die wahrheit: Dornen auf der Zunge
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Peer "Poltergeist" Steinbrück.
Eigentlich sollte ein Finanzminister ein nüchtern gebauter Politiker sein, der sachlich und objektiv bis unter die Fleischmütze ist. Peer Steinbrück ist anders gewickelt. Seit drei Jahren kennt man ihn als ruppigen Mann mit Dornen auf der Zunge, der bei Widerspruch schnell überkocht und eine laute Lippe führt, wenn es nicht nach seiner Hutschnur läuft: Dann macht er widerspenstige Ministerkollegen wie zum Beispiel Heidemarie Wieczorek-Zeul, die 2007 mehr Geld auf der Pfanne haben wollte, noch vor dem Frühstück zur Minna oder kündigt der Schweiz an, sie als Schurkenstaat und Billigsteuerland vom Globus zu radieren. Vollends seit die Konjunktur täglich dünner wird, holen sich Reporter statt einer Antwort blutige Ohren und einen knietiefen Fußabdruck am Allerwertesten.
Woher hat der Mann eine solche Schlagseite? Ganz einfach. Peer Steinbrück, der als Hamburger Jung in der harten Luft des Nordens aufwuchs, muss, da gibt es für den Psychologen nicht den Stich eines Zweifels, schon als junger Lauser ein richtiger Rüpel und Rabauke gewesen sein. Zieht man die reiche Forschungsliteratur seit Freud zurate, so steht fest, dass der Finanzminister Katzen den Schwanz auskugelte und seinem Klassenlehrer durch eine sinnreiche Hebeleinrichtung an der Schulzimmertür einen Nachttopf über die Kopffrisur goss. Der Politiker, so die einwandfreie Diagnose, war der Schrecken der Spielkameraden, denen er Kanonenböller in den Kragen warf, und der Horror der Hansestadt, der die Bürgersteige der City mit Seife einschmierte, dass die Erwachsenen in die Fleete glitten.
Obwohl Sohn eines gepflegten Architekten, sah jedermann eine schiefe Laufbahn auf ihn zukommen. Tatsächlich meldete sich der Schelm zur Bundeswehr. Doch im rechtsfreien Raum der Grundausbildung wurden ihm selber die Fisimatenten ausgerupft, bis er sein Bier durch die Schnabeltasse lutschte. Als er seine zwei Jahre verbüßt hatte und wieder in Freiheit war, hatte er eine große Portion Verlangen nach Ruhe, schob zu einem Studium nach Kiel und endete 1974 ganz leise als Diplomvolkswirt.
Des einstigen Schlingels und Satansbratens aufgeladenes Temperament war vorerst verraucht. Steinbrück ging nach Bonn, einer kleinen Provinzstadt am Rhein, die es heute noch gibt, und trat in den Staat. Die nötige berufliche Qualifikation hatte er 1969 erworben, als er SPD-Mitglied wurde; seit Bad Godesberg nahm die SPD nicht mehr nur Sozialdemokraten auf. In den folgenden Jahren fraß sich Steinbrück mit Fleiß und Spucke durch den Apparat. Persönlicher Referent für dies, Unpersönlicher Koordinator für das, festbestuhlter Staatssekretär für sonstnochwas, so saß er sich in Bonn zzgl. Kiel und Düsseldorf nach oben.
Der alte Adam wohnte noch in ihm, doch hielt er ihn an der Leine - bis er 1993 in Schleswig-Holstein als Wirtschaftsminister eingruppiert wurde und in der Sache Ostseeautobahn vehement die aufrechte Position des Autoverkehrs gegen die bornierte Empfindlichkeit der Menschen vertrat. 1998 wurde er in Nordrhein-Westfalen zum Wirtschafts- und Verkehrsminister umgewidmet, setzte sich für außertarifliche Billiglöhne jenseits der Regierung ein und braute ab 2000, nun als Finanzminister besoldet, erfolgreich zwei verfassungswidrige Haushalte zusammen. Im Jahr 2002 wurde er infolgedessen zum Ministerpräsidenten hochgestuft und drohte augenblicklich die grüne Koalitionspartei zu erwürgen, weil sie der Magnetschwebebahn zwischen Köln und Dortmund ein blankes Nein zwischen die Beine warf.
Es kam noch schwärzer: Steinbrück fand in Hessen mit Roland Koch einen Mann mit derselben Schräglage in Charakter und Meinung, klügelte fortan mit dem Peer Steinbrück der CDU diverse Subventionstodprogramme aus und ließ sein Sitzfleisch im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat leuchten, wo SPD und Union die Agenda 2010 von ganz oben auf den Weg nach ganz unten brachten.
Die große Koalition macht Steinbrück daher keine Gehirnschmerzen. Im Gegenteil, er spielt gern Sparemann und Söhne und renommiert mit seinem leeren Sack, sobald irgendeine kleine Nase Geld auf dem Tisch sehen will. Mit eisern zugekniffenem Mund demonstriert er knallhart seine Knallhärte; weiche Arme hat er aber für die Banken, die er fett mit 500 Milliarden schmiert. So wachsen die Zeichen, dass dem Minister langsam der Horizont wegrutscht. Noch im Juni versprach er bald einen Haushalt ohne frische Schulden, verbat sich Unkenschreie wegen einer demnächst einstürzenden Konjunktur und stufte die Bankenkrise als lokales US-Abenteuer herab. Er verteilte Pferdeküsse an alle, die mit seiner persönlichen Staatsknete Konsum und Verzehr da draußen ankurbeln wollten, bewies mit ätzender Zunge, dass die Geldkrise nicht die Fabriken anstecken wird, und zeigte allen einen Vogel, die längst den richtigen Finger im Wind hatten.
Tja. Manchmal wünscht sich Peer Steinbrück jetzt weit, weit weg und schaut mit trübem Gesicht in den Nachthimmel, wo sich der Mond befindet. Und würde er nicht morgen mit dem Preis "Politiker des Jahres 2008" ausgezeichnet werden, dann wäre er sicher längst unterwegs.
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