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Türkischer Regierungschef in BrüsselErdogan auf Werbetour

Seit über zwei Jahren ist bei der Annäherung der Türkei an die EU kaum etwas passiert. Der Besuch Erdogans in Brüssel soll den EU-Beitrittsprozess wieder in Schwung bringen.

Nach vier Jahren mal wieder in Brüssel: Tayyip Erdogan. Bild: dpa

ISTANBUL taz Nach vierjähriger Abstinenz reist der türkische Premier Tayyip Erdogan am Montag erstmals wieder nach Brüssel, um den stockenden türkischen Beitrittsprozess wieder zu beleben. Seit mehr als zwei Jahren ist bei der Annäherung der Türkei an die EU kaum etwas passiert. Quasi als Weckruf hat die "International Crisis Group" kürzlich einen Report veröffentlicht, in dem es heißt, das "Jahr 2009 wird zum entscheidenden Datum in der türkischen EU-Geschichte. Entweder es kommt wieder Schwung in den Reformprozess oder das Beitrittsverfahren wird wohl ad acta gelegt".

Der Bericht sorgte in der Türkei für großes Aufsehen und hat sicher mit dazu geführt, dass die Regierung Erdogan vor wenigen Tagen mit Egemen Bagis erstmals einen Chefunterhändler im Ministerrang ernannt hat, der sich ausschließlich um den EU-Beitritt kümmern soll.

Tatsächlich könnten sich die Chancen der Türkei in Brüssel in diesem Jahr dramatisch weiter verschlechtern. Das hat nicht nur mit der Wirtschaftskrise und dem dadurch gesteigerten Unwillen für ökonomisch riskante Erweiterungen zu tun, sondern es droht auch der Verlust an Ansprechpartnern, die sich bislang für einen türkischen EU-Beitritt eingesetzt haben.

Mit den Neuwahlen des Europaparlaments im Juni und der Neubesetzung der Kommission wird der bisherige Erweiterungskommissar Olli Rehn, ein Freund des türkischen Beitritts, seinen Posten räumen müssen und statt seiner wahrscheinlich ein Kommissar aus einem Türkei-kritischen Land dort Platz nehmen. Auch bei den bislang verlässlichsten Unterstützern im Europäischen Parlament, den europäischen Grünen, droht der Türkei ein Totalverlust. Angefangen von Claudia Roth über Daniel Cohn-Bendit bis zu dem holländischen Grünen Joost Lagendeijk hatten die Grünen den Co-Vorsitz der türkischen-europäischen Parlamentariergruppe inne und haben sich dort sehr engagiert.

Unter den Kandidaten, die für das Europaparlament antreten, bietet nur der Deutschtürke Ali Yurttagül eine Gewähr dafür, dass diese Tradition fortgesetzt wird. Doch der langjährige Mitarbeiter der EU-Grünen-Fraktion ist parteiintern wenig bekannt. Obwohl für den Job gut qualifiziert, dürfte er ohne massive Unterstützung der Parteispitze bei der am Freitag beginnenden grünen Bundesversammlung, die die Kandidatenliste für das Europaparlament aufstellt, wenig Chancen auf einen aussichtsreichen Platz haben.

Bleibt für Erdogan die Hoffnung, dass auch die Türkei-kritischen EU-Mitglieder die wachsende strategische Bedeutung des Landes erkennen. Mit der russisch-ukrainischen Gaskrise ist der Bau der Nabucco-Gaspipeline von Aserbaidschan über die Türkei bis nach Wien, die die Abhängigkeit von Russland entscheidend minimieren soll, wieder ganz nach oben auf der Prioritätenliste gerutscht. Auch wenn demnächst vielleicht türkische Truppen zur Sicherung der ägyptisch-palästinensischen Grenze am Gazastreifen in Rafah einrücken, wird das Potenzial der Türkei als Stabilitätsfaktor im Nahen Osten erneut unterstrichen.

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11 Kommentare

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  • MN
    mein name ist hase

    @ Athena:

    nach ihrer argumentation müssten die polen und tschechen schon längst den eu-stuhl geräumt haben.

    wie sieht es denn mit den christen-fundis in polen aus? sie kennen sicherlich deren positionen und forderungen? oder aktuell in tschechien: frauenfeindliche familienpolitik!

     

    die türkei als islamistisch darzustellen ist gar lächerlich. dies zeigt auch, dass sie kein bild der politischen und religiösen realitäten besitzen, was die türkei anbelangt.

