Überleben in der Krise: Reiche Russen auf Diät

Vierzig Prozent Umsatzeinbuße befürchtet Alexander, ein Autohändler in Moskau. Viele Millionäre müssen nun ihren Fuhrpark verkleinern. Teil 2 der taz-Serie zum G-20-Gipfel.

"Reich zu werden ist nicht schwer, reich zu bleiben dagegen sehr", sagt eine russische Volksweisheit. Millionärsmesse in Moskau. Bild: dpa

MOSKAU taz "Ihr Geld ist weg, aber die Männer sind noch da", meinte Xenia Sobtschak am Rande der Moskauer Messe für Millionäre süffisant. Die 27-jährige Xenia genießt den Ruf, Russlands Paris Hilton zu sein. In den überhitzten Jahren des Ölbooms verkörperte die Tochter Anatoli Sobtschaks, des ersten demokratisch gewählten Bürgermeisters von Sankt Petersburg, Russlands neue nationale Idee von Glamour wie keine andere.

Nach Einschätzung der Weltbank ist Russland von der Wirtschaftskrise stärker betroffen als viele westliche Staaten. Die Weltbank geht von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 4,5 Prozent in diesem Jahr aus. Im Jahr 2010 dürfte die Wirtschaft im günstigsten Fall stagnieren. Die Banker empfehlen, die Sozialausgaben erheblich zu erhöhen, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Offiziell sind bislang an die 600.000 Arbeitslose registriert. Präsident Dmitri Medwedjew sprach demgegenüber bereits von sechs Millionen Bürgern, die von Arbeitslosigkeit betroffen seien. "Begleitet wurde diese Entwicklung durch eine Verhärtung der Außenhandelsbedingungen, Kapitalflucht und strengere Bedingungen für Außenanleihen", heißt es in dem Weltbankbericht. Im Vergleich zu 2008 prognostiziert das russische Ministerium für Wirtschaftsentwicklung einen Investitionsrückgang von 13,8 Prozent, geht aber von einem Handelsüberschuss von 24,1 Milliarden Dollar aus. KHD

Sagenhafter Reichtum, ein gehöriger Schuss Abgeschmacktheit, Kitsch und Zynismus waren die wichtigsten Bestandteile des russischen "glamur". Xenia nimmt kein Blatt vor den Mund. So sprach sie schon im November von Krise, als Kreml und Staatspartei noch so taten, als würde die Rezession um Russland einen Bogen machen. Das analytische Instrumentarium des Glamourgirls ist fein justiert. Vor zwei Jahren schrieb sie ein Buch, das zum nationalen Bestseller avancierte: "Wie man einen Millionär heiratet". Das Buch sollte Ratgeber sein für arme Mädchen aus der Provinz, die vom reichen Prinzen träumen. Unter Moskaus Dächern lebten damals 300.000 Dollarmillionäre und knapp drei Dutzend Milliardäre. Darunter viele, die sich nicht nur eine Frau leisteten.

Inzwischen backen auch die Superreichen kleinere Brötchen. Die russischen Milliardäre haben laut der letzten Rangliste des Forbes-Magazins erheblich Federn lassen müssen. "Ich habe noch keinen der Oligarchen bei uns gesehen, aber Millionäre kommen häufiger mal vorbei", erzählt Alexander, der seit vier Jahren in einem Autosalon für Gebrauchtwagen des "Premiumsegments" arbeitet.

Der Avtosalon Kunzewo liegt am westlichen Stadtrand Moskaus in einer heruntergewirtschafteten Industriezone. Neben den mondänen Niederlassungen von Suzuki, VW und Toyota befindet sich auch Moskaus größter Markt für Autos und Ersatzteile hier. Eingesäumt von einem verwitterten Metallzaun gleicht der Markt noch immer einem Basar. Welten scheinen das Premiumsegment, das vor allem aus BMW, Mercedes, Lexus und italienischen Handanfertigungen besteht, von dem Allerlei aus Chrom und Kautschuk der Händler zu trennen. Von hier aus ist es nur ein Steinwurf bis in die legendäre Rublewskoje Chaussee, der Villengegend, wo leben muss, wer etwas auf sich hält.

