piwik no script img

US-Rettungspaket für FinanzsektorEin Sozialismus für wenige

Das US-Hilfspaket, mit dem der Staat den Banken faule Kreditpapiere abkauft, ist verabschiedet. Sicher ist: Den verschuldeten Hausbesitzern hilft es kaum.

Ob das enorme Rettungspaket das Vertrauen in die Finanzmärkte zurückholen kann, ist unter Ökonomen heiß umstritten. Bild: dpa

Mehr als einmal nahmen US-Abgeordnete während der vergangenen Woche das Wort "Sozialismus" in den Mund, um damit ihre Ablehnung des 700 Milliarden teuren staatlichen US-Rettungspakets für den US-Finanzsektor zu untermauern. "Ich wähle die Freiheit statt das Brot", hatte einer der republikanischen Neinsager, Thaddeus McCotter aus Michigan, getönt - und das Hilfspaket auch beim zweiten Durchgang im Repräsentantenhaus abgelehnt. "Das ist kein Sozialismus", konterten am Wochenende Vertreter der beiden linken US-Parteien in seltener Einigkeit. "Das Hilfspaket für die Wall Street wird nicht der Arbeiterklasse helfen", stand auf einem Flugblatt der Kommunistischen Partei der USA. Und Seth Dellinger, der Kongresskandidat der Sozialistischen Arbeiterpartei, ließ Passanten auf dem Campus der Washingtoner Georgetown University am Wochenende wissen, dass "die Herrschenden das kapitalistische System neu organisieren können, so lange sie wollen - am Ende wird immer ein System herauskommen, in dem einige wenige superreiche Familien den Rest kontrollieren werden".

Auch kurz nach der endgültigen Verabschiedung des Hilfspakets am Freitag ist klar: Die staatliche Rettungsaktion bleibt eine ungeliebte, umstrittene und schlussendlich auch völlig unberechenbare Maßnahme, egal von welcher ideologischen Grundlage aus sie betrachtet wird. "Dies wird die Krise nicht beenden", schrieb Kolumnist Paul Krugman in der New York Times. Experten stimmen Krugman zu. Sie sind sich einig, dass die Stabilisierungsaktion nur der erste Schritt sein dürfte. Und dass es noch lange kriseln wird - und zwar auf allen Ebenen der US-Wirtschaft.

"Staatliche Bankensanierung ist nur der Anfang", ist sich auch der Ökonom Lawrence Summers sicher, der als US-Finanzminister der Clinton-Administration weiß, welche wichtigen Notbremsen zu ziehen schon die Demokraten in den 90er-Jahren nicht willens waren. In einem Beitrag für die Washington Post schrieb Summers, den Vereinigten Staaten stünden weitere, "sehr wichtige taktische Fragen" bevor, "wenn die Chance zur Schadensbegrenzung maximiert werden soll".

Obwohl keiner der verantwortlichen Politiker, wie US-Finanzminister Henry Paulson und Vertreter der Administration bis hinauf zu Bush selbst, es so darstellen wollen, kann das Rettungspaket in Wahrheit nur einen Teil der Faktoren angehen, die für den Ausbruch der Krise verantwortlich waren. Dass die Krise sich nun auch in Europa deutlich bemerkbar macht, wird in Washington mit Besorgnis registriert.

Eine der Hauptknackpunkte der staatlichen Sanierungsspritze ist der geplante Aufkauf des sogenannten Giftmülls, der faulen Kredite aus dem Hypothekenmarkt, mit denen vor einem Jahr die Finanzmisere begonnen hatte. Es ist just diese Idee der staatlichen Einmischung in das freie Spiel des Marktes, die in den Augen zahlreicher Republikaner so schlimm ist. Das Vorhaben sei "unamerikanisch", hatten etliche konservative Politiker geschnaubt.

Der nun dazu genehmigte Fonds soll es dem US-Finanzministerium ermöglichen, faule Immobilienkredite und darauf basierende Wertpapiere aufzukaufen. Bedingung ist, dass diese vor dem 14. März 2008 ausgegeben worden waren. An diesem Tag war mit dem Ende der Investmentbank Bear Sterns das Ausmaß der Krise deutlich geworden. Der Staat plant, diese toxischen Kredite so lange zu halten, bis das Vertrauen in die Märkte zurückgekehrt ist und sich wieder Käufer für die im Prinzip durchaus mit realen Gegenwerten versehenen Papiere finden.

Gefüllt werden soll der Fonds durch die Ausgabe neuer US-Staatsanleihen. Das hat zur Folge, dass sich der ohnehin schon klamme Staat zusätzlich verschuldet. Damit das überhaupt legal machbar ist, wurde extra die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze der US-amerikanischen Staatsverschuldung um jene 700 Milliarden US-Dollar angehoben. Die Staatsanleihen werden vermutlich hauptsächlich im Ausland verkauft werden, da die Rücklagen der US-Amerikaner und damit ihre Sparquote sensationell niedrig sind.

