Unter Druck wegen Finanzkrise: Island will schnell in EU
Unter Druck wegen der schweren Finanzkrise sucht die isländische Regierung Schutz in der EU - und möglichst beim Euro. Die EU will Island willkommen heißen. Der Weg für Hilfskredite ist inzwischen frei.
STOCKHOLM taz Die EU könnte schneller als erwartet aus 28 Mitgliedstaaten bestehen. In der Folge der schweren Finanzkrise ist nun in Island die regierende konservative Selbständigkeitspartei von Ministerpräsident Geir Haarde dabei, ihre Einstellung zu einem EU-Beitritt zu revidieren. Der nächste Parteitag, der eigentlich erst im Oktober 2009 stattfinden sollte, ist nun auf den 29. Januar vorverlegt worden. Zentrales Thema: die EU. Eine Kommission soll bis dahin einen Bericht über Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft erarbeiten. Noch beim letzten Parteitag im April hatte es ein klares Nein zur EU gegeben.
Für einen schnellen EU-Beitritt, den Rücktritt der Regierung Haarde und vorgezogene Neuwahlen hatten am Samstag in Reykjavík 6.000 IsländerInnen demonstriert. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage wollen mittlerweile 70 Prozent der Bevölkerung in die EU. Gar 72 Prozent wollen auch gleich eine Einführung des Euro und einen Verzicht auf die einheimische Krone, deren Wert massiv gesunken ist. Vor einem halben Jahr pendelten diese Zahlen noch bei 50 Prozent. Gewerkschaften und Wirtschaft - mit Ausnahme der Fischereibranche - fordern schon lange einen EU-Beitritt.
EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn kommentierte kürzlich, Island sei als EU-Mitglied willkommen - wie im Übrigen auch schon vor der Finanzkrise. Mögliche Beitrittsverhandlungen könnten sicher in weniger als einem Jahr abgeschlossen werden, gab er sich zuversichtlich.
Das einzige strittige Verhandlungsthema dürften die Fischereirechte in isländischen Gewässern sein. Island ist - ebenso wie Norwegen - Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und hat als solches bereits in der Vergangenheit die Binnenmarktregelungen und den Großteil der übrigen EU-Gesetzgebung in nationales Recht übernommen. Was das bedeutet, mussten die IsländerInnen auch beim Streit darüber erfahren, wer für das Anlagekapital ausländischer Töchter der mittlerweile verstaatlichten ehemaligen Privatbanken wie Kaupthing und Landsbanki verantwortlich sei.
Der Streit hat bislang die Auszahlung des eigentlich schon am 24. Oktober beschlossenen Milliardenkredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) blockiert. Reykjavík stelllte sich auf den Standpunkt, dafür hafteten diese Auslandstöchter und damit letztendlich die nationalen Bankensicherheitsgarantien in Großbritannien, den Niederlanden oder Deutschland. Brüssel verwies dagegen auf die EU-Bankenrichtlinie, an die auch das EWR-Land Island gebunden sei. Und danach hätten die nun verstaatlichten Muttergesellschaften der isländischen Banken direkt für diese Einlagen einzustehen - das heißt also, die isländische Staatskasse.
Am Freitagabend verkündete Ministerpräsident Haarde, Island habe seinen bisherigen Standpunkt aufgegeben und akzeptiere die Verantwortung für diese Spareinlagen. Das dürfte die öffentliche Schuldenlast um mindestens weitere 3,5 Milliarden Euro erhöhen, über 10.000 Euro pro IsländerIn. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte vorher klargemacht, dass Island mit keinem Kredit rechnen könne, solange ihn nicht alle 27 Mitgliedstaaten einhellig absegnen würden. Diese Linie hatte auch schon vorher gemachte Kreditzusagen skandinavischer Länder blockiert. Für die dringend erforderliche Milliardenspritze des IWF und Kredite weiterer einzelner EU-Länder dürfte es also in den nächsten Tagen grünes Licht gegeben. Ein EU-Beitrittsantrag aus Reykjavík könnte womöglich schon Anfang kommenden Jahres in Brüssel eingehen. Mit dem Euro werden die IsländerInnen aber vermutlich noch Geduld haben müssen. Es sei denn, Brüssel macht eine Ausnahme bei den Konvergenzkriterien: Mit einem rekordhohen Zinsniveau, einer Inflationsrate von über 15 Prozent und einer auf viele Jahre absehbaren zu hohen Staatsverschuldung werden diese nämlich von Island allesamt nicht erfüllt.
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