Spritpreise reduzieren den Verkehr: Milimeterarbeit in Manila
Die gestiegenen Benzinpreise haben erstaunliche Nebeneffekte: In Manila hat sich der Autostau aufgelöst. Auch für Verkehrspolizisten brechen neue Zeiten an.
Wenn ich Menschen in Deutschland erzähle, dass ich in Manila auf den Philippinen lebe, nehmen diese oft automatisch an, dass ich meine Tage hier damit verbringe, mit einem Cocktail in der Hand am Swimmingpool zu entspannen. Nichts könnte weiter entfernt von der Wahrheit sein.
Manila ist kein verträumtes Nest in den Tropen, sondern eine Megalopolis mit zwölf Millionen Einwohnern, die mit ihrem Chaos der Alptraum jedes Stadtplaners wäre. Statt am Pool zu chillen, kämpfe ich mich entweder in brütender Hitze oder jetzt in der Regenzeit während naturkastrophenartigen Regengüssen durch eine Großstadt, die eine ungute Ähnlichkeit mit postapokalyptischen Science-Fiction-Städten à la "Blade Runner" hat. Der Verkehr in Manila bewegt sich tagsüber in Zeitlupe durch die überfüllten Straßen und macht die Millionenmetropole zu einer der Städte mit der weltweit schlimmsten Luftverschmutzung. Gegen Manila wirkt die angebliche internationale Metropole Berlin wie ein beschaulicher Luftkurort.
Der Verkehr, der Lärm, das Gewimmel und die Hitze in der Stadt geben zarter besaiteten Besuchern schnell den Rest, und nach wenigen Tagen Manila besteigen sie fluchtartig das nächste Flugzeug, um sich an einen der diversen Traumstrände des Inselreichs fliegen zu lassen. Der Reiseführer hatte ja gleich empfohlen, die Hauptstadt der Philippinen großräumig zu meiden. Wenn man dann wieder in einem kilometerlangen Stau feststeckt und einen die Dieselabgase aus den Bussen im Standbetrieb langsam das Bewusstsein verlieren lassen, kann man ihnen nur recht geben. Nichts wie weg hier!
Inmitten all dieses Verkehrschaos steht mit eiserner Miene der Polizist an der Kreuzung von Tandang Sora Road und Kapitolyo Drive und regelt den Verkehr. Jeden Morgen auf dem Weg zur Uni muss ich an dem hageren Mann mit dem Pokerface vorbei. In glühender Hitze weist er die Autofahrer an der Kreuzung mit starren Blick in ihre Schranken. Mit dem Stoizismus, mit dem man in Asien auch widrigsten Umständen zu begegnen pflegt, bringt er ein kleines bisschen Ordnung in das große Gewirr. Angetan mit einem roten und einem grünen Handschuh hält er kühl den Bewegungsdrang der Autos, Busse und Motorräder im Zaum, die sich am liebsten alle gleichzeitig auf die Kreuzung schieben würden.
Selbst den SUVs der Millionäre aus den umliegenden Gated Communities bietet er Paroli. Sein Monatsgehalt dürfte wahrscheinlich noch nicht mal für einen der Golfschläger in ihrem Kofferraum ausreichen. Aber hier ist er der Chef, und darum lässt er jetzt erst mal den Verkehr auf der Hauptstraße bis zur nächsten Kurve ablaufen. Dabei lässt er sich auch durch das anschwellende Hupkonzert nicht aus der Ruhe bringen. Dann gibt er den Weg für die Abbieger frei, die sich sofort in einem zähen Verteilungskampf auf die Kreuzung schieben. Wenn fünfzig Autos gleichzeitig um die Ecke biegen wollen, ist das Millimeterarbeit. Langsamere Bewegungsprozesse gibt es nur in der Geologie. Der Polizist sieht dem Schieben und Navigieren unbeeindruckt zu, bis es genug ist. Dann hebt er die Hand mit dem roten Handschuh, und nun sind wieder die Autos auf der Hauptstraße dran. Ich sehe aus der Kabine meiner Motorrikscha beeindruckt zu, und nehme mir mal wieder vor, ihm demnächst eine Dose Cola zu spendieren.
So war es wenigstens bis vor einigen Monaten. Dann gingen die Benzinpreise auch in Manila durch die Decke und der legendäre ewige Verkehrsstau in Manila löste sich auf. Die Leute ließen ihre Autos stehen und nahmen den Bus. Strecken, für die man früher Stunden brauchte, sind nun in 30 Minuten zu bewältigen. An der Kreuzung auf dem Weg zur Uni stauen sich keine Autos mehr. Man kann einfach so abbiegen. Und der Polizist mit den Handschuhen und dem Pokerface ist verschwunden. Die Dose Cola habe ich ihm leider nie gekauft.
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