"Die Zusammensetzung unserer Kundschaft hat sich in den letzten Monaten stark verändert", meint Alexander vorsichtig. Viele Wohlhabende bauen ihren Fuhrpark ab. Gleich neben dem Eingang in der Ausstellungshalle steht ein beige-grauer Bentley Continental, Baujahr 2005, 49.000 Kilometer ist er gelaufen. Für 100.000 Euro ist das Prachtstück zu haben. Auch mehrere fast neuwertige Porsche Cayenne sind im Angebot ab 31.000 Euro. Ein weißer Lexus von der Größe eines Schlachtschiffes wurde kaum bewegt, 165 Kilometer zeigt der Tacho. Er diente wohl als Kulisse für Pornos, der Preis ist günstig.

"Die Ankaufpreise sind sehr günstig", meint Alexander. Die ehemaligen Besitzer bräuchten dringend Bargeld, weil die Gläubiger ins Haus stünden. Der Verkäufer des Bentley wollte unterdessen nur ein bisschen "daunseisssen". Ihm wäre es nicht so angenehm in der Krise, mit einem Bentley unterwegs zu sein, und er wolle auf einen kleineren Lexus umsteigen. "Da ist wohl auch noch etwas anderes mit im Spiel", sagt Alexander schmunzelnd.

Vielen steht das Wasser bis zum Hals, deswegen verkaufen sie zu Niedrigpreisen. Wo sonst 150 Wagen stehen, drängen sich jetzt gut 250, dicht an dicht. Die meisten Besucher steuern auf den Bentley zu, berühren ihn vorsichtig, treten zurück und wiegen den Kopf. "Seit mehr als drei Monaten steht er hier", sagt Alexander, der in einem grauen Anzug steckt, der ihm langsam zu klein wird.

Das Geschäft läuft nicht gut. Bis zum Jahresende 2008 hätten die Leute die Krise noch mehr oder weniger ignoriert. "Jetzt spürt es fast jeder", sagt er. Vierzig Prozent Umsatzeinbuße erwartet er mindestens. In der Kreditabteilung des Autohauses an der hinteren Wand langweilen sich zwei junge Frauen. Gelegentlich erkundigt sich mal jemand, aber zu einem Kaufabschluss kommt es nicht. "Außer der Sberbank (Sparkasse), der Raiffeisen- und Gazprombank, die noch ab und zu Kredit gewähren, ist kein anderes Geldinstitut mehr dazu bereit, meint Alexeij.

Auch die Kunden haben sich verändert. Die Händler nennen sie etwas herablassend "proletari" - Proletarier. "Oft sind es die Angestellten der Reichen, die nicht schlecht verdient, ihr Geld aber auch nicht verprasst haben." Sie wollten sich jetzt endlich einen jahrelangen Traum verwirklichen und in einem Wagen wie die "Herrschaften" fahren. Die Kunden tragen keine Designerklamotten oder machen sich auffallend zurecht, die Physiognomien verraten, dass der Umzug in die große Stadt wohl noch nicht allzu lange zurückliegt. Viele stammen vom Lande wie die junge Kundin, die durch einen rosa Trainingsanzug auf sich aufmerksam macht. Moskauer würden so nicht auf Einkaufstour gehen. Diese Klientel muss cash bezahlen.

Die säumigen Zahler stellen russische Gerichte schon jetzt vor große Probleme. Im ersten Quartal 2008 waren Klagen über 39,9 Milliarden Rubel Außenstände der Banken anhängig, gegen Ende des Jahres wuchs die Summe auf 71,4 Milliarden Rubel an. Tendenz steigend.

Da schlägt die große Stunde der "kollektory", der "repossessors" oder Geldeintreiber. Deren nationale Assoziation (Napka) verzeichnete Ende 2008 gegenüber dem vorangegangenen Quartal eine Verdoppelung der Aufträge. Immer mehr Banken gehen dazu über, Schulden zu verkaufen. Einzelheiten sind von den Agenturen der Kollektory nicht zu erfahren, sie meiden die Öffentlichkeit. Nur so viel verrät Jewgeni Bernschtamm, Chef des Gesamtverbandes Napka: "Das Briefpapier der meisten Kontore ziert ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen." Die Piratenflagge ist ein klarer Hinweis darauf, dass notfalls die Gelder auch mit Gewalt eingetrieben werden.

