20 Jahre Mauerfall: Das Spiel mit der DDR
Eine interaktive Ausstellung im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ will Kindern die DDR nahebringen. Statt sich mit dem Unrechtsstaat und der Diktatur zu befassen, sollen sie den Alltag von damals nacherleben - und Spaß haben.
Die Ausstellung im Kindermuseum im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ ist für Familien wie folgt geöffnet: mittwochs 15 bis 18 Uhr, samstags 13 bis 18 Uhr und sonntags 10 bis 18 Uhr. Wo? An der Wuhlheide 197.
Der DDR nähert man sich am besten spielerisch. So dachten sich das die Initiatoren der Ausstellung "Sag, was war die DDR?" im Freizeit und Erholungszentrum (FEZ) in der Wuhlheide - und stellten in den Eingangsbereich große hellblaue Schränke mit Glasvitrinen. Darin verteilten sie Spielzeug und Alltagsgegenstände aus verschiedenen Jahrzehnten. Die Schülerinnen und Schüler der 3 c der Mendel-Grundschule in Pankow, die an diesem Tag im FEZ zu Gast sind, sollen sich einfach mal umschauen.
Die Kinder rennen zu der Vitrine mit dem Überraschungsei. Sie kommentieren Legobauwerke, freuen sich über das Playmobil. 1999 steht auf dem Schrank, sie selbst sind im Jahr 2000 geboren. Die Vitrine mit dem DDR-Spielzeug bleibt verwaist. Sandmännchen und Pittiplatsch sprechen niemanden an. "Habt ihr auch Sachen entdeckt, die ihr der DDR zuordnen würdet?", fragt die Ausstellungspädagogin. "Der Armeehelm", ruft Tobias und zeigt auf die Vitrine von 1939. "Was du meinst, stammt aus dem Zweiten Weltkrieg."
Diffus ist das Bild über die DDR in den Köpfen der Kinder. Soldaten und Polizisten schwirren darin herum. "Häuser an der Mauer" fallen der achtjährigen Matilda ein, wenn sie DDR hört. "Ich bin stolz auf mich", sagt das Mädchen mit den blonden Zöpfen, "weil mein Vater Westdeutscher ist und meine Mutter aus Ostdeutschland kommt." Wie es sich in diesem Land lebte, weiß Matilda trotzdem nicht. Über den Alltag in der DDR hat die Mutter ihr nicht viel erzählt, sagt sie.
An dieser Wissenslücke von Grundschülern will "Sag, was war die DDR?" ansetzen. Geschichte bestehe aus Geschichten, erklärt Kurator Klemens Kühn. Deshalb haben er und seine Kollegin Claudia Lorenz nach Tagebuchaufzeichnungen von Ostdeutschen gesucht, die in den 70er-Jahren geboren wurden. Aus 30 Zuschriften haben sie sieben Tagebücher ausgewählt und das Leben dieser Personen dargestellt: Die aufmüpfige Punkerin kommt genauso vor wie der Intellektuellensohn, die Leistungssportlerin und der Freundschaftsratsvorsitzende, der gerne in die Partei eintreten möchte. "Punktlandungen zum Subjektiven" nennt der gelernte Bühnenbildner Kühn diesen Ansatz.
Bevor die Pankower Grundschüler zu den Tagebüchern kommen, müssen sie eine Zeitschleuse passieren. Einer der blauen Wandschränke öffnet sich wie eine versteckte Tür und führt in einen großen Raum, der für die DDR stehen soll. Dahinter ein Ufo, in das man sich hineinsetzen kann, ein Schreibtisch in einem Kinderzimmer, ein Kaufmannsladen, eine Garderobe mit weißen Pionierhemden und Halstüchern in den Schubladen, die Tür zu einer Gefängniszelle, ein Flugzeug.
Die Schülerinnen und Schüler laufen durch diese DDR im Kleinformat. Sie hören Auszüge aus den Tagebüchern, beschäftigen sich mit den Zukunftsträumen eines Schülers von damals. Sie lesen in Heften oder spielen einfach nur. Zum Beispiel Kaufmannsladen - oder besser Konsum: Bananen stehen auf der Einkaufsliste, aber nicht im Regal. Auch Brötchen landen nicht im Korb, es gibt sie nicht.
So schlüpfen die Pankower Grundschüler für eine kurze Zeit doch noch in die Haut der Kinder in der DDR. Statt Infotafeln mit Geschichtswissen gibt es Alltagssituationen zu erleben. "Wir betätigen uns nicht als Historiker oder Politologen", erklärt Kurator Kühn den Anspruch der Ausstellung.
Die erste Fassung der Schau war bei den Veranstaltern durchgefallen. Von Diktatur und Unrechtsstaat war da viel die Rede. Doch es gab Befürchtungen, dass das bei den Lehrern nicht ankommen würde. Die Ausstellung in ihrer jetzigen Form sei viel spielerischer, sagt Kühn.
Den Kindern gefällt das. Tobias ist ganz begeistert vom Wohnungsbauprogramm der DDR. Eigentlich soll er die zehn Gebote der Jungpioniere lesen, aber er spielt lieber Baumeister und steckt aus Sperrholzplatten eifrig Hochhäuser zusammen. Er hat sich ein Pionierhemd übergezogen, dazu das blaue Halstuch und einen gelben Helm. Die DDR macht Tobias sichtlich Spaß. "Ist die Show schon zu Ende?", fragt er, als sich alle im Eingangsbereich versammeln sollen, um über die Ausstellung zu sprechen.
Es scheint gar nicht so leicht, über den Spaß und das Abenteuer DDR hinauszugehen: Die Kinder fläzen auf dem Boden herum. Sie sind unkonzentriert, die Fragen oft schwierig. Warum zum Beispiel gab es keine Bananen? Die DDR-Bürger waren zu faul, sagt ein Kind. Sie wussten nicht, wie man die anbaut, glaubt ein anderes.
Mit Devisenmangel können sie wenig anfangen. Schon eher mit dem Thema Strafen. Einige lassen erschreckt die Münder offen stehen, als sie erfahren, dass die Eltern in der DDR Ärger bekamen, wenn man in der Schule schrieb, was der Staat nicht hören wollte, etwa: "Ich finde die Mauer doof."
Matilda gruseln die Grenzanlagen und die Gefängnisse, von denen sie hört. Die DDR macht sie traurig, sagt sie. Und sie kann sich gar nicht vorstellen, wie sich die DDR-Bürger heute zurechtfinden, ohne Soldaten, ohne Mauer, nur mit Hochhäusern. Mit der Punkerin Angela, die als 16-Jährige sieben Wochen in Untersuchungshaft musste, hat sie Mitleid. "Die wollte doch auch nur schön leben", sagt sie.
Die Klassenlehrerin der 3 c ist von der Ausstellung beeindruckt. "Ganz genauso wars", freut sich Kerstin Wucherpfennig. Das mit den Brötchen habe sie selbst ganz vergessen. Brötchen kosteten zwar nur 5 Pfennige, gab es aber auch nur morgens - sonst waren die Brotkästen in der Kaufhalle leer.
Im Unterricht wird Kerstin Wucherpfennig die Ausstellung nachbereiten. Sie will vor allem die niedrigen Preise und die Preisbindung durchgehen. Die Diktatur kommt später dran.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Elon Musk, Jeff Bezos & Co.
Trump-Wahl macht reichste Menschen noch reicher