     

    @ Jean Fairtique:

    "Wie geht es eigentlich der PKK?"

    was wollen sie damit bezwecken?!? mittlerweile müsste doch hinreichend bekannt sein, dass die pkk sich definitiv nicht für kurdische interessen einsetzt. die letzten ermittlungen und offenbarungen bezüglich der ergenekon-angelegenheit zeigen doch, dass es eine zusammenarbeit mit den türk. militärs existiert -im sinne von: eine hand wäscht die andere-, die dadurch nur angst und schrecken in der kurd. und türk. bevölkerung verbreiten wollen.

    wenn Sie gar mit ihrer aussage eine klammheimliche freude bezüglich des pkk-terrors (einschl. der militärs) äußern wollen, dann sind sie mit denen, die etwa den 9/11 bejubelt haben nicht unähnlich...

     

    @ Leon

    ihre argumentation hätte noch in die 70´er gepasst. sie bediente engl.-imperialistische ziele, um einen spalt in die islam. welt zu treiben. jedoch gibt es mittlerweile einen paradigmenwechsel bezüglich der türk.-arab. beziehungen. interessant ist auch, dass nach dem zerfall des osman. reichs der ganze orient bis heute nicht zur ruhe kommt! nicht wahr? stichwort hier: pax-ottomana. vergessen sie nicht, dass das osman. reich letztenendes ein multiethnisches und multikuturelles gebilde war.

     

    @ Angela:

    in punkto kandidatenstatus wird leider mit zweierlei maß gemessen. so wie man heute gegen die türkei vorgeht, hätten länder wie spanien, irland (wirtschaftl. gründe) oder griechenland (menschenrechte, demokratie) niemals den weg zur eu gefunden.

    warum ist europa einfach nicht ehrlich genug?

     

    @ alle anderen:

    es ist schade, dass europa gegenüber der türkei nicht mit offenen karten spielt. das gerede von einer sogenannten "privilegierten partn." heißt nichts anderes als, wir wollen euch nicht! einverstanden? ich kann die europ. vorbehalte durchaus nachvollziehen, dass man aber meint, die türkei gar der islam gehöre nicht zu europa, verdreht leider die tatsachen. ein blick in die geschichtsbücher und in die vergangenheit wird dies verdeutlichen.

     

    schönen grüße an alle

  • DT
    Dein türkischer Nachbar

    Der EU Beitrittsprozess der Türkei eignet sich vor allem für die EU hervorragend um sich selbst zu definieren. Was ist denn die EU? Vielleicht sollten wir dies anders klaeren, als mit dem Finger auf andere zu zeigen?! Weder was die EU ist, noch die unbegreiflichen Schichten dieses Beitritts werden vom Bürger verstanden. Man klammert sich an schillernde, banalisierende Marco-, Ludwigshafen-, Kopftuch-Faelle und bildet Meinungen im Volk wie es gerade passt, inbesondere die CDU ist gross darin kurz vor Wahlen juristische Faelle zu politisieren. İch verbringe gerade mein Auslandssemester in der Türkei (ja, in İstanbul und ja, İstanbul eignet sich hervorragend als İndikator naemlich gerade weil aus allen erdenklichen Teilen der Türkei Menschen hier leben) und sehe, dass auf höchster Ebene schon laengst eine Politik, Wirtschafts, Kultur, Sport -maschinerie im Gang ist um die Türkei schnellstmöglich zu einem EU-Land zu formen. Warum sollte nicht die ganze Welt EU sein? Vielleicht weil beispielsweise in dieser oder jener Region Menschenrecht verletzt wird und man ihrem Volk nicht traut, diese Verletzungen auf der Basis von Bildung zu unterlassen... ziemlich ignorant, war doch Europa noch vor ca. 60 Jahren grösstenteils faschistisch; der Fall der Berliner Mauer und damit diktatorischer Regime ist auch nicht allzu lange her, ich jedenfalls bin mit meinen jungen Jahren Zeitzeuge.... İch rede also nicht darüber, dass der Beitrittsprozess zu lange dauert, sondern darüber dass man dem türkischen Volk misstraut seine bestehenden Probleme langfristig zu lösen – und das vor dem Hintergrund der (eigenen) Geschichte. Nach dem Motto: Wir würden ja gerne, aber was wir im Grossen geschafft haben, schafft ihr nicht mal im Kleinen (im Hinterkopf mancher hoffentlich weniger dann auch gerne mal rassistische Theorien warum der Deutsche wie Phoenix aus der Asche aufsteigt und der Türke es eben nicht schafft)

  • IR
    Ibrahim Ruc

    @Leon

     

    Mein lieber Leon,

    zwischen dem Osmanischen Reich und den Arabern gab es bis 1908 keine Probleme. Warum es Probleme gab, wirst du in der Osmanischen Geschichte finden. Anstatt Sprüche loszulassen, würde ich lesen(!)

    Zweitens: Die erwartungen der Araber in Syrien, Libanon, Iran und Palästina sind groß. Auf Demonstrationen in diesen Ländern wurde dies oft erwähnt.

