Langzeit-Chef der Kultusministerkonferenz: Gewandelter General
Zehn Jahre leitete Erich Thies die Konferenz der Kultusminister. Nun treibt ihn das echte Leben der Schulen an: die Faszination des neuen Lernens.
Seine Auftritte als Moderator sind legendär. Mürrisch bis übellaunig leitet Erich Thies meist die Runden, in denen die Presse die Kultusminister peinlich nach dem Fortgang in den Schulen befragt. Thies, der mehr General als Sekretär der Kultusministerkonferenz (KMK) ist, hatte noch nie ein Problem damit, beide dilettantischen Partner zu korrigieren, denen er sich gegenüber sieht: die ungehörigen Journalisten - genau wie die mehr oder weniger professionellen PräsidentInnen der KMK.
Thies erscheint einem manchmal wie ein Diktator, ein Mächtiger. In Wahrheit hat er das unglücklichste Amt, das man sich nur vorstellen kann - jener Fachministerkonferenz vorzustehen, die als Lordsigelbewahrerin der Kulturhoheit der Länder mehr und ältere Befugnisse vereint als jede andere. Erich Thies ist derjenige, der den Verhau aus Pseudoallmacht und Beschlussunfähigkeit der KMK organisieren, protokollieren und publizieren soll. Jetzt wird er 65 Jahre alt, und wer gedacht hat, er höre auf, der sieht sich getäuscht. Thies verlängert - und er sucht sich zugleich neue Arbeitsfelder.
Wenn er nicht Konkursverwalter der Kultuskonferenz werden will, muss er sich allerdings noch mal richtig reinhängen. Ohne sein Verschulden, aber in seiner Amtszeit seit 1998 ist die Konferenz ihren härtesten Bewährungsproben seit den Bildungsreformen in den 60er-Jahren ausgesetzt. Mehrfach wurde die Vereinigung der Kultusminister der Unfähigkeit überführt, KMK steht heute als Chiffre für Nutzlosigkeit: Zunächst brachte der Pisaschock eine verheerende Bilanz für die Konferenz der Kultusminister, die bereits vor Gründung der Bundesrepublik das Bildungswesen zu steuern begann. Ein Viertel der 15-Jährigen sind Risikoschüler, der Geldbeutel der Eltern bestimmt wie nirgends sonst in der OECD über den Bildungserfolg der Deutschen, obendrein erzeugen die Kultusminister nur eine ausgesprochen dürre Oberschicht von Spitzenschülern.
Dann wurde der KMK wegen der Rechtschreibreform gleich komplett das Lebensrecht abgesprochen - und das aus den Reihen der Union.
Nicht einmal das Geschenk der Föderalismusreform, bei der die Länder und damit die KMK im Jahr 2006 noch einmal mehr Rechte für Schulen und Hochschulen einheimsten, konnten die Kultusminister nutzen. Heute, ganze zwei Jahre später, zerrt die Kanzlerin die Kultusminister samt ihren Ministerpräsidenten wie störrische Esel zu einem Bildungsgipfel - wo diese vor aller Öffentlichkeit eine Art Offenbarungseid unterzeichnen müssen. "Gewachsen [ist aber auch …] die Notwendigkeit, in gesamtstaatlich relevanten Handlungsfeldern Ziele und abgestimmte Maßnahmen von Bund und Ländern zu verabreden", heißt es in dem Vorbereitungspapier zum Bildungsgipfel. Auf Deutsch heißt das: Die Länder hatten ihre Chance. Sie haben sie nicht genutzt. Ohne Berlin geht in der Bildung ab sofort nichts mehr.
Erich Thies war lange eine Art Ausputzer der KMK und schmetterte jeden Angriff auf sie ab. Inzwischen hat er das harte Spiel nicht mehr nötig. Heute gibt er selbst zu, ja kritisiert, dass die Kultusminister ihrer gestiegenen Verantwortung seit der Föderalismusreform alles andere als gerecht geworden sind. Es bestehe eben mehr Abstimmungsbedarf und weniger Recht zur Eigenbrötelei der Länder, merkt er an - gewiss ein Grund für den Lotsen, noch nicht von Bord zu gehen. Obwohl man es ihm gönnen würde. Denn Thies ist ja viel mehr als der rüde Abwehrspieler, er ist, wenn man so will, der Heiner Geißler der Bildungspolitik. Einer, der brutale Goebbels-Vergleiche anzustellen fähig ist, und der doch eigentlich ein Homme de Lettres ist, im Falle Thies: der Philosoph und Germanist, der bei Hölderlin-Editoren studierte und später selbst eine Feuerbach-Ausgabe betreute.
