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Montagsinterview Pfandleiher Stephan Goebel"Wir verkaufen auf nette Art viel Geld"

In Zeiten der Krise haben es die Leihhäuser schwer, sagt Stephan Goebel, Pfandleiher in der dritten Generation im Wedding. Denn wer Angst um seinen Job habe, habe auch Angst, sein Pfand nicht einlösen zu können.

Stephan Goebel an seinem Arbeitsplatz Bild: ANJA WEBER
Interview von Barbara Bollwahn

taz: Herr Goebel, spüren Sie in Ihrem Pfandleihhaus die Folgen der Finanzkrise?

Stephan Goebel: Bei kleineren Unternehmen schon. Die bekommen einen Kleinkredit um die 5.000 Euro kurzfristig nicht mehr ohne die nötigen Sicherheiten von ihrer Bank. Das wäre vor einem halben Jahr undenkbar gewesen.

Sind Sie ein Gewinner der Finanzkrise?

Gewinner kann ich nicht sagen. Uns geht es gut, wenn es der Wirtschaft gut geht. Und es geht uns schlecht, wenn es der Wirtschaft schlecht geht.

Wieso ist das so?

Wenn die Menschen Arbeit haben, sind sie eher bereit, Sachen zu verpfänden, um ein paar Tage zu überbrücken. Sie wissen, am Monatsende bezahlt der Chef, und sie können das Pfand wieder abholen. Wenn aber der Arbeitsplatz gefährdet ist, fangen sie an zu sparen. Zurzeit erleben wir, dass sie ihr Geld zusammenhalten. Ich stehe plötzlich da und leihe kein Geld aus.

Wovon leben Sie dann?

Von den 93 Prozent der Menschen, die ihre Zinsen und Gebühren zahlen und ihre Dinge wieder einlösen. Viele denken ja, dass nur die Hälfte abgeholt wird. Aber nur 7 Prozent der Pfänder verfallen und müssen in öffentliche Versteigerungen.

Stephan Goebel

Stephan Goebel ist einer von den bundesweit 120 Pfandleihern, die 140 Leihhäuser betreiben. Der 46-jährige gebürtige Berliner führt in der dritten Generation das Pfandleihhaus Goebel in der Müllerstraße in Wedding mit einer Filiale in Moabit. Er wirbt mit dem Spruch "Geld gegen Pfand bar auf die Hand". Goebel beschäftigt sieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, vom Goldschmied über den Uhrmacher bis zu Einzelhandelskaufleuten.

Seine Urgroßeltern Max und Malvine Goebel gründeten das Pfandleihhaus 1900. Das kleine Foto zeigt das Schloss des im Krieg unversehrt gebliebenen Safes des Großvaters. Der war Werkzeugmacher, der Vater gelernter Uhrmacher, Stephan Goebel ist Einzelhandelskaufmann. Nachdem er einige Jahre in einem Warenhauskonzern gearbeitet hat, ist er im September 1984 in das Familiengeschäft eingestiegen.

Vor fünf Jahren hat er das Leihhaus übernommen. Und auch gleich das Amt des Vorsitzenden des Landesverbandes Pfandkreditbetriebe Mitteldeutschland e.V. Stephan Goebel ist verheiratet und hat drei minderjährige Söhne. Er glaubt, dass einer von ihnen das Geschäft einmal weiterführen wird.

Warum holen so viele ihre Pfänder wieder ab?

Schon allein, damit sie ihre Wertgegenstände beim nächsten Mal wieder bringen können. Egal, ob es ein kleiner Ring ist, ein Collier, eine Rolex- oder Cartieruhr.

Kommen die Kunden mit überzogenen Vorstellungen oder versuchen Sie, möglichst wenig zu zahlen?

Jeder Kunde weiß, was sein Stück gekostet hat. Aber wenn ich ihm die Kalkulation erkläre, sieht er ein, warum er nur 100 Euro bekommt, obwohl er 1.000 bezahlt hat.

Warum?

100 Euro ist der Materialwert. Der Rest sind Steuern. Aber ich habe kein Interesse daran, nur 20 Euro zu geben, wenn ich 100 geben könnte.

Wieso nicht?

Je mehr ich dem Kunden leihe, desto mehr verdiene ich, wenn er es abholt. 20 Euro kosten 1,30 Euro im Monat, bei 100 Euro sind es 3,50. Das ist die Kunst des Pfandleihens: Für ein Stück so viel zu geben, dass der Kunde es auf alle Fälle wieder abholt und ich mit den Zinsen und Gebühren meine Kosten decken kann.

Haben Sie auch das rasante Ansteigen der Goldpreise gespürt?

