Jemen will Häftlinge aufnehmen: Folter wie in Guantánamo?

240 Häftlinge sitzen noch in Guantánamo ein, 94 stammen aus dem Jemen. Sie sollen zurückkehren. Aber wie hoch ist das Risiko, wie groß die Bereitschaft zu Aufnahme?

Protestaktion von Angehörigen jemenitischer Guantánamo-Häftlinge. Sie fordern mehr Engagement ihrer Regierung für eine Rückführung Bild: dpa

SANAA taz | Mehr als 12.300 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Haft und Heimat. Man muss den Globus schon ganz schön drehen, bis man mit dem Finger vom amerikanischen Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zum Zentrum der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gelangt. Und doch stammt heute mehr als jeder dritte Gefangene in Guantánamo aus dem bergigen Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel und wartet darauf, dass US-Präsident Obama sein Versprechen einlöst und er nach Hause darf.

Die Suche nach dem zukünftigen Schicksal der Rückkehrer aus Guantánamo beginnt mit dem Warten auf einem Sessel im jemenitischen Religionsministerium. Stolz schreitet der Minister in sein Büro, mit Turban und seiner auf dem Bauch baumelndem Dschambija, den für die jemenitischen Männer üblichen Zierkrummdolch. Seiner ist besonders geschmückt, wie es sich für einen ehemaligen Richter und heutigen Minister für Religiöse Angelegenheiten im Jemen ziemt.

Hamud al-Hittar hatte es vor ein paar Jahren auch zu einer gewissen internationalen Berühmtheit gebracht, weil er durch Gespräche die verdrehten Köpfe von Al-Qaida-Leuten wieder zurückzudrehen versucht hat. Hunderte militante Jemeniten durchliefen sein, wie er betont, erfolgreiches Dialogprogramm. "Wir sind bereit, auch mit den Rückkehrern aus Guantánamo in einen Dialog zu treten, damit sie, so Gott will, ihre Al-Qaida-Ideen aufgeben und sie wieder als normale Bürger in ihr Leben im Jemen integriert werden können", kündigt der Minister an. Das klingt gut, und die Welt scheint in Ordnung in Arabia Felix, dem glücklichen Arabien, wie die Römer einst den Jemen am Kreuzungspunkt der Handelsrouten zwischen Orient und Okzident nannten.

Bis zum nächsten Morgen, als Nabil Ali Ibn al-Hela im Hotel vorbeischaut, auch er in typischer Stammeskluft. Sein Bruder Adel Salam wurde 2002 in Ägypten festgenommen und nach Guantánamo geschickt. Jetzt wartet er auf dessen Rückkehr. Und ist verbittert: "Wenn mein Bruder zurückkommt, erwarte ich nichts von unserer Regierung, nichts, Null, dreimal null", sagt er und hebt drei Finger, um das dreifache Nichts abzuzählen. "Das Einzige, was sie vielleicht tun werden, ist, zu ihrem Empfang ein neues, kleines Guantánamo aufzubauen."

Zumindest die Aussage von Muhammad Fahim* gibt ihm recht. Er ist einer der wenigen Jemeniten, die in den letzten Jahren aus Guantánamo freikamen. Er hatte sich seine Rückkehr ganz anders vorgestellt. Sein Bericht ist erschütternd: "Ich wurde fünf Tage gefoltert, von neun Uhr morgens bis zum nächsten Sonnenaufgang. Die Zelle war dunkel. Sie haben mich mit Schuhen geschlagen, haben mich beschimpft und gedroht, meinen weiblichen Verwandten etwas anzutun oder meinen Vater einzusperren", berichtet er und fügt hinzu: "Ich habe ihnen gesagt: ,Wenn ihr mich foltern wollt, ist das für mich nichts Neues. Das haben die Amerikaner bereits getan.' " So hat es Muhammad vor ein paar Monaten einem Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erzählt. Mit einem Journalisten will er sich in Sanaa nicht treffen. Da würde er erneut Ärger bekommen.

