Vor Wahl in Afghanistan: Karsai kandidiert mit Warlord-Septett
Afghanistans zunehmend kritisierter Präsident hat seine Macht wieder konsolidiert. Dank der Uneinigkeit seiner Konkurrenten geht er als Favorit in die Wahl.
KABUL taz | Nach Monaten der Unklarheit ist Hamid Karsai jetzt endlich deutlich geworden. Am Montag nachmittag kündigte das afghanische Staatsoberhaupt vor der Presse in Kabul an, dass er bei der Präsidentenwahl am 20. August eine zweite Amtszeit anstrebt. "In ein paar Tagen werde auch ich mich mit meinen Vizepräsidenten-Kandidaten registrieren lassen", sagte er. Schon am Dienstag tauchten Karsais erste Wahlplakate auf.
Entgegen der üblichen afghanischen Praxis, solche Entscheidungen und damit Raum zum Manövrieren so lange wie möglich offen zu halten, kam Karsai damit seinen Hauptkonkurrenten zuvor. Die 14-tägige Einschreibefrist für Bewerber hatte vergangenen Samstag begonnen. Bisher hatten sich nur Außenseiter eintragen lassen.
Karsai kann sich inzwischen des Sieges wieder ziemlich sicher sein. Sowohl innenpolitisch wie international hatte sich die afghanische Wahlarithmetik wieder einmal grundlegend geändert. Die oppositionelle Nationale Front (NF), Karsais Hauptgegner, konnte sich mal wieder nicht auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen und zerfällt seitdem. Und die Obama-Administration in den USA, die wiederholt die grassierende Korruption in Karsais Regierung kritisierte, fand keinen überzeugenden Gegenkandidaten.
Aus dieser Not erklärte sie ihre Neutralität bei den anstehenden Wahlen- ein echtes Novum. Der Schwenk des starken NF-Mannes, Ex-Vizepräsident und Ex-Verteidigungsminister Marschall Muhammad Qasem Fahim, eines Tadschiken, zu Karsai bescherte ihm den Platz als erster Vize auf dem präsidialen Wahlticket. Fahim war sauer, dass seine Verbündeten ihn zugunsten von Ex-Außenminister Abdullah Abdullah fallen ließen. Der ist väterlicherseits Paschtune und soll Karzai in seinen Hochburgen im Süden Stimmen abnehmen.
Karsais zweiter Stellvertreter soll erneut Muhammad Karim Khalili werden, ein cleverer Weißbart aus der Minderheit der Hasara. Dazu gesellen sich zwei weitere NF-Dissidenten: der Usbeke General Abdulraschid Dostum und Muhammad Muhaqqeq, ein weiterer Hasara-Führer. Dazu kommt als Hauptberater die Geistlichen und Ex-Mudschahedinführer Abdulrabb Sayyaf und Ayatollah Mohseni, letzterer Architekt des umstrittenen Familiengesetzes für die schiitische Minderheit.
Im Norden hat Gouverneur Muhammad Atta dem voraussichtlichen Sieger seine Unterstützung versprochen. Von Masar-e Scharif aus, dem Hauptstandort der deutschen Soldaten in Afghanistan, kontrolliert er acht Provinzen. Somit geht Karsai mit einem Septett von Warlords ins Rennen, das ihm als Paschtunen, auch Stimmen der drei größten ethnischen Minderheiten bescheren wird. Wenn nötig mit Waffengewalt - alle sieben kontrollieren teilweise zu Wachgesellschaften umdeklarierte Milizen. Und sie sind als wenig zimperlich bekannt. Als mutmaßliche Kriegsverbrecher stehen sie mit Ausnahme Attas auf entsprechenden Listen der UNO und mehrerer Menschenrechtsorganisationen. Alle haben auch Standbeine in legalen wie illegalen Wirtschaftssektoren.
Aus der Umgebung des Präsidenten heißt es, das Team habe einen Wahlkampfetat von 25 Millionen Dollar. Gerade wurde im Kabuler Stadtteil Schaschdarak, das von Protzvillen im hier als Narcotecktur bezeichneten pakistanischen Zuckerbäckerstil dominiert wird, ein neues Hauptquartier angemietet. Dort schwingt Sayyaf das Zepter, der bei einem Festessen am Sonntag schon eine deutliche Mehrheit von 150 Parlamentariern auf Karsai einschwor. Schon ihre Kontrolle über bewaffnete Gruppen würde laut Wahlgesetz ausreichen, um die ganze Mannschaft zu disqualifizieren.
Aber die Nato-geführte Schutztruppe Isaf mit ihren Datensammlungen hat sich in eine Beobachterrolle unter Führung afghanischer Ministerien definieren lassen, die selbst von Milizen durchsetzt sind. Die viel zu spät berufene und zahnlose Wahlbeschwerdekommission wird kaum mutige Bürger finden, die bis zum Wahltermin gerichtlich verwertbare Beweise gegen die Warlords vorlegen. Sollte das wider Erwarten doch geschehen, kann Karsai die Schuld immer noch den Ausländern zuschieben: Drei der fünf Kommissionsmitglieder wurden von der UNO nominiert.
Zudem hat Karsai außerhalb Kabuls weitgehend freie Hand. Zwar kontrollieren die Taliban weite Landstriche, aber keine der 34 Provinzhauptstädte und nur zehn der fast 400 Distriktzentren. Dort hat er nach und nach Gefolgsleute plaziert und genau dort wird nach den Wahlen auch ausgezählt - im Gegensatz zu 2004. Das wird aus Sicherheitsgründen weitgehend ohne EU- und andere ausländische Beobachter stattfinden. Ihre allein gelassenen afghanischen Kollegen werden kaum wagen, Manipulationen aufzudecken.
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