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Satzung verhindert Call-TV-AbzockeDie fetten Jahre sind vorbei

Die ab Frühjahr geltende Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten nimmt der Call-TV-Branche die perfidesten Abzockmöglichkeiten. Pionier 9Live reagiert betont gelassen.

Geldspielautomat auf der Mattscheibe: So sieht sich zumindest 9Live. Bild: Neun Live Fernsehen GmbH

Wenigstens kann 9Live einmal noch im traditionellen Rahmen Weihnachten feiern. Vielleicht mit einer großen Rätselgala am zweiten Feiertag, wie im vergangenen Jahr, als der Sender 13 Stunden lang keinen einzigen Anrufer ins Studio durchstellte, aber immer wieder behauptete, man müsse jetzt sofort anrufen, weil das Spiel gleich zu Ende sei.

Einmal noch kann sich 9Live Weihnachten auf Kosten seiner Zuschauer bescheren, denn die neue Gewinnspielsatzung wird erst im Frühjahr in Kraft treten. Sie macht sich gerade auf einen längeren Verwaltungsweg durch die Instanzen, aber an dessen Ende scheint tatsächlich ein Regelwerk zu stehen, das den Produzenten teurer Gewinnspiele im Fernsehen einige der besonders perfiden Abzockmöglichkeiten nimmt. So werden sie verpflichtet, spätestens alle 30 Minuten einen Anrufer durchzustellen; nach höchstens drei Stunden muss ein Spiel beendet werden. Sehr schmerzhaft soll es für die Sender in der Anhörung gewesen sein, diese Grenzen zu akzeptieren, was einen Eindruck davon gibt, mit was für einer verzweifelten Branche man es hier zu tun hat.

Denn die guten Zeiten sind für die Call-TV-Branche vorbei. Eine besonders ruchlose kleinere Firma, die für MTV nächtliche Anrufsendungen produzierte, hat sich in diesem Jahr aus dem Geschäft verabschiedet, weil es nur noch für die Großen profitabel sei. Aber auch der Pionier 9Live, der ProSiebenSat.1 gehört, expandiert zwar ins Ausland, nimmt aber in Deutschland immer weniger ein.

Die neuen Regeln werden ihm und Konkurrenten wie DSF oder Tele5, die größere Programmflächen für die bizarren Anrufsendungen freigeräumt haben, um sich ein Zubrot zu verdienen, das Leben erheblich erschweren. Erstmals können Verstöße als Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen geahndet werden, was auch bisher schon geltenden Geboten wie dem, die Zuschauer nicht in die Irre zu führen, ein ganz anderes Gewicht gibt.

Axel Dürr, Sprecher der baden-württembergischen Landesmedienanstalt LFK, nennt als konkretes Beispiel den beliebten Trick, nach mehreren Wörtern zu suchen, von denen ein oder zwei sehr leicht zu erraten sind, der Rest aber fast gar nicht. Wenn die leichten Lösungen gefunden sind, motivieren die Moderatoren die Zuschauer dadurch zum Anrufen. "Das erfüllt nach unserer Ansicht eindeutig den Tatbestand der Irreführung", sagt Dürr, "und das haben wir den Sendern deutlich mitgeteilt." Ausdrücklich ausgeschlossen ist künftig auch die "Vorspiegelung fehlender Nutzerinnen oder Nutzer" - ebenfalls ein Standardkniff, um den Zuschauern riesige Gewinnchancen vorzugaukeln, weil kein anderer anrufe.

Wenn die Sender tatsächlich gezwungen werden, sich an die neuen Regeln zu halten, müssen sie ihre Spiele radikal ändern. Aber in der Praxis mangelte es den Medienanstalten als Aufsichtsbehörden bisher nicht nur an den Möglichkeiten, sondern auch am Willen, ernsthaft gegen die Auswüchse der Branche vorzugehen. Manche von ihnen verstehen sich im Zweifel eher als Standortpolitiker und Interessenvertreter der Sender - der Schutz des Geschäftsmodells ist ihnen im Zweifelsfall wichtiger als die Interessen der Zuschauer. Aber über Beanstandungen entscheidet zukünftig die schnittig "ZAK" abgekürzte neue "Kommission für Zulassung und Aufsicht" der 14 Medienanstalten - mit bindenden Mehrheitsbeschlüssen, was dafür sorgen soll, dass einzelne sogenannte Medienwächter nicht zu viel Rücksicht auf befreundete Sender nehmen können. "Verbraucherschutz und Transparenz gehen vor", sagt Dürr. "Und die Sender sind sich bewusst, dass die neue Satzung Veränderungen der Medienlandschaft bedeuten kann."

