Omar Akbar über die Bauhaus-Zukunft: "Jeder hat eine andere Vorstellung"
Der Urbanist Omar Akbar war bis vor kurzem Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Auf eine zweite Amtsperiode hat er verzichtet. Im taz-Gespräch äußert er sich über das schwierige Erbe der Institution.
taz: Herr Akbar, Sie sind mit Ihrer kritischen Haltung gegenüber der Moderne schon des Öfteren angeeckt. Wo Sie nun nicht mehr Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau sind, können Sie jetzt wieder freier über das Bauhaus reden?
Omar Akbar: Es gibt viele Bauhausfundamentalisten, vor allem in den USA bei den ehemaligen Studenten von Walter Gropius und bei anderen Bauhäuslern. Ich habe diesbezüglich einmal von der "Diktatur der Erben" gesprochen. Dieser Begriff schien mir im Zusammenhang mit einigen der Nachfahren, unter anderem Oskar Schlemmers, angebracht. Es gab sogar eine von einem prominenten australischen Architekten, Schüler von Walter Gropius, initiierte Unterschriftenliste gegen mich als Direktor der Stiftung.
Was genau hat man Ihnen vorgeworfen?
Schon meinen Namen mit dem Bauhaus in Verbindung zu bringen, war für einige zu viel: ein Herr Akbar aus Kabul, der eine Bauzeichnerlehre gemacht hat und eine Schauspielschule besucht hat und nun Bauhausdirektor wird, hieß es. Bei meiner Antrittsrede sagte ich: Ich weiß, dass mein Name aus einer anderen Tradition stammt, aber vielleicht ist das ein Zeichen von Integration innerhalb der deutschen Gesellschaft. Ich bin dankbar, dass diese Gesellschaft endlich so weit ist und sich nicht mehr an Namen oder Herkunft stört.
Sie haben sich nicht mehr für eine weitere Amtsperiode als Bauhaus-Direktor beworben. Hat das mit den schlechten Erfahrungen zu tun, die Sie gemacht haben?
Viele haben gesagt, die Ausschreibung ist doch für dich formuliert. Ich mag so etwas nicht. Mir wurde verletzter Stolz vorgeworfen. Es ging aber um etwas ganz anderes: Die Rahmenbedingungen zur Erfüllung unterschiedlicher Wünsche, die permanent auf die Stiftung Bauhaus zukamen, stimmten nicht. Sie sollte zu einem Magnet des Tourismus werden, zum städtischen Markenartikel, zum Zugpferd anderer Unternehmen und Institutionen, zum Zentrum der zündenden Ideen, zur Lösung aktueller Design- und Architekturfragen. Der Druck nahm ständig zu. Hinzu kam meine kritische Position zur Rekonstruktion des Direktorenhauses von Gropius in der Meisterhaussiedlung. Und irgendwie ist es auch ein deutsches Trauerspiel mit der Moderne: Erst erfinden die Deutschen das Bauhaus, dann würgen sie es ab, dann wird es wieder in den Himmel gehoben und schließlich wissen sie nicht mehr, was sie damit machen sollen. Das Bauhaus als Rettungsanker in Zeiten der Ungewissheit?
Ansprüche und Erwartungen, die mit dem Bauhaus verbunden sind, sind also für die heutige Stiftung eine Nummer zu groß?
Das größte Problem ist wohl, dass jeder eine andere Vorstellung vom Bauhaus hat. Auch Missverständnisse tragen zur Konfusion bei. Sie brauchen nur die expressionistische Phase in den ersten Jahren des historischen Bauhauses darstellen, das glaubt Ihnen kein Mensch. Das allgemeine Bild des Bauhauses ist stark auf industrielle Produktion und Produktdesign bezogen. Und alles, was in der Architektur weiß und modern aussieht, ist sowieso Bauhaus, genauso wie Stahlrohrfreischwinger. Für mich gibt aber es keine typische Bauhausarchitektur. Dass das historische Bauhaus eine Schule war, wird immer vergessen. Das Bauhaus nannte sich ja selbst "Hochschule für Gestaltung". Nach der Wende wäre es gut gewesen, das Bauhaus als eine solche Hochschule für Gestaltung auf Universitätsebene neu zu gründen.
