Autobahn-Mord von Oldenburg: Lebenslang für Holzklotz-Werfer

In einem Indizienprozess verurteilen die Richter den 31-jährigen Nicolai H. Sie halten es für erwiesen, dass er einen Klotz von einer Brücke auf ein Auto warf und dabei eine Frau tötete.

In dieses Auto flog der Klotz. Nun wurde das Urteil zu der Tat gesprochen. Bild: dpa

OLDENBURG taz | Das Landgericht Oldenburg hat Nikolai H. wegen Mordes und dreifachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 31-Jährige am 23. März 2008 einen sechs Kilogramm schweren Holzklotz von einer Autobahnbrücke bei Oldenburg aus auf das Auto der Familie K. geworfen und dabei die 33- jährige Olga K. ermordet habe. Das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die zuvor den Mordvorwurf mit dem Mordmerkmal Heimtücke begründet hatte: H. habe es in Kauf genommen, dass er durch seine Tat einen oder mehrere Menschen töten könne; die Familie sei völlig wehrlos gewesen.

Mehrfach wandte sich der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann während der Urteilsbegründung an Wladimir K., den Ehemann der Frau, die durch die Wucht des Aufpralls sofort tot war. Als empfinde Bührmann Scham, weil er so ausführlich über die Person des Verurteilten zu sprechen hatte, versicherte er K. mehrfach, das Gericht sei tief bewegt und fühle mit ihm. K. solle sich immer wieder vor Augen führen, dass er das Leben seiner Kinder gerettet habe, weil er so phantastisch reagiert und das Auto kurz nach dem Aufprall sicher auf dem Standstreifen zum Stehen gebracht habe. "Das Leben ihrer Frau konnten sie nicht retten", sagte Bührmann.

Er schilderte, wie H. an jenem Tag - dem Ostersonntag - wie so oft auf der Suche nach Heroin gewesen sei. Er habe sich morgens zunächst noch eine Dosis gespritzt, habe sich dann unter einem Vorwand bei Verwandten 20 Euro besorgt, um Nachschub zu besorgen. Den gesamten Tag über sei er in der bizarren Situation gewesen, zwar Geld für Drogen zu haben, aber keinen Stoff auftreiben zu können. Das habe ihn wütend gemacht und frustriert, deshalb sei er am Nachmittag zu seiner Wohnung zurück gekehrt, habe eine Fahrradfelge und den Holzklotz von dem Grundstück genommen, den er um 20 Uhr schließlich auf das Auto warf. Die Fahrradfelge wurde später auf der Brücke gefunden.

Das Gericht habe sich bei der Urteilsfindung vor allem auf das Geständnis H.s gestützt. Auch wenn er es später widerrufen habe, sei es zu werten gewesen. H., der als Jugendlicher mit seiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland gekommen war, hatte sich zunächst als Zeuge bei der Polizei gemeldet, um mögliche DNA-Spuren an dem Holzklotz zu erklären. Die Soko Brücke hatte zuvor öffentlich über einen Massengentest nachgedacht, das hatte H. offenbar so sehr in Wallung gebracht, dass er sich meldete und angab, den Holzklotz und eine Fahrradfelge beim Überqueren der Brücke dort gesehen und beiseite geräumt zu haben.

Von da an schloss sich ein Ring aus Zeugenaussagen und Indizien und Beweisen um H., dem er schließlich nicht mehr entkam: Mehrere Zeugen waren sich sicher, auf der Brücke keinen Holzklotz gesehen zu haben; bei der Überprüfung der Mobiltelefone, die rund um den Tatzeitpunkt im fraglichen Gebiet registriert waren, fiel H.s Nummer mehrfach auf; schließlich fanden sich auf seinem Grundstück ähnliche Holzscheite mit Erdanhaftungen, die mit der Erde dort sehr wahrscheinlich übereinstimmten. Am 20. Mai erließ das Amtsgericht Haftbefehl wegen des Verdachts des Mordes, am Tag darauf gestand H.. "Aus Frust" habe er den Klotz geworfen, sagte er - und widerrief wenige Tage später. Das Gericht sah das Geständnis als glaubwürdig an, dabei erhielt es die Unterstützung des Berliner Rechtspsychologen Max Steller. Das Geständnis in Verbindung mit den diversen Indizien waren nach Ansicht des Gerichts schließlich für das Urteil ausreichend.

