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Stunk in Löws NationalelfEnde des Hurra-Konzepts

Beleidigt, geflüchtet, ausgeschieden. Die Stimmung der Spieler der Fußball-Nationalmannschaft ist mies. Nicht nur Einzelinteressen treffen aufeinander, sondern auch "Philosophien".

Kerniger Urzeitfußballer Frings und Neubänker Bierhoff in Harmonie: Das war 2006. Bild: dpa

So ändern sich die Zeiten. Als 2006 in Deutschland eine sogenannte Fußballweltmeisterschaft der Männer stattfand, bekam Fußball eine sogenannte Philosophie verpasst, ausgetüftelt von Jürgen Klinsmann als Trainer der deutschen Mannschaft und Oliver Bierhoff, Teammanager und Klinsmanns Mann fürs Wirtschaftsvokabular. Gut, auch Klinsmanns Vorgänger Rudi Völler hatte schon eine Philosophie gehabt - sie lautete: "Brasilianische Spielweise einfordern mit Füßen aus Malta, das geht eben nicht." Aber Klinsmann und Bierhoff entwickelten das erste von A bis Z durchgestylte Gesellschaftskonzept. Ziel: alles positiv, gute Laune, hurra Deutschland.

Das Konzept - Schaffung eines neuen nationalen Befindens mit Methoden der modernen Wirtschaft und dabei gut Asche machen - stellte die Unterhaltungsfunktion des Fußballs in den Mittelpunkt. Es beinhaltete ein gewisses Risiko, zu scheitern. Es war neu. Lothar Matthäus hatte nichts zu sagen. Kurz, es hatte viel Gutes. Doch nun, 2008, ist Stunk. Nach den Streitigkeiten zwischen den Spielern Torsten Frings und Michael Ballack sowie den Verantwortlichen Joachim Löw (Trainer) und Bierhoff muss man festhalten: An "Alles positiv, gute Laune", muss wieder gefeilt werden. Zur Erinnerung Bierhoffs und Klinsmanns Zehn-Punkte-Plan für die WM 2006:

1. Verkrustete Strukturen aufbrechen. 2. Tschüssi, Sepp Maier! 3. 5:4 besser als 1:0. 4. Nur noch US-Bier in den Stadien verkaufen. 5. Alte Teamhierarchie kippen: Kahn ("Druck", Weibergeschichten) raus, Bierhoffs alten Buddy Jens Lehmann rein. 6. Ganz wichtig: Anarchie verhindern. Mannschaftsintern Strukturen schaffen. Ziel: Geschlossenheit. Zudem: Trainer first. Dafür "Respekt, Professionalität und Benehmen" (Bierhoff) etablieren. Also auch Gefügigkeit. 7. Raus aus der Pampa, ab nach Berlin wegen Volksnähe. 8. Gegen den Costa-Ricaner gewinnen und dann den Polen durch die Wand hauen. 9. Jubel und schön bunt überall. Deutschland ist wieder wer, entspannt und alles. Sönke Wortmann filmt. 10. Fertich

Tja. So geil war das damals. Was aber ging nun schief? Nach dem verlorenen Finale der EM 2008 musste selbst der hastige Nachrichtenkonsument die Unstimmigkeiten bemerken, die bereits in Wortmanns Film "Sommermärchen" angedeutet waren: Stritt sich da tatsächlich Kapitän Ballack mit Manager Bierhoff? In diesem Moment, spätestens, war das 2006er-Konzept, für alle offensichtlich, in Punkt sechs (Respekt, Professionalität, Benehmen) erneuerungsbedürftig.

Mittlerweile ist Banksitzer Kevin Kuranyi beleidigt ausgeschieden. Torsten Frings, 2006 ein enorm wichtiger Spieler, hat sich massiv beschwert. Ballack sprang seinem Kumpel Frings bei und kritisierte Trainer Löw, der sich das wiederum nicht gefallen lassen will.

