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StadtsanierungAufgeräumte Mitte

15 Jahre war die Rosenthaler Vorstadt in Mitte Sanierungsgebiet. Das ist nun vorbei. Von den einstigen Bewohnern lebt zwar kaum mehr einer im Kiez. Verteufeln will die Modernisierung aber niemand. Eine Ausstellung zieht Bilanz.

Die Ausstellung

Die Fläche des Sanierungsgebiets Rosenthaler Vorstadt beträgt 37,5 Hektar, rund 6.800 Menschen lebten dort Ende 2007 laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Die Ausstellung zur Bilanz des Sanierungsgebiets in der Galerie IAC Berlin (Brunnenstraße 29) läuft noch bis 22. Mai. Geöffnet ist täglich, außer montags, von 12 bis 20 Uhr.

Zu der Schau gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm. So antworten am Freitag die "Sanierungsverantwortlichen" auf Bürgerfragen. Beginn ist um 16 Uhr. Im Anschluss liest um 19 Uhr die Autorin Ulrike Steglich Texte und Reportagen aus 15 Jahren Sanierung.

Das Kreischen eines Schleifgeräts durchbricht die schläfrige Stille in der Elisabethkirchstraße. Rita Keil zieht die Augenbrauen hoch. "Kennt der keine Mittagsruhe?", fragt sie. Mit ironischem Unterton, und sie grinst. 15 Jahre nach dem Start der offiziellen Sanierung ist es in der Rosenthaler Vorstadt in Mitte beschaulich geworden. Heute stört, was jahrelang den Ton im Kiez angegeben hat: Geräusche von Renovierungsarbeiten.

85 Prozent der Altbauwohnungen sind seit 1994 saniert, hunderte Wohnungen neu geschaffen worden. Gleichzeitig verließen 86 Prozent der Bevölkerung, die ursprünglich in der Rosenthaler Vorstadt lebte, die Gegend. Unvermeidbar? Viele bedauern den Bewohneraustausch. Wirklich verteufeln will die Entwicklung aber niemand - es lebt sich nach wie vor schön im Kiez.

"Wir wohnen noch gern hier", sagt Rita Keil. Die 60-Jährige zählt zu den wenigen verbliebenen Bewohnern. Sie war schon hier, als die Mauer fiel. Damals prägten heruntergekommene Fassaden, aufgebrochene Bürgersteige und verlassene Geschäfte das Bild. Der Kiez war aufgrund seiner Randlage nah an der Mauer besonders benachteiligt: Mehr als 70 Prozent der Gebäude galten damals als stark beschädigt oder als völlige Ruinen. In den meisten Wohnungen gab es Außentoiletten, Ofenheizungen, marode Leitungen.

Überhaupt die Infrastruktur: Es mangelte an Spielplätzen, an Grünflächen und Einkaufsmöglichkeiten. Die Straßen waren für Radfahrer kaum nutzbar. Das Sanierungsgebiet, das 1994 förmlich festgesetzt wurde, umfasste 37,5 Hektar. Das ist gut halb so viel wie das Sanierungsgebiet um den Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Fast 6.000 Menschen lebten zum Start des Sanierungsgebiets in der Rosenthaler Vorstadt.

Zeitgleich zum Sanierungsgebiet gründete sich eine Betroffenenvertretung. Sie sollte ein Gegengewicht zu Verwaltung und Investoren bilden. Rita Keil, Lehrerin im Vorruhestand, engagiert sich dort seit Jahren. "Ich selbst habe zuerst in der Rheinsberger Straße gewohnt, in einem unsanierten Haus. Das heißt, es war eben DDR-saniert: Mit Bad, fließend Wasser, Gasetagenheizung. Komfortabel war das schon", erinnert sich die 60-Jährige. Als das Haus saniert werden sollte, zog sie aus. Der Stress wurde ihr zuviel. "Ich hatte auch keine Lust, mich mit dem Eigentümer zu streiten." Keil versuchte noch, andere Mietparteien zum Eintritt in eine Genossenschaft zu bewegen. Doch daraus wurde nichts.

Rita Keil blieb in der Gegend, viele andere zogen ganz weg. Die großflächige Verdrängung im Kiez bestreitet keiner mehr, sie ähnelt dem anderer innerstädtischer Sanierungsgebiete. Andreas Bachmann vom "Koordinationsbüro zur Unterstützung der Stadterneuerung in Berlin" warnt gleichwohl vor zu schnellen Urteilen. "Immer gleich von Verdrängung zu reden, wäre zu einfach", sagt er. Das Büro kümmert sich für das Land Berlin um das Sanierungsgebiet. "Man muss fein unterscheiden zwischen erzwungenen und freiwilligen Umzügen", so Bachmann. Viele Betroffene seien Anfang der 90er Jahre mit dem Standard in ihren Wohnungen nicht zufrieden gewesen und von sich aus ins Umland gezogen. Teils hätten auch berufliche Gründe hinter den Umzügen gesteckt.

