60 Jahre Nato: Wohin steuert die Allianz?

Die Amerikaner dominieren, die Europäer sind in der Überzahl, und Russland wird isoliert. Die Nato dehnt sich seit Jahren aus und sucht jetzt eine neue Strategie.

Abschied von der Sonderrolle: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bricht mit der Tradition seines Vorgängers Charles de Gaulle. : dpa

Gibt es die Nato eigentlich noch? In formaler Hinsicht ist das eine abwegige Frage: Am Samstag wird die westliche Allianz ihren 60. Geburtstag begehen. Am 1. April traten Kroatien und Albanien dem Militärbündnis bei. Und Frankreich will sich wieder vollständig in die Kommandostruktur der Nato eingliedern. Damit nimmt Frankreich nach mehr als vier Jahrzehnten Abschied von der gaullistischen Sonderrolle.

Aber das Jubiläum und die höfliche Diplomatie können die grundsätzlichen Differenzen allenfalls übertünchen. Inhaltlich gehen die Ansichten über den Kurs, den die Nato in den nächsten Jahren einschlagen soll, weit auseinander. Seit dem Amtsantritt von Barack Obama dürfte es etwas leichter geworden sein, innerhalb der Allianz offenen Streit zu vermeiden und Kompromisse zu finden. Ungeachtet dessen klaffen jedoch die Interessen der Vereinigten Staaten und Europas inzwischen in immer stärkerem Maße auseinander.

Aktivisten: Kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in Straßburg und Baden-Baden habe die Polizei nach Angaben von Anwälten mindestens 40 Aktivisten an der Reise nach Straßburg gehindert. Die Betroffenen seien an verschiedenen Grenzübergängen nach Frankreich gestoppt worden, sagte Rechtsanwalt Reinhard Kirpes, Mitglied des für die Gipfelproteste eingerichteten "Anwaltlichen Notdienstes". Außerdem sei ein Bus der Linkspartei rund vier Stunden am Grenzübergang bei Breisach festgehalten worden, sagte Kirpes.

Journalisten: Auch was die Berichterstattung des Journalisten Björn Kietzmann betrifft, gibt es eine Verschärfung. Die Nato-Pressestelle lehnte am Donnerstag seine Akkreditierung auch weiterhin ab, obwohl das Verwaltungsgericht Wiesbaden am Vortag noch die Akkreditierungspraxis als "unzulässig" verurteilt hatte. Das Bundeskriminalamt hatte unerlaubt der Nato-Zentrale empfohlen, Kietzmanns Akkreditierung abzulehnen. Dies sei eine "Entscheidung der Nato", die deutschen Behörden hätten mit diesem neuen Votum nichts zu tun, begründete ein Nato-Sprecher die abermalige Ablehnung. TAZ

Bekanntestes Beispiel dafür ist die Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der europäischen Beteiligung am Krieg in Afghanistan - vor allem der deutschen. Washington wünscht ein stärkeres Engagement, Berlin wehrt ab. Nicht zuletzt deshalb, weil die Zustimmung der deutschen Bevölkerung zu der Militäroperation beständig sinkt.

Immerhin scheint eine Einigung bei diesem Thema inzwischen möglich geworden zu sein. Die Erfahrungen im Irak, aber eben auch in Afghanistan haben den USA vor Augen geführt, dass selbst eine noch so große militärische Überlegenheit in der gegenwärtigen globalen Situation keine dauerhafte Stabilität erzwingen kann. Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der UNO und anderen multilateralen Organisationen ist deshalb größer als in der Ära Bush. Obama wird stärkeres Gewicht auf den zivilen Aufbau von Krisenregionen legen als sein Vorgänger und zeigt mehr Bereitschaft zum Dialog - eine Haltung, die dem europäischen Politikverständnis entgegenkommt.

Aber das ändert nichts an dem Grundsatz, dass die Interessen der stärksten Militärmacht der Welt anders gelagert sind als die von Mittelmächten. Im UN-Sicherheitsrat sind die USA nur eines von fünf Mitgliedern mit Vetorecht. In der Nato ist ihre dominierende Stellung unangefochten. Zumal sich die Schere des militärischen Ungleichgewichts immer weiter öffnet: Fast die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben entfallen allein auf die Vereinigten Staaten. Sogar der Wehretat Chinas beträgt nur etwa ein Zehntel dessen der USA. Die Europäer, auch Deutschland, haben zwar in den letzten Jahren ihr Militärbudget erhöht, aber verglichen mit den USA handelt es sich dabei nach wie vor um Kleingeld.

Fakt ist, dass die Welt nicht mehr in zwei Blöcke, sondern in zahlreiche verschiedene, geostrategisch bedeutsame Regionen aufgeteilt ist. Daher erscheint es nachvollziehbar, dass Washington gerne von Fall zu Fall weltweit Verbündete suchen möchte. US-Strategen denken schon seit längerer Zeit darüber nach, ob Japan und Australien mögliche Beitrittskandidaten sein könnten. Im europäischen Interesse liegt das nicht. Europa wünscht die USA als Schutzmacht zu behalten. Neue Mitglieder außerhalb der eigenen Einflusszone würden ohnehin den mühsamen Abstimmungsprozess innerhalb der Nato erschweren.

An der Frage, wer künftig zur Nato gehören und wer draußen bleiben soll, zeigen sich die Bruchstellen der Allianz besonders deutlich. Als Teil einer Einkreisungsstrategie gegenüber Russland wünscht Washington die Aufnahme von Georgien und der Ukraine. Dabei werden die USA von Polen und den baltischen Staaten unterstützt, die dem mächtigen Nachbarn Russland misstrauisch gegenüberstehen. Die westeuropäischen Staaten hingegen setzen stärker auf den Dialog als auf die Konfrontation mit Moskau, unter anderem wegen ihrer Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Ähnlich verläuft übrigens die Konfliktlinie bei dem von den USA geplanten Raketenabwehrschirm in Mitteleuropa, der allerdings derzeit angesichts der Wirtschaftskrise ohnehin nicht finanzierbar sein dürfte.

Und Israel? Die Diskussion über eine mögliche Nato-Mitgliedschaft des jüdischen Staates hat in den vergangenen zwei Jahren an Dynamik gewonnen. Unterstützt wird die Idee von Vertretern sehr unterschiedlicher Lager: zum einen von jenen, denen es vor allem darum geht, die israelische Position im Nahen Osten unangreifbar zu machen, zum anderen von solchen, die in diesem Schritt die einzige Chance für eine regionale, nukleare Abrüstungsinitiative sehen, die auch den Konflikt mit dem Iran entschärfen könnte.

Entscheidungsreif ist die Frage noch nicht. Zu viele gibt es, denen die Folgen einer solchen Entscheidung allzu unkalkulierbar zu sein scheinen - wie so viele Entscheidungen, die bei Nato-Gipfeltreffen zwar nicht auf der offiziellen Tagesordnung stehen, aber hinter den Kulissen umso heftiger diskutiert werden.

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