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Unfallforscher über LkWs"Lkw könnten ohne Fahrer fahren"

Auf der Automobilausstellung in Hannover sind elektronische Assistenten für Trucks ein Riesenthema. Johann Gwehenberger glaubt, dass sie bald auch Verkehrstote verhindern.

Trucks auf der IAA: "Die drei entscheidenden Unfallursachen sind die Unaufmerksamkeit der Fahrer, eine unangepasste Geschwindigkeit und ein zu geringer Abstand." Bild: dpa
Tarik Ahmia
Interview von Tarik Ahmia

taz: Herr Gwehenberger, als Unfallforscher haben Sie die Vision, dass es eines Tages bei Lkw-Unfällen überhaupt keine Verkehrstoten mehr gibt. Wie soll das gehen?

Johann Gwehenberger: Langfristig vor allem mit Hilfe elektronischer Assistenzsysteme. Nehmen Sie zum Beispiel das elektronische Antischleudersystem ESP. Es stabilisiert das Fahrzeug, wenn es etwa in der Kurve instabil wird. Wären damit alle Fahrzeuge ausgerüstet, könnte man schon heute 70 Prozent der Schleuderunfälle vermeiden. Leider haben erst ein Drittel aller Fahrzeuge in Deutschland ESP. Fahrerassistenzsysteme werden für die Unfallvermeidung immer wichtiger. Bis sie aber so gut sind, dass niemand mehr im Straßenverkehr stirbt, wird es sicher noch 30 bis 40 Jahre dauern.

Was sind die häufigsten Fehler von Lkw-Fahrern?

Die drei entscheidenden Unfallursachen sind die Unaufmerksamkeit der Fahrer, eine unangepasste Geschwindigkeit und ein zu geringer Abstand. In diesen Bereichen setzen auch die Assistenzsysteme an.

Welche anderen Sicherheitssysteme bringen spürbare Verbesserungen?

Der Lebensretter Nummer 1 ist noch immer der Sicherheitsgurt. Auf Platz zwei ist ESP, auf Platz drei der Fahrerairbag. Bei Lkw bringen Abstandsregler mit einem Notbremssystem sowie ein Warnsystem gegen das Verlassen der Fahrspur spürbare Verbesserungen. Es hilft gerade bei langen Fahrten Unfälle zu vermeiden, wenn der Fahrer müde wird. Heute werden für alle schweren Lkw Abstandsregler, Spurhalteassistenten und ESP angeboten. Praktisch alle neuen Pkw besitzen heute auch ein Anti-Blockier-System. Schlechter sieht es bei Motorrädern aus: Nur etwa 20 Prozent der Motorräder auf Deutschlands Straßen sind mit ABS ausgerüstet. Das ist viel zu wenig. Wir konnten bereits im Jahr 2005 in einer Studie nachweisen: Hätten alle Motorräder ABS, gäbe es jedes Jahr 70 bis 100 tote Motorradfahrer weniger.

Welche Sicherheitssysteme würden Sie beim Neukauf eines Pkw empfehlen?

Heute sollte jedes neue Fahrzeug das Antischleudersystem ESP und das Antiblockiersystem ABS an Bord haben. Außerdem sollte man bei der Anschaffung möglichst nicht auf den Bremsassistenten verzichten. Im Notfall spricht die Bremse schneller an und verkürzt den Bremsweg um wertvolle Meter.

In den USA wird ESP für alle Fahrzeuge ab 2012 zur Pflicht. Müssten bei uns auch Gesetze die Verbreitung solcher Sicherheitssysteme fördern?

Unbedingt. Gerade für Lkw fordert die Allianz die verpflichtende Ausrüstung mit vorausschauendem Notbremssystem und Spurhalteassistent. Außerdem wäre es aus Sicht der Unfallforschung wünschenswert, ESP schon ab 2010 in allen neuen Pkw zu haben und nicht erst 2012, wie es die Europäische Kommission im Rahmen eines Verordnungsvorschlags plant.

Bedeuten mehr elektronische Systeme wirklich mehr Sicherheit oder führen diese nicht auch zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl?

Das ist ein entscheidender Punkt. Gerade Navigations- und Kommunikationssysteme bergen bei verbotener Handhabung während der Fahrt die Gefahr, die Aufmerksamkeit der Fahrer zu beeinträchtigen. Wir müssen den Fahrer vor einer Überflutung mit Informationen schützen und bei jedem System gründlich hinterfragen, ob es nicht nur ein Sicherheitsgefühl vorspiegelt, das gar nicht existiert. Je weniger ein System den Fahrer ablenkt, desto besser. Das beste System ist jenes, das der Fahrer gar nicht bemerkt und erst im Notfall aktiv wird.

Welche Fahrerassistenzsysteme wird es in Zukunft geben?

Technisch ist bereits ein so genanntes E-Call-System möglich, das bei einem schweren Unfall automatisch die GPS-Positionsdaten der Unfallstelle an die Rettungsdienste übermittelt. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es auch Systeme geben, die in einem Stau automatisch den Abstand regeln, leicht Gas geben und bremsen. Geforscht wird außerdem an der Car-to-Car-Kommunikation. So können etwa Autos von entgegenkommenden Fahrzeugen Stauinfos empfangen. In weiter Zukunft wäre es sogar vorstellbar, dass Lkw auf bestimmten Strecken komplett autonom fahren. Die Gesellschaft müsste jedoch zuvor darüber entscheiden, ob die Verantwortung des Fahrers auf automatische Systeme übertragen werden kann.

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