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Debatte VertreibungBewältigung nach DIN-Norm

Kommentar von Gabriele Lesser

Beim Thema Vertreibung geht es hierzulande kaum um das Leid der Polen, sondern um die Deutschen als Opfer. Die Debatte um Erika Steinbach hat daran nichts geändert.

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Auslandskorrespondentin Polen

6 Kommentare

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  • T
    Thomsen

    Mir gefällt E. Steinbach auch nicht - aber die Hass-Kampagne in Polen ist einfach unanständig gewesen - man stelle sich einmal Vergleichbares in Deutschland vor! Laut jüngster Umfrage rangiert übrigens E. S. in Polen als Angst-Gegner an zweiter Stelle gleich nach Putin, der immerhin über den Geheimdienst FSB und über Atomwaffen verfügt.

     

    Und was Geschichts-Verfälschung angeht: Jahrzehntelang wurde in Polen die Geschichte der "wiedergewonnenen Gebiete" (Ziemie odzyskane) bewusst und systematisch verfälscht. Das war angewandte "Geschichtspolitik". Das ist seit Solidarnosc besser geworden, aber davon steckt noch viel in den Köpfen. Eine Gedenkstätte an die Vertreibungen - das Selbstverständlichste von der Welt - würde die Reste dieser Geschichtspolitik in Frage stellen, und erzeugt deshalb beträchtliche Unruhe.

     

    Wer in Polen macht sich schon Gedanken darüber, was z.B. eine Tafel "1945-Heimkehr ins Mutterland" ("powrot do macierzy") für Gefühle bei einem Vertriebenen oder Nachkommen von Vertriebenen auslöst - in einem ehemaligen Heimatort, der nachweislich von Deutschen im Mittelalter gegründet worden ist? Oder der überall an den Fassaden und Gedenksteinen die Spuren ausgelöschter Inschriften gesehen hat - nicht weil es Nazi-Texte gewesen wären, sondern weil sie an die Tatsache erinnerten, dass die Häuser von Deutschen (vor der Hitlerzeit) gebaut worden waren, dass die Gedenktafeln (vor der Hitlerzeit) von Deutschen errichtet worden waren.

     

    Es ging eben darum, im besten stalinistischen Stil die Geschichte ganzer Landschaften umzuschreiben, zu übertünchen, zu polonisieren. Hat jemand in Deutschland deswegen eine Kampagne wegen "Geschichtsverfälschung" geführt? Man hat es ausserhalb der Vertriebenenkreise nicht einmal wahrgenommen.

     

    E. Steinbach mag unsympathisch sein, sich undiplomatisch verhalten, oder wie ein Elefant im Porzellanladen. Man kann auch ihre politischen Ansichten ablehnen.

     

    Aber ohne ihre Hartnäckigkeit gäbe es bestimmt kein "sichtbares Zeichen", nicht zuletzt, weil die Erinnerung an jene Ereignisse seit dem Krieg gegen Serbien wegen der Vertreibungen im Kosovo allen Beteiligten sehr unangenehm ist. Man hätte die Welt eben so gerne in schwarz-weiss gemalt: hier die Guten, da die Schlechten, und wehe wer da stört!

     

    Dass die Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen nicht nur der Deutschen, sondern von Millionen Angehörigen verschiedenenr Völker von Finnland bis nach Rumänien, von Istrien bis zur Krim und sogar innerhalb Polens (Akcja Wisla) nicht allein Konsequenz des Krieges, sondern Ergebnis eines Kuhhandels der westlichen Alliierten mit Stalin waren, dem zweiten grossen totalitären Führer jener Zeit - das passt halt nicht ins Bild.

     

    Aber wofür mußten die vertriebenen oder zwangsumgesiedelten Finnen, Balten, Polen, Ukrainer, Lemken, Ungarn, Rumänen, Italiener, Wolgadeutschen, Tataren usw. bezahlen? Waren die auch alle an Hitlers Krieg schuld?

     

    Es hiess mal, man solle nicht aufrechnen. Gilt das in beide Richtungen, oder nur wenns in den Kram passt?

  • S
    stefan

    Polen verbietet den Deutschen nicht, sich als Opfer der Grenzverschiebung zu fühlen. Was Polen nicht will, ist ein antipolnisches Lügengebäude.

     

    Man muß die Geschichte wahrheitsgemäß deuten.

     

    -Man muß wissen wer die Grenzen verschoben hat.

    -Man muß wissen wieviele Deutsche vertrieben worden sind.

    -Man muß wissen wie viele Deutsche geflohen sind.

    -Man muß wissen wer die Deutschen vertrieben hat.

    -Man muß wissen wie viele Deutsche bei den Vertreibungen umkamen.

    -Man muß wissen, wie viele von den Vertriebenen unschuldige Opfer waren.

     

    Und dann kann man ein Museum aufbauen, anstatt eine "wir waren Opfer" Propagandastätte, ganz nach dem Vorbild von Goebbels und seinem "Versailler Diktatfrieden" Gejammere. Wozu dieses falsche Opfergefühl letztendlich 1939 geführt hat, wisen wir alle...

  • M
    Markus

    "Alles beim alten": Was du sagst klingt ungefähr so:

    Ein Brandstifter, der das Haus seines Nachbars angezündet hat, fühlt sich als Opfer weil sein eigenes Haus durch den unerwarteten Wind auch Feuer gefangen hat. Recht hat er, es sind ja zwei Häuser verbrannt.

