die wahrheit: Das Lebensgefühl der Knaufisten
Bislang dachte der überwiegende Teil der Menschheit, ein Knauf sei ein Knauf. Doch jetzt muss die Geschichte umgeschrieben werden. Denn ein Knauf ist ...
Bislang dachte der überwiegende Teil der Menschheit, ein Knauf sei ein Knauf. Doch jetzt muss die Geschichte umgeschrieben werden. Denn ein Knauf ist kein "kugel- oder knopfartiger Griff", wie das Lexikon schnöde schreibt. Ein Knauf hilft vielmehr gegen Winterdepressionen. Jedenfalls wenn man der Pressemitteilung der "Möbelgriffmanufaktur knaeufe.de" Glauben schenkt: "Möbelgriff-Designer auf Kurs gegen Winterdepression", schreibt der Knaufhersteller gegen die dunkle Jahreszeit und ihre Folgen an. Jetzt wollen Designer schon Depressionen heilen. Demnächst werden dann Schreiner Herztransplantationen durchführen.
Aber wer hätte früher auch gedacht, dass sich in einem Knauf ein ganzes Lebensgefühl spiegeln kann? "Die in Handarbeit gefertigten Möbelknöpfe spiegeln das Lebensgefühl bewusst lebender Mode- und Designliebhaber wider", heißt es. Wer heutzutage alles ein eigenes Lebensgefühl hat! Und wie das wohl aussieht bei "bewusst lebenden" Knaufliebhabern? Schauen die sich den ganzen Tag Knäufe an? Oder befühlen sie nachts heimlich die rundlichen Zierstücke? Um dann darüber zu reden in einem K-Gespräch: "Mein erster Knauf war aus Holz. Glatt poliert, aus warmer Eiche. Seitdem bin ich auf Knauf, da geht mir das Herz auf", raunen sich die Knaufliebhaber im Dunkeln zu. Denn im Dunkeln ist gut knäufeln. Da kann das haptische Erleben des Knaufs seine ganze Wirkung entfalten.
Allerdings sind manche Knaufliebhaber auch vom strahlenden Schein des Knaufs durchdrungen: "Ein Produkt, welches regelmäßig berührt und betrachtet wird, muss in der Form, Farbe und Beschaffenheit einfach etwas Besonderes sein", sagt eine Mitarbeiterin von "knaeufe.de" und öffnet wunderschön die Kluft zwischen "einfach" und "besonders": "einfach etwas Besonderes" ist ein Widerspruch in sich, etwas Simples wird zu etwas Besonderem erklärt. Hier spricht eine Predigerin aus tiefster Überzeugung, die weiß, dass es sich bei den Griffherstellern nicht mehr um gewöhnliche Möbelbauer, sondern um "Möbelmanufakteure" handelt. Wahrscheinlich haben die Knaufisten insgeheim längst die Weltherrschaft übernommen.
Zwar wissen wir noch viel zu wenig über den Geheimbund der Knaufisten, vermutlich aber halten sie bereits klandestine Knaufistenzusammenkünfte ab. Auf denen sie den großen Knauf anbeten, aber auch den richtigen Knauf fürs Leben suchen. Wenn sie dann um den goldenen Knauf herumtanzen, geraten sie in wildeste Rauschzustände, bei denen sie sich an falsche Knäufe verschwenden und in tiefste Abgründe der Knaufhölle stürzen. Dorthin, wo ein Knauf allein zum Greifen oder Halten dient, zu nichts mehr.
Und so munkelt man schon von einer Gegenbewegung. Angeblich soll es inzwischen auch Antiknaufisten geben, die Knäufe für Teufelswerkzeug halten. Wenn aber, wie sie selbst behaupten, die Knaufisten mit Knäufen sogar Depressionen heilen, dann müssen die Antiknaufisten sich selbst helfen. Deshalb sollten sie die Anonymen Knaufisten gründen: "Ich heiße Knauf … äh - Klaus, und ich bin Knaufoholiker."
Wer aber ohne Sünde ist, der werfe den ersten Knauf.
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