Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie: "Es geht um angemessene Löhne"

Die Unternehmen machen Gewinne wie zuletzt in den 60ern. Die Finanzkrise trifft eher die Unternehmer, so Arbeitgeber-Chef Martin Kannegiesser.

Hohe Löhne gefährden Arbeitsplätze, meint Kannegiesser. Bild: dpa

Tarifrunden laufen immer in denselben Bahnen ab, moniert die Öffentlichkeit. Viele Argumente, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf sich aufmerksam machten, entstammten einem Wiederholungsprogramm. Und in der Tat ist zu konzedieren, dass die traditionellen Erscheinungsbilder der Auseinandersetzung vor allem in diesem Jahr mit der ernst gewordenen Lage kontrastieren. Deswegen haben wir zeitgemäßere Lösungswege vorgestellt und dafür unter anderem mit dem Vorschlag eines gemeinsamen Gesprächs auf Bundesebene geworben. Es geht in einer derart herausfordernden Zeit um Krisenmanagement, in dem der organisationspolitisch motivierte Konflikt zurücktreten und wir uns pragmatischer aufeinander zubewegen sollten. Doch die IG Metall kann oder will nicht mitgehen und zieht sich auf Bewährtes zurück. Zu den alten Platten gehört insbesondere der Kaufkraft-Hit unter dem Titel "Autos kaufen keine Autos". Seine Freudenbotschaft ist ganz einfach: Die Arbeitgeber zahlen eine ordentliche Lohnerhöhung, erfreuen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern helfen am Ende vor allem sich selbst - ganz aktuell wäre das die Rettung für die Autoindustrie. Sie müssen nur die Löhne ordentlich steigern, und bald schon laufen die Bänder wieder. Wäre da nicht ein Pferdefuß: Erhöht der Hersteller den Lohn um 100 Euro, legt er für die Sozialversicherungen noch einmal 20 Euro drauf, sind schon 120 Euro Gesamtkosten aufgelaufen. Beim Arbeitnehmer aber kommen nach Abzug von direkten und indirekten Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträgen 50 Euro an, abzüglich der Sparquote und der Ausgaben für importierte Produkte bleiben 29 Euro für den Kauf des Autos. Zweiter Pferdefuß: Damit der Arbeitnehmer die eigene Branche durch seine Einkäufe kräftig unterstützt, müsste er sich für Produkte entscheiden, die nicht ganz in seinen Haushalt passen - Schiffe, Gabelstapler, Transportbänder etc. -, Dinge, wie sie unsere Industrie produziert: 80 Prozent der Metall- und Elektro-Waren sind Investitionsgüter. Maschinen kaufen keine Maschinen, aber unsere Arbeitnehmer leider auch nicht.

Wer geglaubt hatte, diese Gewissheit würde in der Krise neu reflektiert, sieht sich getäuscht. Aktualisiert propagiert die IG Metall dieses Rezept - hohe Löhne gegen den Auftragseinbruch. Während die meisten Gewerkschafter und die ihnen nahe stehenden Ökonomen nach Konjunkturprogrammen rufen, setzt die Gewerkschaft auf Heilung durch die Arbeitnehmer, die ihren Firmen solidarisch durch die zuvor von ihnen erhaltenen Lohnerhöhungen helfen. Und schließlich seien im Übrigen nicht die Arbeitgeber, sondern die Arbeitnehmer betroffen, vor allem durch die drohende "Lohndrückerei" in dieser Tarifrunde.

Unser vor wenigen Tagen gemachtes Angebot, die Löhne um 2,9 Prozent zu erhöhen, sei eine Provokation, heißt es. Dabei enthält es alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In einer Zeit, in der die meisten Firmen wissen, dass sie ihren Absatz im nächsten Jahr nicht halten werden, sogar einen Absturz verhindern müssen, wollen sie ihren Arbeitnehmern dennoch eine Reallohnsicherung garantieren, wollen Einkommenssteigerungen zahlen, die mit 2,1 Prozent über der Inflation liegen. Und auch die beiden letzten Monate im Jahr 2008 wollen sie mit 5,3 Prozent Lohnerhöhung für jeden Monat gut abdecken. Sie wollen die gute Entlohnung ihrer Mitarbeiter fortsetzen.

Sind die Arbeitnehmer Opfer der Finanzmarktkrise und die Unternehmen die Täter, wie es behauptet wird? Wer kein Geld in Aktien angelegt hat, spürt derzeit keine unmittelbaren Folgen durch die Finanzmarktkrise. Wer aber wie der überwiegende Teil unserer Unternehmen Kredite zur Finanzierung von Investitionen braucht, wer darauf angewiesen ist, dass die weltweiten Investoren weiter flüssig sind, der spürt tagtäglich, was sich geändert hat: Ein Viertel unserer Firmen hat Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen, oder bekommt diese zu schlechteren Konditionen als bisher. Und auf der Seite des Auftragseingangs gaben mehr als zwei Drittel an, dass sich dieser in den vergangenen vier Wochen schwächer entwickelt habe.

Unvernünftig hohe Lohnsteigerungen zehren die Reserven der Firmen auf, den durch die Bankenkrise verstärken Abschwung durchzustehen. Sie gehen zu Lasten von Investitionen und drücken auf die Erlöserpreise der zu zwei Drittel auf Auslandsmärkten aktiven Metall- und Elektroindustrie. Sie gefährden die Erfolge der letzten Jahre, insbesondere die Rekordzahl an 250.000 zusätzlichen Stammarbeitsplätzen. Durch einen ausbalancierten Tarifabschluss, der die Reallöhne unserer Arbeitnehmer sichert, können wir der Krise entgegenwirken und die bei weitem stärkste deutsche Industrie mit ihren über 3,6 Millionen Beschäftigten stabilisieren. Es geht nicht um hohe Löhne, es geht nicht um niedrige Löhne, es geht um der Situation angemessene Löhne. Mit dieser Erkenntnis wäre ein Wiederholungsprogramm vermieden und für alle sehr viel gewonnen.

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