Davon will man bei 9Live nichts wissen. Geschäftsführer Ralf Bartoleit sagt, er sehe für sein Programm "keine grundlegenden Änderungen". 9Live sei "auch ein Treiber und Befürworter in dieser Sache": "Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die deutlich gestiegene Zahl der Hinweispflichten einem Live-Programm zuträglich ist. Aber ein klares Reglement stellt auch einen fairen Wettbewerb sicher, von dem auch der Zuschauer profitiert. Wir setzen uns seit jeher dafür ein, das Geschäftsmodell langfristig und nachhaltig abzusichern." Bartoleit behauptet gar, 9Live praktiziere bereits jetzt "die meisten der angekündigten Maßnahmen".

Einige einschneidende Änderungen, die wirklich für Transparenz und Verbraucherschutz gesorgt hätten, konnten er und seine Kollegen verhindern. Zunächst war vorgesehen, dass die Sender die Zahl der gerade anrufenden Teilnehmer einblenden müssen. Aus "wettbewerbsrechtlichen Gründen" sei das aber nicht möglich, sagt LFK-Sprecher Dürr. Dabei ist in Großbritannien genau diese Regelung seit über einem Jahr in Kraft. Wieder gestrichen wurde auch die Pflicht, eine "übersteigerte Mehrfachteilnahme" auszuschließen: Jeder Anrufer sollte nicht mehr als 10 Euro pro Stunde verzocken können. Die Sender behaupteten, das sei technisch nicht konsequent umzusetzen. Die Landesmedienanstalten wollen sich nun stattdessen die Anruferdaten vorlegen lassen, um zu überprüfen, ob solche Vielfachanrufer tatsächlich so selten sind, wie die Sender behaupten.

Für diejenigen Medien, die nur - wie fast alle- in ihrem regulären Programm einzelne Telefongewinnspiele mit dümmlichen Fragen veranstalten, enthält die neue Satzung ein Geschenk: Bei diesen Anrufen wird der Jugendschutz aufgeweicht und das Mindestalter von 18 auf 14 Jahre gesenkt. Offenbar sind die Zeiten so schlecht, dass die Sender auch auf das Taschengeld der jugendlichen Zuschauer nicht verzichten können.

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9 Kommentare

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  • F
    Frank

    Wie soll denn kontrolliert werden, wie oft jemand anruft? Wenn er z.B. verschiedene Anschlüsse benutzt? In den Kommentaren wird vorgeschlagen, dass die Landesmedienanstalten die Daten von den Veranstaltern bekommen - schon mal was von Datenschutz gehört? Sollen die LMA etwas komplette Dateneinsicht bekommen??

  • G
    GlowingHeart

    Manipulationsverbot

    Veränderungen in einem laufenden Gewinnspiel oder einer Gewinnspielsendung, insbesondere durch die Abänderung von Spielregeln, die Vorspiegelung weiterer Nutzerinnen und Nutzer oder fehlender Nutzerinnen und Nutzer oder Eingriffe in Nutzerinnen- und Nutzerauswahl, Rätsellösung oder die Reduzierung des Gewinns sind unzulässig.

     

    An dieser unterstrichenen Stelle haben wohl die Call-TV Veranstalter gedreht und ZAK & Co sich einlullen lassen, da im Entwurf eine generelle Änderung eines ausgelobten Gewinns in einem Gewinnspieles unzulässig gemacht wurde, weder nach unten noch nach oben.

     

    Durch hinzufügen von die Reduzierung lässt es nun wieder die Option zu, einen ausgelobten Gewinn tief anzusetzen und je nach schwachen Anruferaufkommen ins Ausschweifende ansteigen zu lassen um so bewusst den Zuschauer zum Anrufen zu verleiten.

     

    Bleibt ein Gewinn die ganze Zeit während eines Gewinnspieles starr, so wie im Entwurf geschrieben, kann der Veranstalter nicht flexibel bei geringen Peaks/Anruferzahl reagieren, was nicht im Interesse des Veranstalters ist.

     

    Also kommt ZAK & Co dem Call-TV Veranstalter entgegen (Lobbyismus), damit die Veranstalter nun weiter mit ansteigenden Gewinnen zum Anrufen nötigen und ködern dürfen.

     

    Die anderen Veränderungen gegenüber dem 1. Entwurf sind ebenfalls einem Lobbyisten würdig und im Interesse des Veranstalters, der technisches Unvermögen angibt aber jahrelang mit Echtzeit-Monitore der Anrufeingänge umzugehen weiß. Wer glaubt da noch an Glaubwürdigkeit?

     

    Ich hoffe, von den 95 Cent Rundfunkgebührenerhöhung ab 2009 bis 2012 geht kein Cent an ZAK & Co!

