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DHL baut über 10.000 Stellen abAussortiert

2004 kaufte die Deutsche Post das amerikanische Expressunternehmen DHL, nun verabschiedet sie sich von ihrem defizitären US-Geschäft. Rund 10.000 Arbeitsplätze sollen allein in Wilmington wegfallen.

Der Wilmingtoner Bürgermeisters David L. Raizk - neben ihm auf dem Schreibtisch die Aufnahme von seinem Treffen mit Barack Obama im August. Bild: taz

In Wilmington, im Südwesten des Bundesstaates Ohio, weiß man, wie es sich anfühlt, verlassen zu werden. Hier rasten bis 1971 die Jets der US-Airforce gen Himmel - dann war plötzlich Stille. Es folgten zehn bleierne Jahre der Depression und ein mühsamer Genesungsprozess einer Stadt, die ansonsten nicht viel zu bieten hat. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Erneut sind es Entscheidungen, die woanders getroffen werden, die die rund 13.000 Einwohner Wilmingtons in die Misere stürzen.

An diesem Montag kam die Nachricht, die alle längst befürchtet haben. Die Deutsche Post kündigte im fernen Bonn an, bis Ende Januar 2009 einen Großteil ihres USA-Geschäfts aufgeben zu wollen. Dieses wickelt "The Post", wie es in Wilmington heißt, über ihr Express-Tochterunternehmen DHL ab, in deren Sortierzentrum und Frachtflughafen ganz Wilmington arbeitet. Insgesamt sind etwa 10.000 Menschen aus Wilmington und Umgebung bei DHL beschäftigt.

Die Konzernleitung im fernen Deutschland wartete bis zum Montag nach der Präsidentschaftswahl, um ihre Hiobsbotschaft zu verkünden. Joe Teuchert und seine Mitstreiter von "Save the Jobs" waren vorgewarnt. Teuchert ist dick, 47 Jahre alt und "am Arsch", wie er sagt. Eigentlich hatte das Jahr prima für ihn begonnen. Seit 26 Jahren fliegt er große Transport-Boeings durch die USA, Luftfrachtzustellung ist sein Geschäft. Weil alles so gut lief und er seit 2004 einen bombensicheren Job bei der DHL zu haben glaubte, kauft er Anfang des Jahres ein Baugrundstück in Wilmington und zeugt ein Kind. Als Ende Mai die ersten unheilvollen Gerüchte aus Bonn nach Ohio dringen, sein Arbeitgeber werde sich möglicherweise aus dem nationalen Frachtgeschäft zurückziehen, bekommt Teuchert Panik.

Zum einen hat sein Baugrundstück, in das er seine ganzen Ersparnisse gesteckt hatte, über Nacht jeglichen Wert verloren. Außerdem wird bei seiner Frau eine degenerative chronische Krankheit diagnostiziert, die ihm so viel Angst macht, dass er sie lieber nicht nennen möchte. "Wenn ich Ende Januar meinen Job verliere, stehen wir auch noch ohne Krankenversicherung da", sagt Joe und wirkt dafür ziemlich gefasst.

Statt herumzusitzen und Däumchen zu drehen, hat er bereits im Sommer mit anderen Bürgern die Initiative "Save the Jobs" (Rettet die Arbeitsplätze) gegründet und fungiert nun als deren Sprecher. Die rund 20 Aktivisten haben in den letzten Monaten ihre Kongressabgeordneten herbeizitiert. Sie haben gemeinsam mit dem Bürgermeister und anderen Honoratioren den Gouverneur von Ohio eingeladen. Sie konnten sogar mit den beiden Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama sprechen - beide schauten im Sommer vorbei und beide setzten sich immerhin dafür ein, dass im Washingtoner Kongress zwei Anhörungen zu dem Thema stattfanden.

Anlass war, dass viele vermuten, es könne zwischen DHL und seiner amerikanischen Konkurrentin UPS hinter verschlossenen Türen längst zu kartellrechtlich illegalen Absprachen gekommen sein. Offiziell ist bis heute nur, dass es einen Deal zwischen DHL und UPS gibt - über die Details wird geschwiegen.

Joe Teuchert und andere Empörte sind persönlich nach Washington gereist, um vor der Deutschen Botschaft gegen den Arbeitsplatzabbau in Wilmington zu protestieren. Sie haben sogar einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben und darin um die Rücknahme der Entscheidung gebeten.

Ohne Erfolg, wie man nun weiß. Schon vor Monaten machte sich in der Kleinstadt das Gefühl breit, von den Deutschen hintergangen worden zu sein. "Von den Managern haben sie hier erst mal genug", sagt an der Bar des gediegenen altenglischen Denver-Hotels Scott Perrish. Er arbeitet im Bürgermeisteramt und ist einer der wenigen nicht direkt Betroffenen. Aber um ihn herum sitzen seine Freunde und Bekannten auf riesigen Hypothekenschulden, haben Kinder in der Ausbildung und Autos, die nicht abgezahlt sind. Einer, den er gleich an die Journalistin vermitteln will, schnauzt ihn am Telefon an, ob er verrückt geworden sei. Er könne doch nicht mit der Presse reden, sonst sei er morgen arbeitslos. Kleinlaut entschuldigt sich Scott. Der Freund, sagt er dann entschuldigend, sei einer der Personalchefs am Frachtflughafen, der bereits seit Wochen Entlassungen aussprechen muss. "Es ist echt Scheiße und er fühlt sich total verarscht, weil er weiß, dass er selbst bald dran ist", versichert Scott.