Die Betroffenenvertretung widerspricht zum Teil. "Das Ziel, für die Bewohner zu sanieren, ist komplett verfehlt worden", sagt Lutz Mauersberger. Er verweist auf Beispiele, bei denen Mietern Geld für den Auszug geboten wurde. Es sei für viele auch eine zu große Belastung gewesen, in einem Sanierungshaus zu leben.

Wie beispielsweise für Rita Keil. Die 60-Jährige selbst nimmt die Entwicklung gelassen. Sie ergatterte schließlich eine geförderte Wohnung im selben Kiez. Andere schafften das nicht. Gern werde bei der Diskussion um Verdrängung vergessen, dass die Menschen aus dem Osten nicht auf den Markt vorbereitet waren, merkt Keil an. "Man war nicht daran gewöhnt, dass Wohnung eine Ware ist." Ähnliches stellte auch Stadtsoziologe Hartmut Häußermann im Sanierungsgebiet Kollwitzplatz fest: Dort habe es vor allem vom Bildungsgrad und vom Verhandlungsgeschick der Mieter mit dem Eigentümer oder Investor abgehangen, ob und zu welchen Konditionen die Bewohner bleiben konnten. Sanierung, das bedeutete jahrelange Strapazen und am Ende deutlich höhere Mieten.

So wandelte sich das Gesicht der Rosenthaler Vorstadt: Die Gegend zog junge Menschen und Familien an. Der Kiez liegt zentral und doch abseits des Kollwitzplatz-Hypes. Weniger Szene-Kneipen, weniger Touristen, weniger Latte-Macchiato-Mammis. Gleichzeitig gibt es verkehrsberuhigte Straßen, Spielplätze und Kitas. Die Zahl der Kinder bis sechs Jahre hat sich im Sanierungszeitraum verdreifacht. Die Einwohnerzahl insgesamt ist seit 2000 um ein Viertel gestiegen. "Die Bewohner sind jünger, haben ein höheres Einkommen und sind gebildeter", sagt Stadtplaner Bachmann.

In die aufgeräumt wirkende Strelitzer Straße kommt zur Mittagszeit Leben, der Spielplatz füllt sich. Er ist im Zuge des Sanierungsprogramms neu angelegt worden, mit einer Sandlandschaft, Bänken und viel Grün. Rita Keil sitzt gern hier. Auf der Bank am Spielplatz genießt sie die warmen Sonnenstrahlen. Außerdem kommt sie hier mit Anwohnern ins Gespräch.

Zum Beispiel mit Caren Wiederhold. Die 42-jährige Textildesignerin, die mit ihrem Sohn auf dem Spielplatz ist, gehört zu den Zugezogenen. Ein Mal hat sie im Kiez bereits die Wohnung gewechselt. "Als die alte Wohnung saniert wurde, ist uns die Miete zu teuer geworden. Die war echt horrend, obwohl es immer noch durchs Dach regnete und im Prinzip gar nicht isoliert war", erzählt die Mutter. Jetzt lebt die gebürtige Hessin mit Partner und Kind in einer Wohnung mit Berechtigungsschein. "Ich mag die Lage - grün und ruhig für das Kind, nah an Galerien und Restaurants für uns." Sollten die Mietobergrenzen aber aufgehoben werden, könnte die Miete für sie zu teuer werden. "Dann müssen wir wohl weg."

Das Land Berlin zieht sich seit Jahren schrittweise aus der Wohnraumförderung zurück. Der soziale Wohnungsbau ist faktisch eingestellt. Dabei wären Sozialwohnungen und konsequente Mietobergrenzen eines der wirksamsten Mittel gewesen, um den rasanten Bevölkerungwandel im Kiez zu entschleunigen. Darin sind sich Planer und Betroffene einig. "Das waren die größten Pfunde", sagt Bachmann - auch wenn er darauf hinweist, dass es letztlich mehr um ein Abmildern denn ein Verhindern der Verdrängung gegangen wäre.

Werden begehrte Innenstadtlagen aufgewertet, scheint Verdrängung eine zwangsläufige Folge. Die Rosenthaler Vorstadt zeigt, dass mit dem Wandel umgegangen werden kann. Die Betroffenenvertretung erhält ab dem Sommer zwar keine Förderung mehr, das Sanierungsgebiet ist aufgehoben. Keil und ihre Mitstreiter möchten aber als Bürgerforum fortbestehen. Es gebe zu wenig Kita-Plätze, auch die Grundschulplätze werden knapp - Themen, die gerade Zugezogene ansprechen dürften. Zu den regelmäßigen Treffen will die Initiative per Zettel einladen, gepinnt an Straßenlaternen und Spielplatzzäunen. Wie man das im Kiez eben so macht.

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