    Drittens: Wenn du nicht weiter von den russischen Gaslieferern ausgebeutet werden willst und wenn du dir wünschst, dass deine Ost-Eu Länder unabhängiger werden vom russischen Gas, dann schlag ich dir vor, dir das Nabucco Projekt einmal anzuschauen.

     

    Ich schließe mich desweiteren dem Kommentar von kaan an.

  • K
    kaan

    Typisch europäische Doppelmoral: Die ganzen Kommentare zeigen wieder typische Vorurteile gegen Islam und Türken macht weiter so irgendwann werden die Europär um Türkei betteln die Zeiten kommen auch noch macht weiter so Ihr wart auch nicht immer die Besten in der Geschichte: So langsam find ich das zum Kotzen diese typische Doppelmoral von dem Europavölkern

  • L
    Leon

    Türkei als "Stabilitätsfaktor" im Nahen Osten?

    Soll das ein Witz sein?

    Wer sich ein wenig in der "islamischen Welt" auskennt, weiß um den traditionsreichen Haß zwischen Osmanen und Arabern, die die "Demütigungen" durch osmanische Eroberer nie vergessen haben.

    Der Haß zwichen sunnitischen Türken und schiitischen Persern steht auf einem anderen Blatt.

  • T
    tarkan-tan

    Die Türkei sollte die Verhandlungen mit der Eu abbrechen.Nur zu den Länder eine Beziehung aufrechthalten.die freundlich der Türkei standen.

    Ihre Leute aus Frankreich-Österreich abziehen.Warum sollein Land weiter verhandeln,dessen Ausgang nicht sicher ist.Die Welt besteht nicht nur aus der Eu..Es sind noch weitere über 180 Länder,die nicht in der Eu sind..mit der Türkei wären sie eben 181..Besonderes zu Deutschland ann ich sagen..die Türkei stand damsals(2te Weltkrieg)leider auf der falschen Seite..Hast du ein Freund als Deutschland,brauchst kein Feind mehr..Der Deutsche ist nur zu denen freundlich,von denen er besiegt worden ist..

  • HM
    Heinz Müller

    Und das ist auch gut so

    Das die Grünen insbesondere Sonne Mond und Sterne

    Claudia die Türkei ohne Auflagen in die EU bugsieren wollte, daran bestht kein zweifel. Es wurden ja dort sämtliche Ökologische und Ökonomische Zweifel vom Tisch gewischt.

    Jetzt wo die Leute ein bischen mehr nachdenken wird die Inkompatibilität des selbsternannten Führers Erdogan und seine scharft auf Islamistisch getrimmten Türkei auch dem dümmsten Betrachter auffallen.

    Eu ohne Türkei und das ist auch gut so.

  • A
    Athena

    Die Türkei nähert sich der EU nicht mehr an, sondern sie entfernt sich mit zunehmender Geschwindigkeit.

     

    Die zügig voranschreitende Islamisierung ist dafür ein Indikator. Von einem "moderaten" Islam zu einem totalitären sind es nur wenige Schritte. Offen geäußerte Sympathie gegenüber Islamisten und mit Blick auf Israel geäußerte Bestrafungsfantasien passen nicht zu einem künftigen Mitglied eines Europas der Toleranz und des Ausgleichs.

     

    Es wird noch ein weiter und steiniger Weg für die Türkei.

  • A
    Angela

    Dieser Beitrag läßt hoffen. Ich finde, es wäre ein großer Fehler wegen der Erpressungsversuche Putins gleich auf die Türkei und Kleinasien als Energielieferanten zu setzen. Eine enge wirtschaftliche Zusammenarbei mit der Türkei ist auch eine interessante Perspektive, dieses Land ist aus verschiedenen Gründen nicht europakompatibel und hätte nie den Kandidaten-Status erhalten dürfen.

  • T
    talkingkraut

    Was mir an dem Artikel missfällt, ist, dass er einen Zusammenhang zwischen der Neuwahl der EU-Parlaments und der Neubesetzung der EU-Kommission unterstellt, den es nicht gibt, weil das EU-Parlament, eine reine Quatschbude, keinen Einfluss auf die Besetzung der Kommission hat. Die Regierungen der Mitgliedstaaten entsenden die Kommissare.

     

    Was den EU-Beitritt der Türkei betrifft, bin ich ein Gegner. Die Türkei ist mir einfach zu asiatisch, man würde sich mit ihr eine Menge Probleme aufhalsen und die EU überdehnen.

  • JF
    Jean Fairtique

    Das walte Gott!

    Dass auch weiterhin nicht viel passiert...

    Ist Erdogan nicht der Demokrat, der gemeint hat, Israel müsse raus aus der UN? (Wie geht es eigentlich der PKK?)