Ja, unmittelbar. 95 Prozent der Pfänder sind Gold. Innerhalb von zwei Monaten haben die Kunden 10, 20 Prozent mehr für das gleiche Stück bekommen. Die nächste Kunst des Pfandleihens ist es, heute zu wissen, was in mindestens vier Monaten ist. Denn der Pfandkreditvertrag läuft über drei Monate mit einer vierwöchigen gesetzlich vorgeschriebenen Karenzzeit. Danach hat der Pfandleiher ein halbes Jahr Zeit, das Pfand zu veräußern.

Wie wissen Sie, was in vier Monaten ist?

Das sind Erfahrungswerte. Wenn ich es 100 Prozent wüsste, würde ich Warentermingeschäfte mit Zucker, Kaffee oder Rohöl machen.

Wie hoch ist ein Durchschnittsdarlehen?

Da muss man unterscheiden. In den neuen Bundesländern sind es 80 Euro, in Berlin 120, im übrigen Bundesgebiet 280 Euro. Es gibt in den neuen Bundesländern nur acht Pfandleihhäuser, da ist also ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Woran liegt das?

Es gibt viel Technik, die die Leute nach dem Fall der Mauer gekauft haben und ins Pfandleihhaus bringen. Aber der klassische Goldschmuck fehlt, weil es in der DDR keinen Goldhandel gab.

Im Wedding, wo Ihr Laden liegt, ist der Ausländeranteil hoch. Auch bei Ihnen im Leihhaus?

Klar, türkische Kunden, die keinen deutschen Pass haben, sind bei einer deutschen Bank nicht kreditwürdig. Die müssen sich anders finanzieren.

Wissen Sie, wofür Kunden das Geld brauchen?

Nur zu einem ganz kleinen Prozentsatz. Bei zwei türkischen Kunden weiß ich es, weil ich zu den Eröffnungen eingeladen war. In dem Friseursalon hätte ich ein lebenslanges Haarschneiderecht haben können. Das habe ich aber dankend abgelehnt. Der soll mir das Geld abnehmen, seine Existenz gründen und sein Gold wieder abholen. Das andere war ein Dönerstand, bei dem ich den Drehspieß finanziert habe.

Haben Sie viele Stammkunden?

60 Prozent kommen fast jeden Monat. Der Idealfall ist ein Kunde, der Anfang des Monats kommt, sein Pfand Mitte des Monats holt, aber einen ganzen Monat bezahlen muss, und es drei, vier Tage später wieder bringt. Das ist der Traum eines Pfandleihers und passiert leider viel zu selten.

Das Pfandleihhaus Goebel wurde 1900 von Ihren Urgroßeltern Max und Malvine Goebel gegründet. Was wissen Sie von dieser Zeit?

Das war 200 Meter von hier entfernt, in der Reinickendorfer Straße 6. Als das Haus zerbombt wurde, sind die Großeltern ins Nachbarhaus gezogen. Dort waren die Räume irgendwann zu klein und dann zogen sie hier in die Müllerstraße 164. Unten war eine Kneipe drin, über uns ein Doktor. Nach dem Krieg haben die Leute Bekleidung gebracht. In den 60er-Jahren kamen die Pelze, in den 70ern die Videorekorder und dann ging es in Richtung Digitaltechnik. Vor zwei Jahren hatten wir drei, vier Laptops hier, heute sind es 50. Das System ist seit Jahrhunderten gleich. Die Pfänder aber werden sich weiter verändern.

Haben Sie Kindheitserinnerungen daran?

Da war mal was Kurioses, als mein Opa das Geschäft noch oben in der vierten Etage hatte. Das war in den 60er-Jahren, Heiligabend, und Frau Sankowsky, eine Stammkundin, die steinalt geworden ist, schwang sich auf den Tresen, lüftete ihren Rock und fragte meinen Opa: "Na Erwin, kannste mir heute mal ein bisschen mehr geben?"

Hat er?

Nee, das Geschäft hat dann meine Oma abgewickelt. Meine Frau sagt mir immer: Vorsicht mit braunen Kulleraugen (lacht). Du guckst nur auf das Pfand!

Haben Sie oft mit Fälschungen zu tun?

Es ist Wahnsinn, wie versucht wird, falsche Steine oder Uhren auf den Markt zu bringen. Sie glauben nicht, was es alles an Fälschungen bei Rolex- oder Breitlinguhren gibt! Samt Verpackungen und Zertifikaten. Die kommen meistens aus China, sehr gut gemachte Plagiate. Ich habe jetzt einen Uhrenspezialisten aus der Schweiz eingeladen, der sich bestens mit Fälschungen auskennt. So können sich unsere Verbandsmitgliederbetriebe fortbilden. Oder die Autobahnringe!

Autobahnringe?

Das sind Leute mit ausländischen Kennzeichen, die an Autobahntankstellen Messingringe als 585er Goldringe gegen 50 Euro für Benzin anbieten. Dabei sind die sehr leicht zu erkennen. Bei den Stempeln ist die zweite 5 verwischt. Ich habe eine ganze Schublade voll!

Wie groß ist die Gefahr, auf Fälschungen reinzufallen?

