piwik no script img

Debatte legalisierte AbsprachenDer diffamierte Deal

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Wer schnell gesteht, kann mit Strafmilderung rechnen. Diese "Deals" unterstützen keine Zwei-Klassen-Justiz.

D as Wort hat vier Buchstaben und sorgt für Aufregung: der "Deal". Manche sagen auch vornehmer "Absprache" oder "Verständigung im Strafverfahren". Doch als Begriff hat sich der "Deal" durchgesetzt, weil er so schön kurz ist - und weil viele damit auch ihr Unbehagen oder ihre Wut über den angeblichen "Handel mit der Gerechtigkeit" ausdrücken. Am Donnerstag wird der Bundestag die Deals legalisieren. Und das ist vernünftig, denn die Absprachen sind besser als ihr Ruf.

taz

Christian Rath ist Journalist und promovierter Jurist. Er lebt in Freiburg und schreibt als rechtspolitischer Korrespondent für die taz und andere, regionale Tageszeitungen.

Wenn der Angeklagte gesteht und so den Strafprozess abkürzt, wird ihm vom Gericht vorab eine milde Strafe versprochen. Diese Absprachen gibt es schon seit Jahrzehnten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat solche Deals als rechtsstaatlich akzeptiert, wenn sie transparent sind und die Strafe am Ende schuldangemessen ist. Allerdings hat der BGH eine gesetzliche Regelung gefordert, die der Bundestag nun beschließen wird. Sie fasst im Wesentlichen die bisherigen BGH-Vorgaben zusammen. Die Deals werden also nicht neu eingeführt, sondern nur aus der Grauzone geholt.

Die Legitimität der Absprachen ist damit aber nicht gestiegen. Im Gegenteil. Immer mehr hochrangige Juristen - von Generalbundesanwältin Monika Harms bis zu BGH-Präsident Klaus Tolksdorf - kritisieren die Deals ganz grundsätzlich. Sie verhinderten die Wahrheitsermittlung, Richter verlernten ihr Handwerk, es drohe eine Zwei-Klassen-Justiz, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafjustiz sei gefährdet. Befeuert wurde die Kritik durch spektakuläre Prozesse, wie den gegen Ex-VW-Vorstand Peter Hartz, der 2007 nach einem Deal in nur zwei Tagen zu einer Bewährungsstrafe wegen Untreue verurteilt wurde. Hartz gestand illegale Bonuszahlungen an VW-Betriebsräte, auf eine weitere Beweisaufnahme wurde verzichtet.

Nun wäre auch nach 50 Tagen Zeugenvernehmung vermutlich kein anderes Urteil herausgekommen, und ein Strafprozess ist auch keine Historikerkommission, die möglichst viele Fakten möglichst genau für die Nachwelt aufbereitet. Die Kritik am Deal erweckt da oft ein falsches romantisches Bild von Justiz. Schließlich findet nur in rund 4 Prozent der Strafverfahren überhaupt eine Hauptverhandlung statt. Die große Masse der haltbaren Fälle wird gegen Geldauflage eingestellt, oder das Gericht verschickt einen Strafbefehl.

Auch im mündlichen Prozess kann niemand garantieren, dass am Ende die tatsächliche Wahrheit aufgedeckt wird. Zeugen erinnern sich nicht oder haben das Recht zur Aussageverweigerung. Angeklagte müssen sich nicht selbst belasten, und die Polizei kann nicht alle Methoden zur Beweiserhebung anwenden, die technisch möglich wären. Gerade die rechtsstaatlichen Beschränkungen von Polizei und Justiz, auf die wir sonst so stolz sind, behindern natürlich auch die Ermittlung der vollen Wahrheit.

Auch die Vorstellung, nur eine bis ins letzte Detail durchgeführte Beweisaufnahme erlaube ein gerechtes Urteil, ist naiv. Ein Betrug kann mit Geldstrafe oder Haft bis zu fünf Jahren bestraft werden. Irgendwo innerhalb dieses Rahmens sucht sich das Gericht das passende Strafmaß für den konkreten Fall. Die Strafzumessung war schon immer mehr Gefühlssache als exakte Wissenschaft. Trotzdem hat der Rechtsstaat mit dieser mangelnden Exaktheit bisher ganz gut gelebt.