OMAR AKBAR war von 1998 bis Ende letzten Jahres Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau und bis zu diesem Zeitpunkt auch an der Konzeption der Jubiläumsschau beteiligt. Akbar ist 1948 in Kabul geboren und kam 1960 nach Deutschland. Hier studierte er Architektur und Stadtplanung. Nach verschiedenen beruflichen Stationen im In- und Ausland übernahm er 1993 an der Hochschule Anhalt in Dessau die Professur für Städtebau und Architekturtheorie, arbeitete aber auch in einem Slumsanierungsprojekt in Aswan, Ägypten. Nach zehn Jahren als Bauhaus-Direktor ist er auf seine alte Professur zurückgekehrt.
Der 90. Geburtstag des Bauhauses wird in diesem Jahr ausgiebig gefeiert. Weimar, der erste Standort der Schule, hat seine Ausstellung "Das Bauhaus kommt aus Weimar" bereits eröffnet.
Am gleichen Ort hatte am 11. April 1919 Walter Gropius seinen Direktoren-Vertrag unterschrieben. In Berlin lässt man sich noch bis Juli noch Zeit, dann eröffnet im Martin-Gropius-Bau die Schau "Modell Bauhaus" - erstmals als gemeinsame Veranstaltung aller drei Bauhaus-Stätten von Weimar, Dessau und Berlin.
Die jetzige Stiftung Bauhaus Dessau hat mit der historischen Schule außer Namen und Gebäude nicht mehr viel gemeinsam. Heute geht es in der Postgraduiertenausbildung um Fragen der Stadtplanung. Es gibt eine Art Bauhaus-Museum, viele Veranstaltungen und wechselnde Ausstellungen, die alte Bauhausthemen für die Gegenwart aktualisieren wollen.
Die Adoptivtochter von Gropius, Ati Gropius Johansen, hat mich 2006 nach der Sanierung des von ihrem Vater errichteten Bauhausgebäudes zur Seite genommen und gesagt: Herr Akbar, können Sie denn nicht diesen Namen ändern? Zum Beispiel Stiftung Dessau. Wie auch andere war sie der Meinung: Wenn man die traditionelle, historische Schule nicht wieder herstellt, ist der Name Bauhaus irreführend. Aber warum kann man nicht die damaligen großen Themen Kunst, Design und Architektur für eine Ausbildungsstätte beibehalten und sie mit neuen Inhalten versehen? Als Exklave, anders als in der gängigen, aber problematischen Curricula-Ausbildung an unseren Hochschulen, könnte man viele Elemente des historischen Bauhauses aufgreifen. Die verantwortlichen Behörden müssten dazu aber eine solche Exklusivität der Ausbildung erst akzeptieren und als Chance begreifen.
Das historische Bauhaus ist ja auch an der Ablehnung der Politiker gescheitert. Aber die Bürger von Weimar und Dessau haben sich mit dem Bauhaus ebenfalls nie recht anfreunden können.
Das Bauhaus wurde durch die politischen Realitäten der Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts dreimal brutal und endgültig geschlossen: in Weimar 1924, Dessau 1932 und Berlin 1933. Immer waren es die Reaktionären und die Rechten. Dass in der Provinz die Akzeptanz für avantgardistische oder exklusive, gar elitäre Institutionen nur bedingt vorhanden ist, ist möglicherweise ein Teil des Problems. Beide Seiten - die Bürger und die Institution - haben es nicht leicht miteinander: Sie bleiben Fremde.
Die Botschaft der im Juli in Berlin eröffnenden Ausstellung "Modell Bauhaus" wird kurz gesagt lauten: Das Bauhaus war bunt. Das Bauhaus sei vielfältig gewesen. Ist dieser Ansatz richtig?