Die ist ständig gegeben. Unter zehntausend Verpfändungen ist aber nur ein schwarzes Schaf, weil jeder Kunde sich ausweisen muss.

Wann sind Sie zum letzten Mal einem Betrüger aufgesessen?

Das ist ein paar Jahre her. Das war ein brillantähnlicher Stein, ein Moissanit in erheblicher Größe, den man sehr hoch beleiht. Meine größte Enttäuschung im Moment ist ein Dupont-Feuerzeug. Die kosten 1.000 Euro im KaDeWe. Ein Mann hat mir eins gebracht, mit Schachtel und Zertifikat, und ich habe es mit 200 Euro beliehen. Kunden haben mich auf einer Auktion darauf aufmerksam gemacht, dass die immer die gleiche Seriennummer haben. Wieder was dazugelernt!

Haben Sie Anzeige erstattet?

Ich habe ja die Daten vom Personalausweis und wollte den Betrug anzeigen.

Und?

Das Gericht hat gesagt, dass ich selbst schuld bin, wenn ich mich betrügen lasse.

Waren Sie sauer?

Natürlich ärgere ich mich über solche Geschichten. Aber sie lassen sich nie ganz ausschließen. Bei gutgläubig handelnden Kunden kann ich nichts machen. Und die, die das mit Absicht machen, werden gesperrt. Es sind derzeit ungefähr zehn, bei denen ich dafür sorge, dass die in Berlin kein einziges Stück versetzen können.

Wenn Sie selbst einen Engpass zu überbrücken hätten, was würden Sie verpfänden?

Wir Pfandleiher sind sehr sparsame Menschen, weil wir eine spezielle Verbindung zum Geld haben. Wir verkaufen Geld auf eine nette Art und Weise, und möglichst viel.

Haben Sie auch Bankkredite?

Ja klar, weil wir mehr Geld ausleihen als wir verdienen können. Grundsätzlich gehe auch ich zur Bank und versuche zu handeln, damit ich möglichst wenig Zinsen zahlen muss. Im Moment sieht es ganz gut aus.

Wie das?

Wenn ich morgen mit meiner Frau gegen einen Baum fahre und wir beide tot sind, kann die Bank einen Mitarbeiter an den Schalter setzen und sagen, sie leiht kein Geld mehr aus, sondern löst nur noch ein. Wenn nicht, wird versteigert. Die Bank wartet lediglich vier Monate, um dieses Geschäft abzuwickeln, hat also eine komplette Sicherheit.

Der Zentralverband des Deutschen Pfandkreditgewerbes vermeldete Ende 2008 einen Rekordkurs und erwartet für 2009 fast zehn Prozent mehr Umsatz. Wie hoch war die Kreditsumme im vergangenen Geschäftsjahr bei Ihnen?

Sehr hoch. Wenn Sie die 500 Millionen Euro vom letzten Jahr durch die 140 Geschäfte bundesweit teilen, kommen Sie auf eine Summe, die nicht unerheblich ist.

Könnten Sie konkreter werden?

Das geht in die Tausende, tagtäglich. Ohne Spaß: Das geht pro Jahr in den siebenstelligen Bereich. Aber darüber reden wir nicht.

Wurden Sie schon mal überfallen?

Mein Vater, 1979. Er wurde mit einer Mitarbeiterin zusammen an die Heizung gekettet, mit einer Rasierklinge am Hals. Die Schweißflecken waren noch ewig auf dem Linoleum zu sehen und mein Vater hat über Nacht weiße Haare gekriegt. Meine Frau wurde 2004 von drei Maskierten überfallen. Wenn man in acht Minuten eine Million Euro verliert, dann wird man vorsichtig. Das ist auch für einen Pfandleiher sehr, sehr, sehr viel Geld.

Aber Sie sind doch bestimmt versichert.

Natürlich, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Aber es waren tausende von Pfändern weg!

Wie erklärt man das den Kunden?

Genau. Der Kunde soll ja, das ist das Allerwichtigste, Vertrauen haben, dass er sein wertvollstes Stück wiederbekommt. Da habe ich drei, vier Monat jeden Tag hier am Tresen gestanden von 9 bis 17 Uhr. Danach wäre ich am liebsten in die Kneipe gegangen und hätte mir einen hinter die Binde gegossen. Jeder wollte wissen, warum wir nicht aufgepasst haben. Dabei hatten wir alles im Tresor und haben aufgepasst! Aber wenn man ein Messer am Hals hat, bleibt einem nichts anderes übrig.

Haben Sie viele Stammkunden verloren?

Ganz viele. Sie wurden zwar entschädigt mit dem Darlehensbetrag. Aber die Pfänder waren weg. Von dem Geld haben die Leute ja keinen neuen Schmuck bei Karstadt gekauft. In fünf Jahren mussten wir einen neuen Kundenstamm aufbauen. Das hat sehr viel Mühe und Nerven gekostet.

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