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BERLIN PFLEGT SEINE DISSOZIATIVE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG, SONNENSTUDIOS SIND VÖLLIG OKAY, UND ZEITLUPENEINKÄUFE GIBT ES IN DER VERCRACKTEN GROPIUSSTADT NICHTImmer scheißkalt in fast schon Polen

VON FATMA AYDEMIR

Ich bin ein Berliner – was ist das denn für ein dämlicher Satz? Nicht nur ist er dämlich, er ist auch noch verdammt unnütz, weil er nämlich nicht dazu taugt, irgendetwas für den Sprecher Charakteristisches auszudrücken. Berlin mag über eine geografische Marke (fast schon Polen) und ein paar typische Angewohnheiten (immer scheißkalt) verfügen, einen Charakter hat Berlin aber sicher nicht. Sondern gleich mehrere.

Berlin ist komplett schizo. Seit acht Monaten ziehe ich alle paar Wochen von einem Kiez in den nächsten, weil ich keine Zeit habe, Wohnungen zu besichtigen und Möbel zu kaufen. Im Internet schaue ich, was spontan so frei ist, und stehe am nächsten Morgen mit meinem Köfferchen auf der Matte. Bei dieser Odyssee ereilte mich schon sehr bald der Verdacht einer dissoziativen Identitätsstörung Berlins. Nun könnte Berlin zu Recht kontern: Ja, denn hab ick eben ’ne Macke, wat jeht dir dit an? – Nun ja, wo soll ich bitte schön anfangen? Vielleicht damit, dass mich das auch komplett irremacht? Dass ich überall jemand anders bin? Ja, dass ich sogar immer anders aussehe, je nachdem welchen Stadtteil ich gerade bewohne?

Ich war zum Beispiel nie, niemals in meinem Leben im Solarium. Die reinste Pest für den Körper, dachte ich. Bis ich in den Wedding kam. Meine Nachbarinnen schworen darauf, dass es in einem verregneten Sommer wie dem letztjährigen ja wohl das Beste ist, die Haut künstlich auf die Sonne einzustimmen, damit sie, wenn auf einmal der Hochsommer ausbricht, nicht irritiert wird, sondern die Strahlen wie durch Zauberei in eine schöne Bräune umwandeln kann. Irgendwie sinnvoll, dachte ich. Also investierte ich 4 Euro in den ersten konsequenten Schritt gen Hautkrebs und wurde zum glücklichen Würstchen im Diskosarg, das fortan auf alles und jeden zu schwören begann.

Biosupermärkte habe ich bisher auch immer gemieden. Da riecht es komisch, die Angestellten wirken unterernährt und lahmärschig, und es gibt kein beschissenes Glas Pesto für unter 2,79 Euro. Nun wohnte ich aber in der Schönhauser Allee, Ecke Bornholmer. Weit und breit kein Aldi, kein Lidl, auch kein spottbilliger und routiniert guter türkischer Gemüsehändler wie in Neukölln alle paar Meter. Dafür aber Bio Company und Alnatura gleich um die Ecke. Keine Chance, ich wurde Prenzlbergerin. Na ja, irgendwie hatte es dann schon was, in Zeitlupe einzukaufen, dazu in dieser vollkommenen Stille, Champignons zu zählen und einzeln abzuwiegen, damit man sich noch eine Beilage leisten kann. Weniger Schminke, mehr Soja. Ist doch toll. Aber bin das denn überhaupt noch ich?

Aus dem vercrackten Betonparadies von Gropiusstadt bin ich schon nach drei Tagen mit genügend Storys für eine ganze Gangsta-Rap-Karriere geflohen, und mein derzeitiger Wohnort Kreuzberg, oje, der ist noch mal ein Mikrokosmos für sich, den hebe ich mir für die nächste Kolumne auf.

Was ich aber schon mal loswerden muss, liebes Berlin: Für dich habe ich mich zum Affen gemacht. Du kannst gerne aufhören, so ignorant deine Touristen zu fisten, Schwaben zu diskriminieren, Künstler zu schmähen und alles, was sich liebevoll und aus freiem Willen deinem Wahnsinn untergibt, Gentrifizierer zu nennen. Das Problem sind nämlich nicht wir, mein Schatz, das Problem bist du. Ja. Du, du, du. Gentrifizierst unser Hirn mit deinen zwölf Bezirken und hundert Persönlichkeiten. Ich glaube nämlich langsam, nicht ich, sondern du bist im falschen Film. Ich schwör’s.

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