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die wahrheitdie phrasenritter der schwafelrunde auf ihrem krisenzug

Irgendwann in der 999. Woche der sogenannten Finanzkrise sagte irgendein Minister, Banker oder Journalist in ein Mikrofon: "Jeder Käse ist immer auch eine Schanze."

Irgendwann in der 999. Woche der sogenannten Finanzkrise sagte irgendein Minister, Banker oder Journalist in ein Mikrofon: "Jeder Käse ist immer auch eine Schanze." Das jedenfalls verstand ich, und ich wusste in diesem Moment: Nicht meine Ohren rebellierten, sondern mein Verstand sollte mürbe gemacht werden durch die dauernde Wiederholung der dümmsten Phrase der Welt: "Jede Krise ist immer auch eine Chance."

Genau das wollten sie, die Phrasenritter der Schwafelrunde auf ihrem Krisenzug. Sie hatten das schwere Schwadronierkettenhemd übergestreift und das mächtige Floskelschwert gezogen und metzelten nun jeden Sinn nieder. Längst fragte niemand mehr nach der tieferen Bedeutung der Krise.

Wie ein weißer Ritter wurde da vor kurzem der Bürgermeister der Krisenhochburg New York City in Berlin empfangen. Auf die Frage, wie man mit der Finanzkrise umgehen solle, antwortete Michael Bloomberg: "Jede Krise ist immer auch eine Chance." Und der Multimilliardär ergänzte: "Jetzt sollte jeder bauen, bauen, bauen." Ja, man sieht sie schon vor sich, die Armen der Welt, wie sie, angespornt von den weisen Worten des Superreichen, Steine stapeln und neue Schlösser bauen auf den Brachflächen von Berlin bis New York. Denn Krise ist ja immer eine Chance. Fragt sich nur: Für wen? Am Ende werden doch wieder nur die Schwafelfürsten von der Krise profitieren.

Und damit das auch ganz sicher so sein wird, haben die Krisengewinnler bereits die zweitdümmste Phrase der Welt zur Verstärkung gerufen: "Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war." Das war ja schon nach dem Elftenseptember so. Seither ist angeblich nichts mehr, wie es einmal war. Die Nichts-Phrase aber soll nur eins erzeugen: Angst. Bekanntlich macht Angst Menschen gefügig. Doch inzwischen sind die Menschen, die Tag für Tag in den Medien mit Chaosnachrichten und Katastrophenmeldungen bombardiert werden, völlig abgestumpft. Also braucht es als Gegenelement zur Angst wieder die Beruhigung und die Hoffnung, dass der Krise eine Chance innewohnt und so weiter und so fort - immer im Wechsel. Denn wer ständig zwischen Chance und Nichts hin und her geworfen wird, will irgendwann nicht mehr wissen, was tatsächlich die Ursache für die Krise ist, und vergisst den Zweifel an einer Gesellschaftsordnung, die solche Krisen überhaupt erst hervorbringt.

Als letzte Waffe wird schließlich die drittdümmste Phrase der Welt in Stellung gebracht: "Die Wahrheit ist immer das erste Opfer des Krieges." Auch dieses Dummwort wurde bereits auf die Krise umgemünzt. Und wie im Krieg muss man auch in der Krise wieder fragen: Ist die Wahrheit tatsächlich erst jetzt ein Opfer? Wurde denn vor der Krise immer die Wahrheit gesagt? Selbstverständlich nicht! Aber in der Phase drei des Phrasenkriegs herrscht nach Optimismus und Pessimismus die Besserwisserei. Alle wussten es schon vorher, so konnte es ja nicht mehr weitergehen. Wird es aber doch. Jedenfalls wenn man sich auf der Besserwisserei ausruht. Dann wird es nicht lange dauern bis zur nächsten Krise, wenn das Sinngemetzel der Phrasenritter von vorne beginnt: "Jeder Käse ist immer auch eine Schanze."

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4 Kommentare

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  • L
    Lothar

    Als Schüler waren wir befreundet, wir saßen nebeneinander, und bei den Klassenarbeiten hat er, wann immer möglich, von mir abgeschrieben. Die anderen nannten ihn einen "ängstlichen Phraseur", und - ach ja - einmal habe ich ihn beim Baden im Main vor dem Ertrinken gerettet. Als ich ihm kürzlich zufällig begegnete, konnte er sich beim besten Willen nicht an damals erinnern, ich war ihm lästig, störte - wie auch nicht? Er war inzwischen Oberbürgermeister und befand sich in Begleitung eines Landtagsfraktionsvorsitzendenstellvertreters.

  • G
    Gretchen

    Danke für diesen Artikel!

    Bei aller Wahrheit an dem Ausspruch "In jeder Krise liegt eine Chance" ist es völlig richitg, dass das in diesem Falle der Volksverdummung dient. Da muss es wirklich eher heißen: "In jedem Käse liegt eine Schanze." Am besten noch mit bayerischem Dialekt!

  • G
    Gabi

    Nachtrag:

    Was mir nun noch einfällt, ist eine Frage, die eigentlich noch nie wirklich beantwortet worden ist.

    " Hat eine Frau Merkel im Sozialismus der DDR eigentlich genauso viel verdient wie der Arbeiter oder der Bauer?"

    Das hat ja nun auch etwas mit Phrasen zu tun.

    Das möchte ich auch gerne wissen und wäre deshalb für eine Antwort sehr dankbar.

    Die Privilegien hingen ja nun sehr von der Einstellung des Bürgers ab; das ist gewiss.

    Aber was ist mit den Einkommen?

  • G
    Gabi

    Genau!

    Man sollte sich mal die Länder anschauen,die eigentlich schon immer diesem "Neokapitalismus" gefrönt haben.

    Da wären z.B. die Philippinen. Dort werden Kinder geboren, damit sie auf den Strich gehen können, um ihre Familie zu ernähren.

    Warum?

    Die kennen dort kein Sozialsystem.

    Genau das, was sie bei uns immer abschaffen wollten; dazu waren ja die bisherigen Reformen gedacht.

    Amerika war auch auf diesem Trip. Dort wurde allerdings das Dilemma umgangen; man spendierte großzügig Kredite und Kreditkarten, die niemals bezahlt wurden.

    Ich möchte nicht wissen, welche begrabenen Summen dort auf den Friedhöfen liegen. Die wir übrigens mit unseren Ersparnissen bezahlen oder bezahlt haben.

    Und das, was wir heute hören, lesen oder in diversen Talk-Shows sehen, ist eigentlich nur "noch ein Versuch", die so genannte "Freie Welt" zu retten.

    Nee, ich bin kein Kommunist. Marx geht mir auch auf den Senkel.

    In der DDR musste ein ganzes Volk für den Wohlstand einiger Weniger schuften.

    Nee, dafür bin ich nicht.

    Aber unsere "Soziale Marktwirtschaft", die fand ich super.

    Und die gönne ich auch Ländern wie den Philippinen.

    Leider haben unsere Politiker sie nicht wirklich verteidigt. Natürlich kann ich verstehen, dass es nicht einfach gewesen wäre in dieser "globalen" Welt. Aber ich hatte auch nicht den Eindruck, dass sie es je wirklich versucht hätten.

    Im Gegenteil, bei manchen hatte ich den Eindruck, sie haben es für ihren eigenen Vorteil genutzt.

    Was mich verwundert: Nun schauen sie alle so glücklich aus! Endlich können sie mal sagen, was ihnen schon immer auf dem Herzen lag! Ja, so sehen sie aus, wenn sie reden!

    ????!!!!!???

    Was soll man davon halten?

    Vertrauensbildend ist das nicht.