Erich Thies kann beides, robust spielen - und doch auch sehr sensibel zukunftsweisende, aber noch fragile Neuanfänge fördern. Es ist ein Widerspruch, aber einer, mit dem Thies leben kann. Sicher besser als jene, denen er einst ein Bein stellte. Thies hat als Gründungsdekan die Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität neu aufgebaut. Später wurde er CDU-Staatssekretär, berufen von einer Sozialdemokratin, und half mit, jene - wie er es damals nannte - ideologisch belasteten Fachbereiche zu beenden. Thies Job war es, abzuwickeln. Den machte er gründlich. Er trat der damaligen Präsidentin der Humboldt-Uni, Marlies Dürkop, auf die Füße, wenn sie nicht schnell genug Kündigungen hunderter wissenschaftlicher Mitarbeiter exekutierte; er verfolgte mit peinlicher Akribie den einst so prominenten, aber stasiverdächtigen Nachwende-Rektor Heinrich Fink; er ließ die Akten des SED-Bezirksleitung beiziehen, um die ideologischen Gegner von einst identifizieren und stellen zu können. Er hätte sich das nicht verzeihen können, so lax zu sein bei der Vergangenheitsbewältigung mit der SED, wie sie zig Jahre zuvor bei den Nazis praktiziert worden war. So lautet sein Vergleich noch heute. Aber Thies sagt dazu im Nachhinein auch: "Ich habe ein schlechtes Gewissen." Weil man damals zu schnell zu bedingungslos junge Wissenschaftler von der Uni entfernt habe.
Man kann nicht sagen, dass Erich Thies Geschichte geschrieben hat; aber man kann sagen, dass er verdammt nah dran war, als sie geschrieben wurde.
Aber Thies kann so anders und so verwandelt auftreten, dass man denkt, er ziehe zum Faulspielen nicht nur Schienbeinschoner an, sondern verstelle sich, weil er es sonst gar nicht kann. Erich Thies, der als Generalsekretär manchen fiesen Pisa-Kassiber vor der Zeit an seine Spezln von der Springerpresse durchstach, kann erfüllt sein von etwas, das Zukunft ist. Er ist Juror beim Deutschen Schulpreis, einer halb offiziellen, halb untergründigen Veranstaltung, die fantastische Beispiele für gute Schulen ans Tageslicht hebt. Er spricht über die faszinierenden Erlebnisse in den neuen Schulen mit einer Wärme und Klarheit, die man dem finassierenden KMK-Generalsekretär niemals zutrauen würde. Unvergessen eine Veranstaltung, bei der viele Journalistenkollegen sich verwundert die Augen rieben, weil ausgerechnet Thies für das neue Lernen in den neuen reformpädagogischen Schulen sprechen sollte - und die hinterher den Kugelschreiber nicht mehr ablegen konnten, weil Thies der denkbar authentischste Berichterstatter des neuen Lernens war, den sie finden konnten. "Sie können", sagt er etwa zu Ganztagsschulen, "am Nachmittag nicht nur Stillhaltangebote machen, sondern müssen den Schülern etwas Wichtiges geben." Und, an die eigene Organisation gerichtet: "Die Politik hat noch gar nicht mitbekommen, was sich unten in den Schulen schon alles entwickelt hat."
Es gibt Leute, die würden sagen, dass der harte Thies nicht von selber und freiwillig zu seiner Sensibilität zurückgefunden hat. Denn der Mann hat ein Sauluserlebnis hinter sich, Krebs. Erich Thies war schwer krank, vielleicht war er fast schon weg. Aber jetzt ist er wieder da. Und zwar anders als früher.
Als er Ende der 70er-Jahre Rektor der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg wurde, da trieb ihn auch ein negatives Erlebnis an. "Es war furchterregend", erinnert er sich an Studentenversammlungen damals, "wenn man dem geballten Hass von hunderten von Leuten in die Augen sah." Thies Motto damals: "Ich wollte diese Auseinandersetzung annehmen."
Für sein neues Engagement beim Deutschen Schulpreis treibt ihn etwas ganz anderes an - seine Erfahrung aus den Schulen, die neues Lernen praktizieren. "Und dann suchten sich die Schüler unaufgefordert ihre Plätze und begannen zu arbeiten", berichtet er aus der Bodenseeschule. "Und zwar nicht mal zehn Minuten, nein für Stunden. Es herrschte absoluter Friede."
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