  • C
    Chris

    Das Thema ist ernst genug, um einen anständig recherchierten Bericht erwarten zu können. Der Autor hat aber scheinbar nur mal kurz die Berichterstattung der Konkurrenzblätter überflogen. Inhaltlich ist der Artikel tendenziös, z.T. falsch und verzerrt die Wirklichkeit.

     

    Das finde ich viel ärgerlicher als jede (berechtigte) Kritik am Call-In Geschäftsmodell.

  • U
    Udo

    Statt die Verantwortlichen zu bestrafen, wäre es sinnvoller, die Zuschauer, sprich, die Gesellschaft, mal über diese Machenschaften aufzuklären, aber nicht nur im Internet, sondern v.a. auch im TV.

  • M
    Michael

    Ich verstehe gar nicht, was da für ein Bohei drum gemacht wird. Jeder, der bei diesen Abzockern mitmacht, ist doch selbst Schuld, wenn er über den Tisch gezogen wird. Es ist doch nicht erst seit gestern bekannt, dass im Rahmen dieser Sendungen die Anrufer abgezockt werden und die Gewinnchancen in keiner Relation zu den Telefongebühren stehen. Wie unmündig ist denn der Bürger mittlerweile das sogar Dummheit reglementiert werden muss...

  • F
    Faisal

    "So werden sie verpflichtet, spätestens alle 30 Minuten einen Anrufer durchzustellen; nach höchstens drei Stunden muss ein Spiel beendet werden."

     

    Das nenne ich mal eine harte Regelung. Gegenvorschlag: Die Sender müssen sämtliche Verbindungsdaten speichern und wenn bei Stichproben wiederholt auffällt, dass Leute trotz freier Leitungen nicht durchgelassen wurden, gibt es eine satte Strafe und irgendwann ein Verbot.

  • KM
    Kenny McCormic

    Endlich geht diese Masche zu ende, endlich hat jemand begriffen, das es reine Abzocke ist. Bei Internetvideodiensten gibt es genug Mitschnitte, die das sogar belegen. "9Live Abzocke", da wird man (leider) immer fündig. Warum haben die Landesmedienanstalten nur solang dafür gebraucht? Nur weil die Sender damit mehr als genug Geld verdient haben oder weil es nun öfters auch in seriösen Medien zum Thema wird

  • MD
    Marc Doehler

    Es ist absoluter Blödsinn, wenn die Sender behaupten, es wäre "technisch nicht realisierbar" die Anzahl eines einzelnen Anrufers auf einen bestimmten Wert zu begrenzen! Dies war ebenfalls eine Auflage der Ofcom, die die britischen Sender dazu verdonnert hat, nachdem dort ebenfalls der ganze Betrug bei diesen Anrufsendungen aufgeflogen ist. Und dort wird es nun erfolgreich und konsequent umgesetzt. Aber weil die Herren Entscheidungsträger der Zak keine Ahnung davon haben, was heutige Telefonanlagen in der Lage sind zu leisten, schlucken diese natürlich die Aussage der Veranstalter kopfnickend. Womöglich haben Sie sich sogar noch entschuldigt mit den Worten: "Oh, das wussten wir nicht. Dann streichen wir diesen Passus natürlich wieder".

     

    Und das man auch den Passus mit der Anzeige des Anruferaufkommens der letzten 10 Minuten wieder entfernt hat, spricht doch nur dafür, daß "transparentes" Call-In ein Verlustgeschäft für die Veranstalter ist und man dies auf keinen Fall will. Das hätte womöglich aber auch so manchem Moderator solcher Sendungen das Genick gebrochen, denn womit hätte dieser dann eine 2-stündige Durchstellpause überbrückt. Bestand diese doch beinahe ausschließlich aus Phrasen wie: "hat das irgendjemand raus" oder "gibt es einen Menschen da draßen, der hier eine Lösung hat?". Da würde eine eingeblendete Anruferzahl von beispielsweise 500 ziemlich blöd aussehen.

     

    Und das sich 9LIVE wieder einmal hinstellt und behauptet, es sei eh ein Verfechter von Transparenz und Fairness ist sowieso der Witz des Jahres. Ich erinnere nur an die diversen Videos bei YouTube zum Thema 9LIVE oder an die vielen Protokolle unter http://www.call-in-tv.net

    Da zeigt sich doch sehr deutlich, wie "transparent und fair" der Sender 9LIVE wirklich ist.

     

    Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich ... möchte. Ich habe fertig!

  • M
    Martin

    Es stellt sich die Frage, ob die dummen Menschen, die an solchen Angeboten teilnehmen, überhaupt geschützt werden sollten.