Der Aufkauf der faulen Kredite soll über vom Finanzministerium beauftragte Vermögensverwalter laufen. Ihre Aufgabe wäre es, die infrage kommenden Wertpapiere in einer Art "umgekehrter Auktion" zum niedrigstmöglichen Preis zu kaufen - und später, wenn sich die Lage wieder stabilisiert hat, gewinnbringend zu verkaufen. Bei diesen Negativauktionen sollen Banken und andere Finanzunternehmen wie Pensionskassen ihre Subprime-Kreditpapiere anbieten. Den Zuschlag bekommt das niedrigste Angebot.

Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass kein Verkäufer schlechter Kreditpakete mehr dafür bekommt, als er bezahlt hat. Das große Problem ist: Da es für solche Produkte keinen Markt gibt, gibt es auch keine realen Marktpreise eines "faulen Kredits".

Der Wert dieser Investments ist auch deshalb kaum richtig einzuschätzen, weil - wie Robert Shapiro, Wirtschaftsberater unter Bill Clinton, meinte - die Zahl der Zwangsversteigerungen weiter zunehmen werde. Die steigende Zahl der nicht bedienten Kredite wird aber ihren Wert weiter verringern.

Es sei daher unmöglich, die wirklichen Kosten für den Staat genau vorherzusagen. Dies hänge auch davon ab, wie gut der Plan abgewickelt werde. Einen Hoffnungsschimmer bietet immerhin das Budgetamt des US-Kongresses. Das geht davon aus, dass der Bail-out - also das "Herauskaufen" der faulen Kredite - im Endeffekt "wesentlich weniger" kosten werde als 700 Milliarden US-Dollar.

Ging es vielen US-Abgeordneten darum, durch die zähen Kompromissverhandlungen zu erreichen, dass die Hilfsaktion auch die US-Bürger und nicht nur die Finanzhaie absichert, so bezweifeln Experten vor allem diesen Effekt des Hilfspakets. Denn was Verbraucherschützer vehement gefordert hatten - dass nämlich Insolvenzrichter Zwangsversteigerungen verhindern dürfen -, wurde in dem Rettungspaket nicht verankert. Das bedeute, so Alys Cohen vom National Consumer Law Center, dass das Rettungspaket den zahlungsunfähigen Hausbesitzern keine wirkliche Unterstützung anbietet. Sicherheiten gibt es zunächst nur für Mieter zwangsversteigerter Immobilien: Die dürfen nicht mehr auf die Straße gesetzt werden.

Unvorhergesehener Gewinner des Pakets sind alternative Energien. Steuersenkungen und Investitionsanreize für Renewables waren als "Süßstoff" beigefügt worden, um zögernden Abgeordneten ihr Ja zu erleichtern. So sollen zum Beispiel Hausbesitzer, die sich eine Solaranlage aufs Dach montieren lassen, acht Jahre lang einen 30-prozentigen Steuernachlass erhalten - eine Forderung, die ohne das Hilfspaket so schnell nicht durchgekommen wäre.

Die wichtigen Details können nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach Ansicht vieler Ökonomen der gesamte Regulierungsapparat für die US-Finanzbranche dringend modernisiert werden muss. So wurden weite Teile der Bankentätigkeit fast schon überreguliert, bei anderen - wie eben den Hypothekenkredite - fehlten Regeln ebenso wie eine funktionierende Kontrolle. US-Hausbesitzer brauchen Umschuldungsmöglichkeiten, damit sich nicht nur der Immobilienmarkt, sondern die gesamte Konsumwirtschaft berappeln kann, bevor die US-Wirtschaft in eine Rezession schlittert. Er kenne nur "sehr wenige Fälle", sagte Notenbankchef Ben Bernanke vorige Woche vor dem Kongress, "in denen man ein solches Ausmaß eines finanziellen Zusammenbruchs hat, ohne dass das schwere Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte". Künftig könnte jedenfalls die Frage "Brot oder Freiheit?" auch mal anders beantwortet werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • MM
    Michael Miller

    Neoliberale Wirtschaftsideen, gepaart mit krimineller Energie und Zockerhandeln, sorgen real für die größte Welt-Finanzkrise. Man glaube aber nicht, dass daraus der übermächtige Mythos des freien Marktspiels geknackt wäre, die Akteure zur späten Vernunft kämen.

    Selbst wenn einige internationale Regulierungen kommen, wer verleiht diesen neuen Institutionen/Kommissionen reale Macht und Unabhängigkeit? Über welche Qualifikationsprofile müßten die "Kontrollmanager" verfügen?

    Parallel müßte man an einer breiten sozioökonomischen Grundbildung der Bevölkerung interessiert sein und das Sperrfeuer medialer Gewalt der marktschriererischen Sprachdreschmaschinen zügeln.Sprachkritik wäre notwendige Bedingung einer ökonomischen Kritik.

    Freundliche Grüße vom Bildungswirt

  • H
    hto

    Was diese "freiheitliche" Welt- und "Werteordnung" aus- und bezeichnet: Kommunikationsmüll in AKTIONISMUS und ZYNISMUS!!!