Dafür ist ein Treffen mit dem Anwalt der Guantánamo-Rückkehrer angesetzt. Chaled al-Ansi nimmt kein Blatt vor den Mund. Vierzehn jemenitische Rückkehrer aus Guantánamo gebe es bisher, sieben weitere Jemeniten seien aus den geheimen CIA-Gefängnissen zurückgekommen. "Sie kamen zurück, ohne dass sie jemals für irgendetwas verurteilt worden wären. Diese Menschen haben hier keinerlei Hilfe bekommen. Man hat sie, teilweise ohne irgendeine Anklage, auch im Jemen weggesperrt", berichtet der engagierte Anwalt. Als man sie dann freiließ, habe man sie auf Schritt und Tritt schikaniert und dafür gesorgt, dass sie keine Arbeit bekommen. Manche sagen: ,In Guantánamo war es besser, da hat sich wenigstens die amerikanische Regierung um uns gekümmert' ", sagt er zynisch.

Land und Leute: Der Jemen, an der Spitze der Arabischen Halbinsel gelegen, gilt als eines der ärmsten Länder der Welt und hat zugleich eine der höchsten Bevölkerungswachstumsraten. Die Zahl der Einwohner beträgt 23 Millionen. Schätzungen gehen davon aus, dass in dem Land mindestens dreimal so viele Waffen privat im Umlauf sind.

Politische Situation: Die Zentralregierung in Sanaa ist schwach und sucht den Ausgleich zwischen verschiedenen mächtigen Stämmen. Im Norden des Landes kämpft der Präsident Ali Abdallah Saleh gegen eine schiitische Sektenbewegung. Im Süden des Landes meldet sich dagegen in dem 1990 zwischen dem Süd- und Nordjemen vereinten Land eine Separatistenbewegung immer lauter zu Wort. Außerdem hat die Regierung mit immer stärker werdenden Al-Qaida-Zellen zu kämpfen.

Guantánamo: Früher stammten die meisten Gefangenen in Guantánamo aus Afghanistan und Saudi-Arabien. Heute stellen die Jemeniten die größte Gruppe in dem Gefangenenlager.

Fakt ist: Seit über einem Jahr streiten die Regierungen in Washington und Sanaa darüber, was mit Rückkehrern geschehen soll. Aber bisher haben sich beide Seiten nur auf die rudimentärsten Elemente eines Rückführungsabkommens geeinigt. "Nicht einmal ein Rahmen existiert", meint ein US-Diplomat. Jene Häftlinge, die die USA nun selbst vor Gericht stellen will, so wie Ramzi Bin al-Shibh, der vor einer US-Militärkommission in Guantánamo angeklagt wurde, direkt an den Anschlägen des 11. September beteiligt gewesen zu sein, bleiben von der Rückführung ohnehin ausgeschlossen. Nur vier Gefangene jemenitischer Herkunft wurden in Guantánamo angeklagt, darunter auch Salim Hamdan, der Fahrer Ben Ladens, der zu fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde und nach fünf Jahren Guantánamo im Dezember 2008 in den Jemen zurückgeschickt wurde.

Aber was tun mit dem Rest? In den USA überlegt man derzeit sogar, die Jemeniten vielleicht sogar ins benachbarte Saudi-Arabien zu schicken, wo es ein etwas effektiveres Aufnahmeprogramm für sie gibt. Washington argumentiert, dass es bei seinem Zögern weniger um die Gefährlichkeit der in Guantánamo verbliebenen Jemeniten geht. Aus Sicht der US-Regierung ist vielmehr ihr Herkunftsland das Problem: ein völlig verarmter, politisch instabiler Staat, in dem das Al-Qaida-Netzwerk immer eigenmächtiger agiert, wie zuletzt bei einem Doppelselbstmordanschlag vor der US-Botschaft in Sanaa, bei dem im September 2008 18 Menschen ums Leben kamen. Es war der schlimmste Anschlag auf ein US-Ziel außerhalb des Irak und Afghanistans seit dem 11. September, mit den meisten Todesopfern.