Bührmann kritisierte ausdrücklich Teile der Medien, die H. zu einer Art Monster gestempelt hätten, die BILD etwa nannte ihn stets nur "Brückenteufel". "Das sind Begriffe, wie sie bei uns nicht vorkommen, wir suchten einen Menschen," sagte Bührmann. Und H. sei ein Mensch, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollten. Die Berichterstattung sei eine jener "Nebelkerzen" gewesen, von denen der Vorsitzende Richter sprach, als er auf die Länge des Prozesses zu sprechen kam. Der Prozess hatte im November begonnen und zog sich über 30 Verhandlungstage.

Das habe allerdings vor allem mit den vielen Anträgen zu tun gehabt, die H.s Verteidiger gestellt habe. Das sei zwar dessen gutes Recht gewesen, aber man merkte es Bührmann deutlich an, dass ihn einige der Anträge fassungslos gemacht hatten. H.s Verteidiger Matthias B. Koch hatte etwa wiederholt auf die mangelnden Sprachkenntnisse H.s verwiesen, weshalb ein Dolmetscher nötig gewesen wäre, den das Gericht aber ablehnte. Noch am vergangenen Montag hatte Koch beantragt, der gesamte Prozess müsse unter Beteiligung eines Dolmetschers wiederholt werden. Bührmann sagte, H. habe in keinem seiner diversen Prozesse vor Amtsgerichten einen Dolmetscher gebraucht, auch nicht, als er seinerzeit ebenfalls von Koch vertreten worden war. H. sei der deutschen Sprache mächtig, das habe man auch in den Fernsehinterviews sehen können, die H. noch als Zeuge gegeben hatte.

Ebenso entschieden wies Bührmann eine angebliche "Übermacht der Staatsgewalt" zurück, der gegenüber Koch als alleiniger Verteidiger machtlos gewesen sei. Für H. hatten sich neben Koch - allerdings mit zwischenzeitlich stark nachlassender und erst am Ende wieder zunehmender Kraft - auch die Anwälte Andreas Schulz und Oliver Wallasch engagiert, die aber nach dem ersten Verhandlungstag nicht mehr auftauchten. Bührmann: "Herr H. hatte bis heute drei Anwälte."

Auch die Vorwürfe gegen die Ermittlungsbeamten wollte Bührmann nicht teilen. Koch hatte vorgebracht, H. sei, so Bührmann, "wie dem Esel die Möhre das Methadon vorgehalten worden", ohne es dem Heroinsüchtigen als Ersatzdroge zu verabreichen. Sogar von Folter habe der Anwalt gesprochen. Dann hätten die Polizisten H. zu freundlich behandelt. Gegen das Vorgehen der Polizisten aber sei nichts einzuwenden, Bührmann nannte es "tadellos".

H., so der Richter zum Schluss, sei nie in Deutschland angekommen. Sein Leben zeichne sich durch Gedankenlosigkeit aus, oft habe er mit dumpfer Wut agiert. So auch an eben jenem 23. März 2008, als er Drogen suchte und keine fand, obwohl er das Geld dafür hatte. Diese Tat, sagte Bührmann, "lässt einen fassungslos zurück". H.s Verteidiger Matthias B. Koch kündigte kurz nach dem Urteil Revision an. Den Vorwurf, Nebelkerzen eingesetzt zu haben, wies er zurück. Jeden Antrag, den er gestellt habe, habe er für erforderlich gehalten. Und schließlich seien es nur abgelehnte Anträge und darin enthaltene Fehler, die eine Revision begründbar machten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.