Wolodja hat keine Schulden, aber sparen hätte er nicht gelernt, räumt der 30-jährige Investmentbanker ein. "Ich weiß gar nicht, was das ist." Wolodja sitzt bei McDonalds und isst zwei Hamburger. "Ungenießbar", sagt er verächtlich. Das Frühstück bei McDonalds ist sein erster Versuch, das Geld zusammenzuhalten. Auch er könnte seinen Arbeitsplatz schon morgen verlieren. Viele Kollegen in anderen Firmen wurden entlassen und sind seither auf Arbeitssuche. Vergeblich. Besonders hart getroffen hat es Juristen, Banker, PR-Experten, Buchhalter, Verkaufsmanager und den Immobiliensektor. Moskaus Jeunesse dorée muss den Gürtel enger schnallen. "Früher habe ich im Café Puschkin gefrühstückt, Blinis mit Kaviar und hausgemachter Marmelade gegessen, dazu gepressten Grapefruitsaft und San Pellegrino", erzählt Wolodja wehmütig. Er ist durchtrainiert und braun gebrannt. "Mensch", sagt er, "für was für einen Mordskerl hab ich mich gehalten, dann wachst du auf und bist plötzlich ein kleiner Wicht." Sparen war verpönt. "Wichtig wars, zu zeigen, was du hast. Niemand hätte erwartet, dass der Boom in Russland jemals zu Ende sein könnte."

Wer nicht so viel verdient hat, versuchte über Kredite trotzdem mitzuhalten. Fast die Hälfte der Bevölkerung hat sich verschuldet, und zwei Drittel besitzen laut Lewada-Institut keine Ersparnisse. Den gut ausgebildeten jungen Leuten fällt es schwer, sich umzugewöhnen. Sie stellten die erste Generation nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, die sich fast alles erlauben konnte. Die Überlebensstrategien der Eltern, die mit Krisen und Mangel umzugehen wussten, beherrschen sie nicht. Baut der Vater auf der Datscha statt Zierrasen wieder Kartoffeln an, für alle Fälle, empfinden sie das als kränkenden Statusverlust. Die Älteren gehen damit gelassener um. Nach dem Motto "Geld kommt und geht". Die viel besungene russische Schicksalsergebenheit kommt wieder zum Vorschein, aber auch die Gewissheit, dass es irgendwie weitergeht.

Das fremde Auge erkennt die Krise im Moskauer Stadtbild nicht auf Anhieb. Nur wer genau hinschaut, nimmt schleichende Veränderungen wahr. Der Verkehr hat nachgelassen, und die einst mit Markenartikeln zugekleisterten Werbeflächen verschwinden nach und nach. Krisengewinnler wie Casinos und Scharlatane aus Astrologie und Medizin bieten stattdessen ihre Dienste an. Am auffälligsten zeigt sich der Geldmangel auf den unzähligen Baustellen der Metropole, die bis in den Herbst hinein auch nachts nicht stillstanden. Die meisten Baustellen sind inzwischen verwaist, die Arbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus in ihre Heimat zurückgekehrt. Auch das Prestigeobjekt Moscow City ist davon betroffen. Einst sollte hier mit über 600 Metern der höchste Büroturm Europas entstehen. Der englische Stararchitekt Norman Foster entwarf das ambitionierte Projekt mit Namen "Rossija".

Moskau wollte den Finanzmetropolen der Welt den Rang ablaufen. "Über die Baugruben für die Fundamente ist es nicht hinausgekommen", erzählt Ibragim, der auf der Nachbarbaustelle als Security-Chef arbeitet. Er fährt diese Woche in den Kaukasus zurück. Auch seine Baustelle wird erst einmal geschlossen, weil den Investoren das Geld ausgegangen ist. Mehr als die Hälfte der 40 Stockwerke sind noch nicht fertig und das Skelett des Rohbaus kämpft mit Wind und Wetter. "Die Eisenträger rosten und rotten schon", sagt Ibragim. Es tut ihm weh. Ob jemand auf die Idee kommt, die unvollendete Vision wenigstens abzudichten? Er weiß es nicht. Die Zukunft ist abhandengekommen.

Zu den wenigen, die darüber frohlocken können, gehört die Autorin des Bestsellers "Antiglanz". Natalia Oss rechnet darin mit dem Hedonismus ihrer Generation ab. "Es wird wieder lebendig und fröhlich, wenn die kleinbürgerliche Langeweile der letzten Jahre verschwindet", sagt sie trotzig. Russland geht eben seinen Weg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.