Auch der Umgang des jemenitischen Präsidenten Abdallah Saleh mit al-Qaida ist widersprüchlich. Seine Sicherheitskräfte sind stolz darauf, mehrere Al-Qaida-Kader erschossen zu haben. Hunderte Verdächtige wurden in den letzten acht Jahren zum Teil für Jahre eingesperrt, ohne dass es überhaupt eine Anklage gegeben hätte. Andere wurden vor "Sonderstrafgerichtshöfe" gestellt und in unfairen Verfahren abgeurteilt.

Doch weil der Präsident in dem schwachen Zentralstaat Jemen weniger regiert als vielmehr die verschieden Interessen der Stämme moderiert, taktiert Saleh auch mit Stämmen, denen eine gewisse Nähe zu al-Qaida nachgesagt wird. Da ist er so manchen Dienst schuldig. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er sich weigert, den Jemeniten mit US-Pass Jaber Al-Banna sowie den Jemeniten Jamal Muhammad al-Badawi auszuliefern, die nach der FBI-Liste zu den meistgesuchten Personen zählen. Al-Banna soll al-Qaida materiell unterstützt haben, al-Badawi soll am Anschlag auf das amerikanische Kriegsschiff "USS Cole" beteiligt gewesen sein, bei dem vor neun Jahren 17 amerikanische Seeleute ums Leben kamen.

Saleh zögert auch nicht, Jemeniten, die einst im afghanischen Dschihad gekämpft haben und zurückgekehrt sind, in die Ränge seines eigenen Militärs aufzunehmen. Sie gelten als besonders gute und unerschrockene Kämpfer. Mal setzt er sie gegen Separatisten im Süden ein, mal gegen schiitische Aufständische im Norden. Sie sind ein integraler Teil seiner Machtbasis.

Letzten Januar ereignete sich jedoch eine kleine Katastrophe für die jemenitischen Heimkehr-Aspiranten in Guantánamo. Ein 2007 aus Guantánamo freigelassener Jemenit, der ein saudisches Rehabilitationsprogramm durchlaufen hatte, tauchte in einem Al-Qaida-Video auf. Said al-Schihri, gekleidet in ein T-Shirt in Tarnfarbe, mit Schnellfeuergewehr in der Hand, stellte sich als neuer stellvertretender Kommandeur al-Qaidas auf der Arabischen Halbinsel vor und erklärte: "Eingesperrt gewesen zu sein hat uns in unserem Glauben bestärkt … Und heute hat uns Gott damit gesegnet, uns in das Land des Dschihad, nach Jemen, zu senden."

Für den Anwalt al-Ansi ist das alles kein Thema. "Die von den Amerikanern viel zitierte Sicherheitsatmosphäre im Jemen spielt keine Rolle, da gegen die meisten Jemeniten in Guantánamo nichts vorliegt", argumentiert er. "Und außerdem", fragt er süffisant: "Wenn die Lage so schlecht ist, warum haben die USA dann ausgerechnet den verurteilten Fahrer Bin Ladens, Salim Hamdan, überstellt, während die, gegen die nichts vorliegt, weiter einsitzen?"

Doch für die jemenitische Menschenrechtlerin Amal Bascha ist die Angelegenheit nicht so einfach. "Unsere Regierung versucht lediglich, aus dem Thema der Guantánamo-Rückkehrer Geld herauszuschlagen, und hat von Washington 100 Millionen Dollar verlangt, um ein Rehabilitationsprogramm aufzulegen", berichtet sie. "Geschehen", sagt Bascha, sei seither "nichts". "Was garantiert uns also, dass sich die Rückkehrer aus Guantánamo nicht doch einer der vielen Al-Qaida-Zellen im Land anschließen werden?", fragt sie.

Für die potenziellen Rückkehrer gibt es anscheinend nur zwei Möglichkeiten: in ein gesellschaftliches Vakuum zu stoßen oder in die Arme al-Qaidas zu fallen. Der Guantánamo-Rückkehrer Muhammad Fahim fasst das in einem traurigen Satz zusammen: "Wenn unsere Brüder in Guantánamo die Bedingungen hier kennen würden, würden sie bestimmt nicht zurückkehren wollen."

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