piwik no script img

Urteil gegen AtomkraftwerkePolitik kann alte AKWs abschalten

Weil sie nicht gegen Terrorattacken geschützt sind, können Bund und Länder die Stilllegung von Atomreaktoren durchsetzen. Hessen will diese Möglichkeit für Biblis nutzen.

Das Atomkraftwerk Biblis soll abgeschaltet werden. Bild: dpa

BERLIN taz Weil sie nicht ausreichend gegen terroristische Angriffe geschützt sind, können sieben ältere Atomkraftwerke von den Aufsichtsbehörden kurzfristig stillgelegt werden. Diese Schlussfolgerung zieht die Vereinigung Eurosolar aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom April dieses Jahres. Das Gericht hatte einer Anwohnerin das Recht auf Schutz vor Strahlung vom Atomkraftwerk Brunsbüttel zugesprochen (AZ 7 C 39.07). Die Betreiber könnten sich demnach nicht auf die Zuständigkeit des Staates für die Terrorabwehr berufen, sondern müssten den Schutz der Bevölkerung bestmöglich gewährleisten, sagte am Mittwoch die Juristin Cornelia Ziehm, die das Urteil im Auftrag von Eurosolar analysiert hat.

Insgesamt sieben Atomkraftwerke älterer Bauart haben so dünne Betonwände, dass sie Flugzeugabstürze oder Angriffe mit panzerbrechenden Waffen nicht überstehen würden, sagte Ziehm. Dies sind Brunsbüttel, Philippsburg 1, Isar 1, Biblis A und B, Neckarwestheim 1 sowie Unterweser. Die zuständigen Atomaufsichtsbehörden der Bundesländer hätten nun die Möglichkeit, bei allen Atomanlagen, die nicht ausreichend gesichert sind, nachträgliche Auflagen anzuordnen oder die Betriebsgenehmigung zu widerrufen.

Diesen Weg könnte das Bundesland Hessen bei den Atomkraftwerken in Biblis gehen, deutete Hermann Scheer an. Der SPD-Politiker ist nicht nur Präsident von Eurosolar, sondern ab nächster Woche voraussichtlich Wirtschaftsminister in Hessen. Unmittelbar zuständig für die Atomkraftwerke ist dort zwar das Umweltministerium, doch in Sachen Atom sei sich die Koalition einig: "Man muss damit rechnen, dass diese Regierung einen konsequenten Kurs zum Ausstieg aus der Kernkraft verfolgen wird", sagte Scheer. "Es gibt keinen anderen Weg, als die ungesicherten Reaktoren abzuschalten."

Voraussetzung dafür, dass die Länder aktiv werden können, ist laut Gutachterin Ziehm aber, dass die Bundesregierung zunächst eine neue Verordnung erlässt, die Strahlungshöchstwerte für den Fall eines Terrorangriffs definiert. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstützte auf Anfrage zwar die Forderung, ältere AKWs früher stillzulegen als bisher geplant. "Das ist eine logische Konsequenz aus der Terrorgefahr." Sicherheitsvorschläge wie eine plötzliche Vernebelung der Reaktoren hätten sich als "nicht tragfähig" erwiesen, sagte Gabriel. Zu konkreten rechtlichen Veränderungen als Konsequenz aus dem Urteil und dem Eurosolar-Gutachten wollte er sich jedoch erst nach einer genauen Prüfung äußern.

Wenn Bund und Länder kooperieren, könnte die Abschaltung der AKWs innerhalb weniger Monate erfolgen, sagte Ziehm. Da die Betriebsgenehmigungen durch den Atomkonsens ohnehin begrenzt seien, hielte sich der wirtschaftliche Schaden zudem in Grenzen. Wenn die verbleibenden Reststrommengen, wie im Konsens vorgesehen, auf neuere Anlagen übertragen würden, sei keine weitere Entschädigung nötig.

Falls der Bund keine Verordnung erlasse, könnten die Länder dies über eine Organklage erzwingen, sagte Ziehm. Hermann Scheer hofft allerdings auf Kooperation: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies Urteil am zuständigen Minister spurlos vorbeigeht."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • SS
    Sebastian Schwerdt

    Wie sicher schon bekannt ist, standen die beiden AKW´s in Biblis ca ein Jahr lang still ohne, dass das deutsche Stromnetz zusammengebrochen ist.

     

    Mir als juristischem Laien erscheint es so, dass Herr Scheer die genannten Institutionen nicht stilllegen müsste, da noch niemand den Schutz vor diesen Gefahren eingeklagt hat.

    Aber als verantwortungsbewusster Bürger werden Sie das sicher noch tun im Fall der Fälle.

  • P
    Palamino

    Nicht schlecht, aber was ist mit der Erneubare Energie die immer noch nicht überrall in Deutschland ist. wird vielleicht der Strom billiger

  • BG
    Bürger G.

    da auch die hier als "älteren" Anlagen bezeichneten Kernkraftwerke ausreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert sind, wird auch ein Scheer diese Anlagen nicht vom Netz nehemen können!

     

    ...des Weiteren müsste Scheer dann auch umgehend den ganzen Standort Höchst (Chemieindustrie) und natürlich das Marbuger Institut für Viren schließen, denn diese sind auch nicht gegen hypothetische Terrorakte ausgelegt und können potentiell tausende Menschen töten....

     

    ...und außerdem muss Scheer und Gabriel ein gesetz erlassen, was die Samsonite-Koffer bombensicher macht, denn sonst hat der gemeine Bahnreisende auch keinen Terrorschutz! ;-)

  • S
    snowie

    Ach [Vorsicht Ironie] da müsste "man" ja ein bisschen Strom sparen

     

    (zumindest bis die EE entsprechend ausgebaut sind, was die großen AKW Betreiber zu verzögern wissen, da sie ja zugleich fast ein Monopol auf Offshorewindparks und ähnliches haben)

     

    Dann schon lieber einen GAU. Wird schon die anderen treffen, vielleicht auch nur im fernen Frankreich ... und verstrahlte Waldpilze etc sind wir ja schon seit 1986 gewohnt.

  • B
    bauli20000

    Herr Gabriel, handeln sie! Das wäre die erste sinnvolle Handlung der Bundesregierung zur Verbesserung der inneren Sicherheit gegen Terroranschläge.