Scotts Chef, der Bürgermeister, hat schon dunkle Ringe unter den Augen. Es ist bereits Nacht und er sitzt immer noch in seinem Büro, einen Block hinter dem Denver-Hotel. Die US-Flagge im Rücken und das Foto seines Treffens mit Barack Obama im goldenen Bilderrahmen neben sich, wühlt David Raizk in seinen Papierstapeln. "Ich werde wütend, wenn die Leute so etwas sagen. Wilmington wird keine Geisterstadt, wenn DHL sich hier verabschiedet", sagt Raizk energisch.

Offiziell hatte die DHL im Februar erstmals Verluste in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar im US-Geschäft eingeräumt. Aber immer wieder hatte das Management ihm versichert, dass nach einer notwendigen Restrukturierung alles wieder gut werde. "Die meisten hier kapieren nicht, wie man ein Unternehmen so schlecht führen kann", schnaubt Raizk. "Keiner, den ich kenne, würde seine eigene Firma so herunterwirtschaften, wie es die DHL-Manager hier getan haben." Ihn und viele Wilmingtoner ärgert, dass ihrer Meinung nach Manager zu Gange waren, die vom US-Geschäft mit der Luftfracht wenig verstanden. Und: "Dass sie nicht auf Ratschläge hören wollten."

Nicht hören, nicht sehen, nicht reden. Die Konzernleitung ruft die Reporterin trotz mehrfacher Anfrage nicht zurück. Der Bürgermeister fühlt sich persönlich düpiert, wie die Firma die Krise gehandhabt hat. Denn noch Ende Mai hatte ihn die Deutsche Post als Wilmingtoner Repräsentanten zur feierlichen Eröffnung des neuen DHL-Drehkreuzes nach Leipzig-Halle eingeladen. In Bonn muss er mit anhören, wie ein Konzernchef bei der Pressekonferenz ankündigt, dass man das Wilmingtoner Fluggeschäft in großen Teilen der Konkurrentin UPS überlassen wolle. Raizk fällt fast das Häppchen aus der Hand. Das ist eine ganz schlechte Nachricht - so viel war klar: Die Deutsche Post hatte sich mit ihrem Kauf der amerikanischen DHL über Nacht zu einem der großen drei Player im globalen und lukrativen Luftfrachtgeschäft gemacht, hatte das Geschäft offensichtlich versiebt - und wollte nun freiwillig den Platz der Konkurrenz räumen.

Der Bürgermeister alarmiert noch aus Bonn die Ohioer Kongressabgeordneten und Gouverneure per Handy. Ausnahmsweise ziehen alle trotz des erbitterten Wahlkampfes an einem Strang, egal ob Republikaner oder Demokrat. Der Kongress bewilligte, noch bevor ein einziger DHL-Job gestrichen worden war, ein Notprogramm. Das war vorausschauend, davon können nun bald arbeitslos werdende Familien in Wilmington profitieren. Fürs Erste jedenfalls.

An den rund 10.000 großzügig bezahlten, mit guten Kranken- und Rentenversicherungen einhergehenden DHL-Arbeitsplätzen hängen, wie in einem Spinnennetz, weitere 20.000. Denn von DHL leben nicht nur die Piloten und Sortierer, sondern auch der lokale Buchladen, die Restaurants der Region, die Arztpraxen, die Bars und all die sozialen Einrichtungen der benachbarten Landkreise, die bislang zu großen Teilen mit Spenden der gut Verdienenden finanziert wurden.

"Hier geht alles den Bach runter", ist sich Mary Houghtaling, die selbst ein Hospiz leitet, sicher. Sie hatte im Sommer die Initiative ergriffen und sich ins Auto gesetzt, um dem Präsidentschaftskandidaten John McCain bei einer Wahlkampfveranstaltung von dem drohenden Debakel zu berichten. Das brachte Wilmington Aufmerksamkeit und etwas später sogar den Besuch Barack Obamas. Doch "die und Washington werden nicht viel für uns tun können", glaubt die Buchhändlerin Marla Stewart. Auch sie ist Mitglied der "Save the jobs"-Initiative. Wenn ihr Buchladen schließen müsste, das könnte sie noch verkraften. Sie bekommt als ehemalige Lehrerin eine Rente. Aber ihre Tochter hat sich nebenan gerade mit einer Sandwicheria selbstständig gemacht. "Sie würde alles verlieren und ist noch jung", sagt Marla Stewart traurig.

Die Wilmingtoner verstehen nicht, wie eine ganze Firmenleitung so verantwortungslos mit ihrem Leben umgehen kann. Sie sind auch verärgert, weil DHL zu seiner Ansiedelung im Jahr 2004 Steuererleichterungen und Investitionshilfen in Höhe von 422 Millionen Dollar bekommen hatte. "Wir haben alle so viel für DHL getan. Und würden noch mehr tun. Aber dann reden sie nicht einmal mit uns", erklären sie immer wieder. "Bei euch in Deutschland gab es doch erst vor kurzem auch so einen Fall. Da wollte sich Nokia vorzeitig wieder verabschieden, da ward ihr doch auch ganz sauer, oder?", fragt Joe Teuchert. Er will nicht akzeptieren, dass es einfach ein globalisiertes Zahlenspiel sein könnte, dass Wilmington auf die Abschussliste gesetzt hat. "Eure Kanzlerin muss sich doch fragen, was es für das deutsch-amerikanische Verhältnis bedeutet, wenn der Eindruck entsteht, dass die Deutsche Post das Leben vieler Menschen im Herzen Amerikas zerstört?

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