Wenn er gelingt! Was war eigentlich in den Zwanzigerjahren? Man hat eine Schule aufgebaut, die erste Schule der Moderne, könnte man sagen, mit der sich viele identifiziert haben. Es gelang, viele hervorragende Künstler zu beteiligen. Es wurde viel experimentiert und eine besondere Pädagogik aufgebaut. Das Bauhaus war aber auch sehr international, denn damals waren Lehrer und Studenten aus 29 Nationen am Bauhaus. Ich glaube, das Bauhaus liefert eine ganz besondere Geschichte zur Positionierung der Deutschen gegenüber der Moderne. Aber diese Schule war in den 14 Jahren ihres Bestehens ständig in Veränderung begriffen, Konflikte und Desorientierungen mit eingeschlossen. Wenn Gropius 1919 anfängt mit der Losung "Handwerk und Kunst eine Einheit", dann scheint das wie ein historischer Rückschritt. Vor dem Ersten Weltkrieg war im Werkbund schon über die Industrialisierung der Produktion diskutiert worden, Amerika hatte die "Form follows function"-Debatte, die klassische Moderne in Wien war bereits Geschichte. Erst 1923 schwenkte Gropius auf das Motto "Kunst und Technik eine Einheit" ein. Die Direktoren Hannes Meyer, ab 1928, und Mies van der Rohe, ab 1930, veränderten wieder vieles grundlegend. Wenn man all diese Veränderungen in einer Ausstellung zeigen kann, dann gelingt es vielleicht, das Bauhaus vom Kopf auf die Füße zu stellen und seinen Mythos zu relativieren.
Kann man mit den weit zurückliegenden Gedanken der Bauhausjahre heute überhaupt noch etwas anfangen?
Es gibt immer eine Dialektik von Bruch und Kontinuität. Es gibt Probleme, die bis heute nicht gelöst sind. Stichwort: Wohnungsnot. 20 Millionen Haushalte in der europäischen Gemeinschaft haben weder Wasser- noch Abwasseranschluss, 900 Millionen Menschen leben weltweit in Slums. Die Politik versagt und viele Planer und Architekten ignorieren diese Probleme. Für mich ist aber auch die Frage der Interdisziplinarität in der Ausbildung etwas sehr Aktuelles. Kann man erreichen, dass Künstler, Architekten, Naturwissenschaftler, Soziologen usw. gemeinsam an einem Thema arbeiten, wie es dem historischen Bauhaus unterstellt wird? Alle Hochschulen versprechen uns das, aber keine löst es ein. Ein Experiment, das dies testet, wäre spannend.
Endzweck aller Ausbildung, so hatte Gropius es für das Bauhaus formuliert, sei der Bau. Die Beschäftigung mit explizit urbanistischen Fragen begann am Bauhaus 1927. Was lässt sich davon heute noch fruchtbar machen?
Die Stadt ist ja nicht die Erfindung eines genialen Geistes, sondern ein Zusammenkommen divergierender Kräfte. Die Zeitschiene prägt sie und schafft Kontinuität und Diskontinuität. Da wir heute mit anderen Fragen und Problemen konfrontiert sind, müssen Visionen neu definiert und verhandelt werden. Für junge Leute wäre es wichtig, vermittelt zu bekommen, dass es nicht nur eine Antwort bei einer Problemstellung gibt. Welche Rolle spielen die Kosten beim Bauen? Welche Bedingungen setzt das Klima für die Architektur? All das kann kein Mensch alleine verstehen und lösen. Deshalb wäre die Möglichkeit des Austausches über Fachgrenzen hinweg eine ebenso dringliche wie wunderbare Aufgabe für eine Ausbildungsstätte.
Dann heißt Ihre Definition des Bauhauses, ganz im Sinne der damaligen Schule: Kritik am Akademismus?
Ja. Wenn sie sich die Ausbildung in Architektur und Städtebau ansehen, dann findet man oft die Kultur des Kopierens dessen, was die Stars der Szene vorfabriziert haben. Das Bauhaus hatte sich aber die pädagogische Aufgabe gestellt, interdisziplinär, experimentell und problemorientiert zu lehren und entwickeln. So konnten während der Ausbildung auch neue Ideen entstehen, die bis zur Realisierung führten. Wesensforschung, Ganzheitlichkeit und Selbstständigkeit waren die Grundlagen der Ausbildung. So wurde es zumindest überliefert. Ich bin für eine Ganzheitlichkeit in der Ausbildung: auch das ist ein altes Stichwort, das heute noch relevant ist.
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