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Kommentar PendlerpauschaleZurück in die Bonner Republik

Kommentar von Ralph Bollmann

Bei der Pendlerpauschale geht es vor allem um ein spezifisches Staatsverständnis. Sie bringt dem pendelnden Großverdiener eine höhere Steuerersparnis als dem Niedriglöhner.

E s ist ein Stück alte Bundesrepublik, das hier verhandelt wird - sowohl gestern vor dem Bundesverfassungsgericht als auch am Sonntag in zwei Wochen bei der Landtagswahl in Bayern. Steht die Pendlerpauschale zur Disposition, dann geht es um mehr als um streng juristische Fragen oder die Steuerentlastung von einigen Euro. Selbst die Zersiedelung des ländlichen Raums oder steigende Benzinpreise sind nicht das vorrangige Thema. Es geht um ein spezifisches Staatsverständnis, das dem rheinisch-bavarischen Kapitalismus der Epoche von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl entlehnt ist.

taz

Ralph Bollmann ist Ressortleiter im taz Parlamentsbüro.

Wie schon die Arbeitslosenhilfe in ihrer alten Form, so ist auch die Pendlerpauschale eine Institution, die es in dieser Form nirgendwo sonst auf der Welt gab. In beiden Fällen ging es ursprünglich darum, dass der Staat seine Bürger vor Veränderungen schützt - den Langzeitarbeitslosen vor einem möglichen Wechsel des Berufs, den nunmehr in der Stadt arbeitenden Dorfbewohner nach dem Niedergang der Landwirtschaft vor einem Wechsel seines Wohnorts.

Und es ging stets darum, den jeweiligen sozialen Status zu erhalten - der arbeitslose Ingenieur erhielt eine höhere Unterstützung als der arbeitslose Arbeiter, dem pendelnden Großverdiener verhilft die Pauschale zu einer erheblich höheren Steuerersparnis als dem pendelnden Niedriglöhner. Das System schützte zwar vor sozialem Abstieg, ein sozialer Aufstieg allerdings war nicht vorgesehen. Das viele Geld, das in die Statussicherung floss, fehlte am Ende im Bildungswesen.

Anders als bei Hartz IV, wo auch die Perspektivlosigkeit ganzer Regionen verhandelt wurde, bleibt es im Osten diesmal erstaunlich still. Obwohl in den ostdeutschen Ländern so viel gependelt wird wie nirgends sonst, stemmten sich die dortigen Politiker zunächst gegen die Wiedereinführung der Pauschale. Erst nach der Initiative aus Bayern kippten viele von ihnen um. Die Führungsrolle der CSU bei dem Thema ist ein Indiz dafür, dass dieser einzigen rein altbundesdeutschen Partei der bewährte Spagat zwischen Gestern und Morgen nicht mehr recht gelingen will. Das Wahlergebnis in Bayern wird zeigen, wie viele Wähler dieser Westalgie noch folgen.

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6 Kommentare

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  • RH
    Reiner Hofmann

    Man kann ja eine andere Meinung haben. Was mich nur mittlerweile insbesondere bei den Wirtschaftsjournalisten nervt, ist die Tatsache, dass mit falschen Fakten argumentiert wird. Es ist definitiv falsch, dass es in der ganzen Welt keine vergleichbare Regelung wie die deutsche Pendlerpauschale gibt. Das Gegenteil ist der Fall. USA, Frankreich, Schweiz, Österreich und etliche andere Staaten sehen eine Berücksichtigung der Kosten von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei der Ermittlung des Einkommens aus unselbständiger Erwerbstätigkeit vor. Nur Herr Steinbrück sieht im Einklang mit etlichen Wirtschaftsjournalisten diese Fahrten mit zum Teil absurden Begründungen der Journalisten als Privatvergnügen an. Insgesamt kann ich zu diesem Artikel nur sagen: "Hier spricht ein Blinder von der Farbe".

  • L
    Lurchi

    ...hinzu kommt, dass gerade Geringverdiener in hohem Maße von der Pendlerpauschale profitieren. Wer 80km täglich pendelt, nur um einer schlecht bezahlten Arbeit nachzugehen, soll nach der Meinung von Herrn Bollmann noch weniger Geld am Ende des Jahres behalten? Blödsinn.