     

    Die Vertreibungen nach 1945 sind ein Unrecht, verursacht durch das Unrecht des Hitler Stalin Paktes und in weiterer Folge des Zweiten Weltkrieges. Und darin war Polen nun mal ein Spielball zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Wer diese Zusammenhänge negiert, Ereignisse auch "gesondert" betrachtet, der relativiert die Geschichte. Die Menschheitsgeschichte ist nun mal eine Kette von Ereignissen und deren Folgen.

    Die Vertriebenen bezahlen für eine Hypothek die

    die Deutschen schon 1933 in der Person des "Führers" aufgenommen haben.

    Das mag man als junger Deutscher nicht verstehen bzw. nicht akzeptieren wollen, aber die Folgen und die Schande der Verbrechen des "Tausendjährigen Reiches" die für "Führer, Volk und Vaterland" begannen wurden, werden die Menschheitsgeschichte noch lange überschatten.

    Und dann kommt die Tochter eines Besatzungsoffiziers die sich als Opfer fühlt, die die Oder-Neiße Grenze nicht akzeptiert, die sich regelmäßig gegen Polen äußert und "Deutschland über alles" in die National Hymne wieder einführen will. Das soll Aufarbeitung sein? Das ist Zynismus einer Karrieristin die auf dem Rücken der Vertriebenen und des von ihnen erfahrenen Unrechts reitet. Sicherlich es gibt in der polnischen Geschichte noch einige dunkle Seiten die nicht oder nur unzureichend beleuchtet wurden, aber solche Karrieristen werden immer nur Steine auf dem ohnehin schon schwierigen Weg der Aufarbeitung sein.

  • Z
    Zdzislaw

    Ach Gabriele, wozu so manipulieren:

    "Lammert hätte den perfekt Deutsch sprechenden Politiker auch einfach anrufen und fragen können, ob er Steinbach tatsächlich eine "blonde Bestie" genannt - was nicht der Fall war - oder sie als Anti-Polin bezeichnet hatte, die die Polen so sehr ablehnten wie die meisten Juden den Bischof Williamson."

     

    Ja, entgegen des sugestiven Satzbaus, er bezeichnete sie als 'Antipolin' und nein, der Vergleich mit Williamson war etwas anders. Bitte werfe nicht anderen vor, dass sie mit Zitaten lax umgehen und mache dann selber (nicht zum ersten mal) den gleichen Fehler.

  • ES
    Eva Szczepanski

    "Alles beim alten" hat recht. Es ist den Polen unbenommen, das Unrecht zu beklagen und auch zu dokumentieren, das ihnen von Deutschen angetan wurde (und das in der ihnen genehmen Form, nicht der, die den Deutschen gefällt).

    Aber der Wahrheit ist es nicht dienlich, wenn sie sich ständig nur als Opfer darstellen, denen von Stalin die Westverschiebung ihres Landes angetan wurde. Die Behauptung, das Land bis zur Oder (und noch weiter westlich) sei urpolnisches Land, reicht bis zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und noch früher zurück. Schon nach dem Ersten Weltkrieg war Polen nicht zufrieden mit den Gebieten, die es (völkerrechtlich zumindest fragwürdig) von Deutschland bekommen hatte (und dort die deutsche Bevölkerung genauso drangsalierte, wie es später das 3. Reich mit den Polen tat). Ganz offen wurden Gebietsansprüche gestellt. Da war Hitler noch in weiter Ferne. Heute so zu tun, als sei man nur Opfer, wird der historischen Wahrheit nicht gerecht. Deutschland hat sich zu seiner dunklen Seite bekannt, Polen tut das nicht. Wenn Erika Steinbach fordert, daß sie die Wahrheit will, sonst nichts, wer kann denn ernsthaft dagegen sein?

    Die Einmischung in eine deutsche Angelegenheit ist anmaßend. Im umgedrehten Fall würde es Deutschland auch nicht wagen (und das sollte es auch nicht tun), sich in ein polnisches Dokumentationszentrum einzumischen. Es gibt in den ehemaligen Ostgebieten genügend Museen und historische Stätten, wo die Geschichte in polnischer Manier gedeutet wird.

  • AB
    alles beim Alten

    Ich denke, das Problem der Aufarbeitung der Verteibung liegt an ganz anderer Stelle.

    In Deutschland ist seit einigen Jahrzehnten nicht mehr politisch Opportun über die Verteibung zu sprechen oder sie gar im Gedächnis zu halten. Wenn es zu diesem Thema (politische) Beiträge gibt, sind es fast ausschließlich Negativschlagzeile über die "Ewiggestrigen" die nichts dazu gelernt hätten und (oft unterstellt) für ein neues Hitlerdeutschland wären.

     

    Man kann also nicht wirklich von einer Aufarbeitung sprechen. Was allen gut tun würde, wäre gegenseitiges Anerkennen von begangender Schuld und Verständnis für die Geschichte des anderen.

    Man kann nicht eine Diskussion über Vertreibung beginnen mit dem Hinweis, dass es den Deutschen, weil sie den Krieg begannen, nicht zusteht, sich als Opfer zu sehen. Warum denn nicht? Über die Zeiten der vergleichenden Rechtsprechung sollten wir doch eigentlich hinaussein. Relativiert sich dadurch der Akt der Verteibung? Fühlt sich denn ein vertriebener Deutscher anders als ein vertriebener Pole? Wem das Recht auf die eigene Geschichte verwehrt wird, wird sie umso lauter und verbissener vortragen.

     

    Unrecht mit Unrecht aufzuwiegen hat noch nie etwas anderes bewirkt als neues Unrecht zu erzeugen.