Oft geht es der Kritik an Prozess abkürzenden Deals auch nur um eine Mischung aus Voyeurismus und Straflust. Im Fall Hartz hätte man eben zu gern die Aussagen der Prostituierten angehört, auch wenn die Rotlichtaspekte überhaupt nicht zum Kern des Strafvorwurfs gegen den VW-Manager gehörten. Und manch prominentem Angeklagten gönnt man den kurzen Prozess nicht und sähe ihn gerne noch ein paar Wochen länger am Medienpranger stehen. Die Durchführung von Schauprozessen ist aber nicht der Sinn des Rechtsstaats.

Letztlich zeigt die heftige Diskussion um die Deals, dass wir doch eher Luxusprobleme haben. Andernorts wird über korrupte Richter geklagt, während bei uns selbst Kritiker davon ausgehen, dass dealende Richter durchaus versuchen, gerechte Urteile zu fällen. Ein Deal bezieht sich meist nur auf strafverschärfende Details: War eine Waffe im Spiel, haben die Angeklagten bandenförmig gehandelt, um wie viele Einzeltaten handelte es sich? Dass der Angeklagte hier in seinem Geständnis meist nur das zugibt, was eh schon in den Akten steht, damit kann der Rechtsstaat leben. Ob bei einer Verhörung aller Zeugen mehr herausgekommen wäre, weiß man nicht.

Die Absprache ist auch kein Privileg von Managern und anderen Reichen. Zwar sind Wirtschaftsprozesse meist kompliziert und belasten Gerichte besonders stark. Doch auch das jüngste Verfahren gegen ein Exmitglied der Revolutionären Zellen (RZ) wurde per Deal beendet. Der jetzt 60-jährige Angeklagte gestand seine RZ-Mitgliedschaft, im Gegenzug wurde der Vorwurf der Rädelsführerschaft fallen gelassen, die Strafe lautete zwei Jahre auf Bewährung.

Wären Deals verboten, sähe die Justizwelt kaum anders aus. Der Prozess im Fall von Klaus Zumwinkel, des ehemaligen Post-Chefs und Steuerhinterziehers, beweist es: Der Richter versicherte steif und fest, es habe keinen Deal gegeben. Der Prozess dauerte dennoch nur zwei Tage, nach dem Geständnis von Zumwinkel wurde auf weitere Beweisaufnahme verzichtet, die Strafe: zwei Jahre auf Bewährung - wegen der strafmildernden Wirkung des Geständnisses.

Oft hat man den Eindruck, dass die Kritik an den Deals nur ein Mittel zum Zweck für andere Ziele ist. Manche Richter rücken die Justiz ins Zwielicht, weil sie hoffen, dass der Staat dann mehr Richterstellen einrichtet und die Justiz entlastet. Eine gefährliche Strategie. Angesichts der absehbaren Finanzlöcher wird es nicht mehr Richter geben - aber das Zwielicht bleibt.

Andere malen schwarz, weil sie endlich das Beweisantragsrecht der Angeklagten und ihrer Konfliktverteidiger beschränken wollen. Wenn die Angeklagten weniger Rechte hätten, so etwa die Logik von BGH-Präsident Tolksdorf, wären die Gerichte auch nicht so überlastet. Sollte sich diese Linie durchsetzen, werden sich die Reihen der Dealgegner schnell lichten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

3 Kommentare

 / 
  • SW
    Stefan W.

    Die sogenannten Deals waren de facto eigentlich immer Teil unserer Rechtsordnung, sie (endlich) aus der schummrigen dunklen Ecke herauszuholen und in Gesetzesform klar und eindeutig zu definieren ist daher nur konsequent. Im Zivilrecht werden seit Jahrzehnten bereits weit mehr Fälle über einen "Vergleich" (= Deal) beendet, als durch Urteil und unser Rechtssystem ist dadurch nicht zusammengebrochen.