Ein Streit zwischen Personen mit Einzelinteressen? Auch, aber nicht nur. Sondern ein Streit zwischen zwei "Philosophien": der Old-School-Variante, die der langhaarige Frings vertritt: "Was zählt, ist aufm Platz, lasst mich gefälligst spielen!", und der Neo-Fußball-Variante, die Bierhoff verkörpert, der 2002 sein BWL-Diplom erlangte und dessen Banklehrlingsfrisur selbst nach Kopfballtoren immer aussah wie mit der Mörtelkelle gezimmert.

Es geht nun um die Verschränkung der Ansätze: Bierhoff muss die von ihm mit einer "neuen Identität" (Bierhoff) versehene Marke Nationalelf verteidigen. Das hängt aber auch vom sportlichen Erfolg ab, für den Trainer Löw zuständig ist und der dafür Leute wie Michael Ballack braucht, der sich allerdings klar positioniert hat, indem er zuletzt etwa kritisierte, Oliver Kahn hätte in dem lange schwelenden und als Konkurrenzkampf getarnten Showduell um den Platz im Tor gegen Bierhoffs Kumpel Jens Lehmann nie eine Chance gehabt. Was also tun? Da ist guter Rat teuer.

Andererseits, war da nicht mal was? Gab es nicht immer wieder einmal Querelen in der Nationalmannschaft? Paul Breitner, Toni Schumacher, Stefan Effenberg - tatsächlich, es hat immer Spieler gegeben, die den Mund aufmachten. Nichts ist neu daran, nichts strukturell schlimm. Gescheitert ist nur der immer Schnapsidee gewesene Gedanke, Fußballspieler könnten, wenn sie erst einmal persönliche Medienberater haben, integrierbare Segmente mit Funktionsknopf werden. Sonst nichts. 2010 ist Weltmeisterschaft, und alle reden wieder, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das wird geil.

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4 Kommentare

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  • L
    Lorbass

    Die von den "alten" Spielern beklagte Eventisierung des Fussballs mit den damit verbundenen Konsequenzen hat erst die Wochengehälter von 150.000.- Euro ermöglicht wie z.B. Herr Ballack es bezieht. Nun wird man die Geister die man fürs Portemonaie gerufen hat nicht wieder los. Traurig aber wahr oder dumm gelaufen ?

  • SK
    Susanne Klein

    also ich finde ballack sollte sich mal ein bisschen zurückhalten! was zählt, ist die leistung auf dem platz und wenn frings oder wer auch immer nicht so gut ist, müssen sie das akzeptieren. die erfolge in den spielen geben löw schließlich recht. und von wegen "lehmann ein kumpel von bierhoff": mag sein, aber das tut nichts zur sache! sportlich (und menschlich) steht lehmann kahn um nichts nach!!

  • JB
    Jörg Betzin

    Solange Individualisten zu Statisten geformt werden sollen um Strategien(in dem Fall Bierhoffs Egotrip samt Vetternwirtschaft)umzusetzen wird es immer wieder Unruhe geben.Die Fähigkeit einer Teamführung besteht aus meiner Sicht darinnen verschiedene Charaktere zu belassen und entprechend zu integrieren und nicht in ein System zu pressen.Bierhoff und zunehmend auch Löw spüren Gegenwind;hier wird sich zeigen ob sie nicht nur mit dem Produkt Fussball umgehen können sondern viel mehr mit Menschen.

  • 2
    2idane

    Naja, ein ziemlicher Old-School-Kommentar... Der jetzt offen ausbrechende Konflikt ist ein nachgeholter: Schon vor der WM war atmosphärisch zu spüren, dass altgediente Spieler in der "neuen Philosophie" kaum mehr als eine Marketing-Idee sahen. Dass sie aber im Kern eher in der dringend überfälligen Modernisierung und Verwissenschaftlichung des traditionellen deutschen Fußballwesens ("raus und kämpfen!") besteht, haben Spieler wie Ballack und Frings (ähnlich wie viele Trainer, Funktionäre - und Kommentatoren) bis heute nicht verstanden und akzeptiert.