann Kinder mit Behinderung nicht das Recht zusammen mit "normalen" Kindern zu lernen.??

    Übrigens an dieser Schule kommt auf 4 Kinder mit Behinderung ein Heilpädagoge, der Unterstützung durch die FSJ´ler erhält.

  • M
    Moritz

    Ich finde die Diskussion unsachlich. Eine Sonderschule ist doch keine "Deppenschule" sondern eine pädogogisch hochwertige Schule, die den Bedürfnissen der Kinder entspricht. Ausgebildete Fachlehrer tun hier pädagogisch wertvolle Arbeit.

    In Emmendingen gibt es eine Reihe von "Sonderschulen". Eine Sprachheilschule, eine Schule für Geitig-und Körperbehinderte und eine Sonderschule. Hier wird sehr gute Arbeit geleistet.

    Es ist die Frage, ob eine FSJ-lerin eine probate Integrationshelferin ist, wie zur Zeit an der Emmendinger Waldorfschule.

  • A
    Alitschka

    So eine Frechheit!! "Integration" hat doch nix mit "Leistung" zu tun, sondern mit "Softskills"!!!

  • RW
    Rainer Wahl

    Wer Näheres über unsere Schule erfahren möchte, kann sich gerne unter

    http://www.waldorfschule-emmendingen.de/aktuelles.html

    informieren.

    Rainer Wahl, Integrative Waldorfschule Emmendingen

  • R
    Rechtler

    Die Frage sollte nicht sein, ob sich die Leistungen der behinderten Kinder steigern/ verbessern, sondern dass die nicht-behinderten Kinder Respekt denen gegenüber zeigen, die es verdienen. Diese Kürzung bzw. Streichung ist ein Skandal. Nur wer Leistung bringt ist erwünscht!

  • A
    anke

    Wieso eigentlich werden immer gerade den Schwächsten Spitzenanstrengungen und Spitzenleistungen abverlangt, wenn sie gleiche Rechte für sich einfordern? Und warum wurde im vorliegenden Fall nicht untersucht, ob nicht womöglich grad die normal begabten Kinder an Kompetenz zulegen im Zusammenleben und -lernen mit den Schwächeren? Kann es sein, dass der Gesetzgeber in Baden-Württemberg (wer auch immer das im Einzelnen sein mag) Leistung ausschließlich aus einem sehr eng gefassten Verwertungsgedanken heraus definiert? War der Kultusminister des Landes in einem früheren Leben womöglich Ökonom, nicht Pädagoge? Wenn ja - wurde er dann vielleicht eher aus einem vagen parteipolitischen Kalkül und nicht aus Kompetenzgründen heraus mit der Führung seines Ressorts beauftragt? Und liegt es nicht (natürlich vollkommen zufällig und unbeabsichtigt) im ganz besonderen Interesse ganz bestimmter "Kreise" der badenwürtembergischen Gesellschaft (die Klassen wurden ja unter anderem von einer sich permanent reformierenden SPD mit der weltweit berüchtigten deutschen Gründlichkeit abgeschafft), wenn so etwas wie Integration nicht nur nicht stattfindet in BW, sondern da eine Lerngemeinschaft, die aus Starken UND Schwachen besteht, nachweislich auch keinerlei positive Auswirkungen hat? Weil Leistung von denen, die dafür zuständig gemacht wurden, mal eben definiert wird als "Ergebnis und Vollzug einer zielgerichteten Tätigkeit, die mit Anstrengung verbunden ist und für die Gütemaßstäbe anerkannt werden", welche zuvor an den Börsen dieser Welt kreiert wurden? Dann natürlich würde sich die spannende Frage ergeben, wer zum Teifel die Gütemaßstäbe für die Kultusminister festlegt in BW.

     

    Bei der Gelegenheit: Hat eigentlich mal wieder jemand was von den vielen Tausend hierzulande ausgebildeten Philosophen, Soziologen, Psychologen oder Politologen gehört?

  • A
    arki

    Die Sonderbehandlung hat in Deutschland lange traurige Tradition. Danke das die taz solche Themen aufgreift. Könnt ihr ja auch mal ne Wochenserie draus machen so wie die Bild-N***s.