     

    Hinzu kommt, dass im Strafprozess der Deal prinzipiell auch über Umwege entstehen kann: Der Angeklagte schweigt über die ganze Prozessdauer hin, als er merkt, dass es böse aussieht kommt kurz vor dem Plädoyer der StA das Geständnis. Selbstverständlich wird im Urteil die Floskel enthalten sein "strafmildernd war das (evtl. umfassende) Geständnis des Angeklagten zu bewerten"! Diese Prozesstaktik hab ich ebenso angewendet, wie die meisten meiner Kollegen auch. Das Ergebnis ist mit einem Deal vor Prozessbeginn durchaus vergleichbar.

    Und um einem verbreiteten Vorurteil entgegenzuwirken: So manches Angebot eines Deals seitens der Verteidigung wurde auch schon abgelehnt. Für einen StA wird (trotz der Arbeitsbelastung) bei eindeutiger Beweislage ein "sauberes" Urteil sicherlich reizvoller sein, als ein schmählicher Deal...

  • J
    John

    Es ist wirklich erschütternd einen solchen Kommentar in der tazt lesen zu müssen.

     

    Kein Wort über die gigantische ÜBerlastung der Justiz in Deutschland? Kein Wort darüber, daß diese Überlastung defacto zu Rechtsbeugung führt, weil immer mehr Fälle, die eigentlich vor den Staatsanwalt oder vor Gericht gehören, gar nicht erst verfolgt werden.

     

    Die Realität ist, daß im Grunde genau wie sie es beschreiben diese "Deals" fast immer nur eine Kapitulation des Rechtsstaats vor der Unterfinanzierung der Justiz sind.

     

    Da der Verfasser selbst Jurist ist, kann ich ihm auch kaum Naivität oder derlgeichen zu gute halten.

     

    Gerade bei Angeklagten oder Verdächtigen, die gigantische finanzielle Mittel zu ihrer Verteidigung aufbringen könnten, ist es doch wohl höchst unwahrscheinlich oder vielmehr ausgeschlossen, daß der Angeklagte ein Geständnis abgibt, wenn ihm dies nicht massive Voteile verschaffen würde.

     

    Nehmen wir den Fall Zumwinkel. Es ging um Nuancen und Herr Zumwinkel hätte vom Gericht zu einer Gefängnisstrafe OHNE Bewährung verurteil werden MÜSSEN. Glaube sie ernsthaft, Herr Zumwinkel hätte ein solches Ergebnis als Folge eines Deals akzeptiert?!?

     

    Der hätte den Prozeß bis zum Sanktnimmerleinstag auseinander genommen und nach einem eventuellen Urteil noch Revision bis zur allerletzten Instanz eingelegt.

     

    Bei solchen Verfahren hat die Staatsanwaltschaft und auch das Gericht oft gar keine andere Wahl als einen Deal einzugehen, weil sie solche Verfahren nur in Ausnahmefällen organisatorisch und personell überhaupt führen kann.

     

    Darum werden gerade Verfahren, die als kompliziert oder langwierig absehbar sind, jahrelang von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft verschoben oder von vorherein eingestellt. Wenn es nicht möglich ist mit dem Beschuldigten von Anfang an einen Deal auszuhandeln, der dann natürlich auch keine ernsthaften Folgen für den Beschuldigten haben darf, weil der natürlich die Lage der Staatsanwaltschaft genau kennt und weiß das diese es im Zweifelsfall niemals auf einen langwierigen Prozeß ankommen lassen würde, dann wird das ganze Verfahren gar nicht erst ins rollen gebracht.

     

    Justiz in Deutschland ist ein lächerlicher Witz, ein Spielball der Reichen und Skrupellosen. Gerechtigkeit existiert nur noch in der Fantasie der meisten Deutschen. Sollte die Mehrheit der Deutschen das einmal konkret begreifen, dann steht der Zusammenbruch unseres Rechtsstaats bevor.

  • MO
    Martin Overath, Schöffe am Landgericht Frankfurt am Main

    Leidtragende der Verständigungen im Strafprozeß sind die Angeklagten und die Schöffen, beide stimmen - von den Berufsjuristen unzureichend informiert - den Absprachen hilflos zu. Die Angeklagten einer zu hohen Sanktion, die Schöffen ohne Aktenkenntnis den "schlanken" Geständnissen.

    Eine schuldangemessene Strafe ist dann von den zu Handelskammern mutierten Strafkammern nicht mehr zu ermitteln.