die wahrheit: El Verfranso, der Zeiträuber
"Time is money", heißt es in Benjamin Franklins 1748 erschienener Schrift "Ratschläge für junge Kaufleute". Wenn Zeit tatsächlich Geld ist, ...
... dann haben uns die Banker dieser Welt in den vergangenen Wochen und Monaten eine Menge davon gestohlen. Allein die unendlich vielen Stunden, die Journalisten, Politiker und Wissenschaftler investiert haben, um die Krise zu erklären. Allerdings war bislang über den Aspekt des Zeitdiebstahls noch nirgendwo etwas zu lesen. Das wäre doch mal ein Thema für den größten Spreng- und Knallkopf des deutschen Feuilletons: Ihr Auftritt, Frank Schirrmacher! It takes a thief to catch a thief. Da wäre doch mindestens ein Großessay drin über die Finanzkrise und ihre literarischen Bezüge zu Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" oder Michael Endes Roman "Momo", in dem bekanntlich grau gewandete Herren die Zeit stehlen.
Unsereins ist ja eher für die Verbrechen des Alltags zuständig und damit auch für den gefürchtetsten Zeiträuber unserer Tage: El Verfranso. Er tarnt sich mit der Maske des Technikfreundes und verfranst sich gern im Labyrinth neuester Technologien.
Wir alle sind Getriebene des Fortschritts. Dauernd werden irgendwelche Neuerungen entwickelt. Dabei muss etwas Neues nicht unbedingt etwas Besseres sein. Was zur Hölle will man zum Beispiel mit "Twitter"? Dabei werden per SMS Nachrichten weitergeleitet, so dass man von einem Flugzeugabsturz in New York dreißig Sekunden eher erfährt als auf dem üblichen Weg über eine Nachrichtenagentur. Wem aber nützen eigentlich diese immer schnelleren Nachrichten? Allenfalls sensationsgeilen Nachwuchsjournalisten oder Bankern, die auf Verdacht halbgare Geschäfte abschließen. Und wie die gewöhnlich ausgehen, wissen wir inzwischen.
Beim Stichwort "halbe Sachen" kommt wieder El Verfranso ins Spiel. Denn treten technische Probleme an einem Gerät auf, sucht man sich eine Fachkraft - und wo landet man ganz sicher? Bei El Verfranso, der grundsätzlich nicht versteht, warum andere Menschen auf der technischen Verständnisebene einer Kaulquappe verharren. Deshalb hat er die immer gleiche Lösung parat und will erst einmal ein neues Programm "herunterladen", das alle Probleme lösen soll oder zumindest "umgehen", wie er behauptet.
Das Wörtchen "umgehen" führt El Verfranso auf einen langen, langen Umweg. Umständlich wird er im Internet das Heil-Programm für den angeblich "total veralteten Computer" suchen. Drei Stunden später hat El Verfranso immerhin ein Forum gefunden, in dem über die mögliche Existenz des Programms diskutiert wird. Weitere drei Stunden später ist er zum Moderator des Forums ernannt worden. Mittlerweile läuft der Computer zwar immer noch nicht wunschgemäß, El Verfranso aber zu Höchstform auf: Er schlägt vor, das Programm gleich zu kaufen. Er kenne da jemanden, der könne es ohne Umstände billig besorgen … - und El Verfranso verschwindet, nicht ohne seinem Opfer wieder einen Riesenbatzen Zeit gestohlen zu haben.
Wenn man für jede Minute, die einen El Verfranso im Leben gekostet hat, einen Benjamin Franklin bekäme, dann wäre man längst reich. Franklin ist auf der 100-Dollar-Note abgebildet.
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