Neue Sat.1-Soap: Big is beautiful
Mit "Dr. Molly & Karl" setzt das Privatfernsehen nicht nur auf eine mollige Hauptdarstellerin, sondern traut sich inmitten vieler Klischees sogar noch ein bisschen Niveau zu.
Das größte Wagnis, das ein Privatsender derzeit eingehen kann, ist nicht, eine teure neue Serie mit hoher Flopgefahr zu starten - sondern gleich zwei davon. Kein Wunder, dass Sat.1, wenn es am genau das morgigen Donnerstag tut, auf Nummer sicher geht.
Der eine Neustart handelt von Anwälten ("Plötzlich Papa - Einspruch abgelehnt") und ist nicht weiter der Rede wert; der andere knüpft an den seit langer Zeit endlich mal wieder geglückten Start einer deutschen Serie im Privatfernsehen an: RTL hatte im Sommer mit "Doctor's Diary" um die pummelige Ärztin Dr. Gretchen Haase überraschenden Erfolg. Also kontert Sat.1 jetzt mit "Dr. Molly & Karl" - wobei die die Sat.1-Ärztin gut doppelt so pummelig wie die RTL-Kollegin - also mollig - ist. Zur Sicherheit heißt sie auch noch Dr. Molberg und ist genau das, was Dr. Haase nicht ist: ein bisschen bärbeißig, also der erste wirkliche Versuch, das erfolgreiche Prinzip der bei RTL beheimateten Krankenhausserie "Dr. House" einzudeutschen.
"Dr. Molly & Karl" zeugt aber nicht nur von der gegenwärtighen Verfassung des Privatfernsehens, sondern sorgt für ein Wiedersehen mit vielen Bekannten aus der eigenen Geschichte: Produziert wird die Serie von der Berliner Firma "Producers at Work", die zu zwei Dritteln der ProSiebenSat.1-Gruppe gehört und eigentlich helfen soll, dass Gewinne aus der Filmproduktion für die eigenen Sender im konzern bleiben
Allerdings schwimmen "Producers at Work" derzeit nicht gerade auf einer Erfolgswelle. Vor allem die von ihnen produzierte Sat.1-Telenovela "Anna und die Liebe" kippelt ziemlich. Mit "Dr. Molly" greift jetzt aber wieder Alicia Remirez ein, die als Fiktion-Chefin bei Sat.1 dreizehn Jahre lang viel bewegt hatte. In die Ära der gebürtigen Spanierin fiel die sensationelle Aufwallung von Ambition, als Sat.1 im Jahr 2001 gleich drei zeithistorische Zweiteiler (darunter "Der Tanz mit dem Teufel" über die Oetker-Entführung und "Der Tunnel" über die Berliner Mauer) sendete. Ganz nebenbei entstand so die Fernsehgattung der Event-Zweiteiler. Auch die nicht unspektakuläre Serien-Qualitätsoffensive von 2005 ist Remirez, die 2007 den Sender verließ, zu verdanken.
In die Krise kopiert
In der Süddeutschen Zeitung hatte sie damals beklagt, deutsche Fernsehmacher hätten sich "in die Krise kopiert" - woran sie selbst allerdings auch nicht ganz unschuldig war: Unter ihrere Führung hatte Sat.1 in den Jahren zuvor nichts als Romantikkomödien gedreht. Doch 2005 kamen dann die für damalige deutsche Verhältnisse sensationell schnelle Frisöreserie "Bis in die Spitzen" und der Thriller "Blackout" heraus. Beides erwies sich für Sat.1 leider als Flopp, vor allem "Blackout" wird als Programmierungs-Desaster (Sat.1 wollte den Achtteiler an vier Sonntagabenden senden, hielt aber nur zwei durch) legendär bleiben.
Auch direkt im Krankenhaus gibt es ein Wiedersehen mit einer alten Bekannten: Floriane Daniel war die ungekrönte Königin der Remirez'schen Romantikkomödien und spielt nun die Mutter eines Jungen, der an einem seltenen Hirntumor leidet.
Chefärztin Dr. Molly (Sabine Orleans) ist aber gerade besonders bärbeißig, weil eine Rivalin auftaucht: Die Psychologin Dr. Carlotta Edelhardt (Susanna Simon) ist edel und hart, schlank und tough. Und Floriane Daniel versteht es weiter perfekt, wenn nicht Charaktere, so doch dramaturgische Funktionsprinzipien zu verkörpern : Sie verweigert in Folge 1 das Einverständnis zur für ihr Kind lebenswichtigen Operation so lange, bis sich die Episode dem Ende zuneigt.
Dazwischen necken sich Orleans und Simon in vielen schnellen Dialogen. Und immer wenn man seufzen möchte, wie aufgeblasen die Konflikte, wie konstruiert die Dramaturgie und wie platt die Charaktere auf die Priva-TV-Einfalt zugeschnitten sind, entfährt Dr. Molly vor dem Spiegel ein authentisches "Gott, siehst Du scheiße aus!".
Diese Schärfe, die schon "Bis in die Spitzen" ausmachte, blitzt zwar nur so fein dosiert auf, dass das Sat.1-Stammpublikum nicht verschreckt wird. Aber immerhin häufig genug, um Freunde besserer Serien nicht komplett zu beleidigen. An der Herausforderung, deutsche Serien mit Niveau zu produzieren, arbeiten die Privatsender - siehe "Dr. Molly" - also immer noch. Und die Öffentlich-Rechtlichen noch immer nicht.
"Dr. Molly & Karl": Sat.1, Do., 21.15 Uhr
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