Kolumne nebensachen aus madrid: Mit Kichererbsen durch den spanischen Krisenalltag

Die Krise schlägt den Spaniern auf den Magen. Die alte Hausfrauenkost ist plötzlich wieder in. Und ein Produkt erfreut sich eines ständig steigenden Absatzes: Der Lippenstift.

Die Krise schlägt den Spaniern auf den Magen. Die alte Hausfrauenkost ist plötzlich wieder in. Schluss mit feiner exotischer Küche, die in Spanien schon auf der anderen Seite der Pyrenäen beginnt. El garbanzo, die Kichererbse, und die Kroketten sind zurück. Die zweitgrößte, spanische Tageszeitung, El Mundo, widmete der schwer verdaulichen Hülsenfrucht, aus der die Spanier ihren berühmten Eintopf, el cocido, und andere deftige Gerichte fabrizieren, ein ganzes Sonntagsmagazin. Auch andere Hülsenfrüchte, wie Linsen und Bohnen finden wieder öfter den Weg auf den Tisch.

Die kostenlos verteilte 20minutos veröffentlichte eine Ode auf die Kroketten. Die spanischen croquetas sind nicht mit den frittierten französischen oder deutschen Kartoffelpüreebällchen zu verwechseln. Sie haben die gleiche Form sind allerdings wesentlich größer und werden aus einer dicken Bechamelmasse gemacht, die ihren Geschmack durch zuvor völlig ausgekochtes Hühnerfleisch, Gambas oder ganz einfach Reste des Bratens vom Vortag erhalten. Wo Schmalhans Küchenmeister ist, leidet allerdings der Geschmack. Denn in Zeiten der Krise verbannen viele Spanier das so gesunde und aromatische Olivenöl und ersetzten es durch - richtig befürchtet - Sonnenblumenöl.

Von den sich wandelnden Essgewohnheiten wissen auch die Müllmänner zu berichten. Die Tonnen wiegen in den letzten Monaten knapp ein Zehntel weniger als normal. Denn je einfacher die Produkte, umso weniger Verpackungsmüll fällt an.

Auch die Wohnungseinrichtung leidet unter der Krise. Eines der unnötigsten Haushaltsgeräte hat Absatzprobleme. Es werden 40 Prozent weniger Wäschetrockner verkauft. Die Spanier erinnern sich wieder an die gute alte Wäscheleine. Da es selten regnet und die Temperaturen fast das ganze Jahr über ihren Dienst tun, kommt die Wäsche wieder auf den Hinterhof. Vorbei sind die modernen Zeiten, in denen unnötig Strom verbraucht wurde.

Auch die Krankenhäuser haben plötzlich weniger zu tun. Wie bereits in den USA beobachtet, geht auch in Spanien die Zahl der Verkehrsunfälle zurück. Die Krise erreicht das, was weder durch härtere Strafen noch ein Punktesystem beim Führerschein gelang. Die Spanier fahren weniger und langsamer. Denn der Sprit ist teuer. Der Benzin- und Dieselkonsum ging rund 15 Prozent zurück, und es werden kaum noch Neuwagen verkauft.

Auch das Zwischenmenschliche scheint sich dank der Krise zu verändern. Immer weniger Paare lassen sich scheiden. Und das obwohl erst 2007 ein neues, schnelleres Scheidungsverfahren eingeführt wurde. Doch in Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit auf Rekordwerte steigt, ist eine Wohnung schon fast unbezahlbar, ganz zu schweigen von zweien. Als wäre dies nicht schon Strafe genug, muss das zerstrittene Paar jetzt auch noch enger zusammenrücken. Denn in den letzten Monaten kehrten ein Fünftel der Kinder, die sich mühsam von Mama und Papa emanzipiert hatten, nach Hause zurück.

Nur ein Produkt erfreut sich eines ständig steigenden Absatzes: Der Lippenstift. Damit soll wohl die Frustration übermalt werden. Und so manche möchte mit einem schönen Rot auch ihren Arbeitsplatz sichern. Denn eine Statistik zeigt, dass attraktive Frauen leichter Arbeit finden beziehungsweise später gekündigt werden, als ihre weniger hübschen Geschlechtsgenossinnen.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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