  • B
    B.Schultze

    Es ist doch nicht entscheidend wem die Pendlerpauschale nützt oder beim sozialen Aufstieg hilft es zählt einzig und allein die Logig der Steuergesetzgebung. Wenn ein Klempner zu seinen Kunden fährt also dort hin wo er arbeitet, darf er diese Tour absetzen, wenn ein Bankkaufman in seine Bank fährt in die seine Kunden kommen oder ein Arzt in seine Praxis muß dies selbstverständlich auch absetzbar sein.

  • GS
    Gerold Schwarz

    Es wäre schön, wenn Herr Bollmann vor der Abfassung solcher Dogmen wie derjeniger, dass die Arbeitslosenhilfe eine Institution sei, die es in dieser Form nirgendwo auf der Welt gebe, zumindest einen minimalen Abgleich mit der Realität durchführen würde.

     

    Ein ganz kurzer Blick in die Sozialsystem-Vergleichstabelle der Europäischen Kommission (MISSOC) hätte dann gezeigt, dass es auch heute noch, nach zahlreichen neoliberalen Sozialkürzungsprogrammen in ganz Europa, in folgenden EU-Mitgliedsländern eine Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit gibt, die dauerhaft vom vorherigen Arbeitseinkommen abhängt:

     

    Belgien (zeitl. unbegrenztes ALG)

    Dänemark (begrenzt auf 4 Jahre, Verlängerung bis z. 60. Lebensjahr möglich)

    Frankreich (Allocation spécifique de solidarité)

    Irland (Assistance)

    Österreich (Notstandshilfe)

    Finnland (Työmarkkinatuki)

     

    Deutschlands Sozialsysteme wurden mit der Agenda 2010 eben gerade nicht auf den "üblichen Standard" des übrigen (West-) Europas gebracht, sondern damit wurde ein neuer Zyklus von Sozialdumping ausgelöst, indem die dortigen Sozialsysteme durch Deutschland unter massiven Konkurrenzdruck gesetzt wurden.

     

    Da es sich beim "alten bundesrepublikanischen Sozialsystem" daher nicht um einen Wohlstandsluxus handelte, wie von Herrn Bollmann impliziert, sondern um ganz gängigen westeuropäischen Standard, ist es auch nicht das "viele Geld, das in die Statussicherung floss", welches nun der Bildung fehlt, sondern, was Herr Bollmann hier verschweigt, das viele Geld, das in zahlreiche Steuererleichterungen der letzten Jahre zugunsten der Bezieher von Kapitaleinkommen den öffentlichen Haushalten entzogen wurde.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Gerold Schwarz

  • AG
    Andreas Grech

    Das ist selbst für TAZ-Verhältnisse ein auffallend peinlicher Kommentar. Wie kann man allen Ernstes derart abstruse Argumente anführen?

  • WH
    Wolfgang Hörner

    Also, solch einen Quatsch im Quadrat. Wenn man keine Ahnung hat, sollte man ruhig sein. Das Steuerrecht ist schwierig, aber deswegen braucht man nicht alles mögliche zusammenschreiben, weil es einem ideologisch in den Kram paßt.

    Die Entfernungspauschale (sog. Pendlerpauschale) ist i.S. &9(1)Nr.4 EStG Werbungskosten, weil sie der Erhalt, Erwerb und Sicherung von Einnahmen dienen. Sie sind das Äquivalent zu den Betriebsausgaben bei den Gewinneineinkünften. Der Unternehmer schreibt sein PKW ab, lfd. Kosten wie Benzin oder Reparaturen können als Betriebsausgaben geltend gemacht werden. Im Rahmen der Gleichbehandlung der 7 Einkunftsarten gibt es für Arbeitnehmer ebewn diese Pauschale, die eben die Abnutzung und lfd. Kosten beinhalten.

    Ich möchte darauf verweisen, daß bis 2003 der km-Satz bei den ersten 10km 36cent betrug, ab dem 11.km 40cent. Die 30 cent waren eben schon einmal eine Kürzung.