Sozialrechtler über Hartz-IV-Spitzel: "Observationen unzulässig"
Die Bundesagentur für Arbeit maße sich Befugnisse an, die eigentlich nur Strafverfolgern zustünden, sagt der Essener Anwalt für Sozialrecht, Uwe Klerks.
ist 50 Jahre alt und als Fachanwalt für Sozialrecht in Essen tätig. Seine auf Arbeitslosenrecht spezialisierte Essener Kanzlei besteht seit 1989. Klerks vertritt überwiegend Empfänger von Hartz IV.
taz: Herr Klerks, müssen sich Hartz-IV-Empfänger bespitzeln lassen?
Uwe Klerks: Sicher nicht. Eine verdeckte Überwachung von Arbeitslosen halte ich für unzulässig. Solche Observationen sind nur im Strafrecht, nicht aber im Sozialrecht vorgesehen. Die Bundesagentur maßt sich Befugnisse an, die ihr nicht zustehen.
Die Außendienstmitarbeiter sollen auch Nachbarn als Zeugen vernehmen. Ist das zulässig?
Auch der Begriff der Vernehmung stammt aus dem Strafrecht. Vernehmungen sind zwar auch möglich, aber nicht in dieser jetzt vorgesehenen systematischen Qualität, die Hartz-IV-Empfänger in ihrem engsten sozialen Umfeld diffamiert.
Warum?
Im Wohnumfeld kann schnell der Eindruck entstehen, nicht nur der Nachbar, sondern alle Arbeitslosen seien Betrüger. Zwar besagt die Dienstanweisung, dass nur bei begründetem Verdacht das Umfeld befragt werden soll - offensichtlich rechtswidrige Vernehmungsmaßnahmen sind trotzdem nicht ausgeschlossen. Außerdem ist in der Dienstanweisung nicht vorgesehen, dass Leistungsempfänger über ihr Recht zur Verweigerung von Angaben belehrt werden müssen, wenn es um den Verdacht des Leistungsmissbrauchs geht.
Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach?
Eigentlich kann die Arbeitsverwaltung nur Sozialleistungen verweigern, aufheben oder zurückfordern. In der Praxis aber werden Untersuchungsergebnisse an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergegeben. Auch hier geriert sich die Sozialverwaltung als eine Hilfsbehörde der Strafverfolger.
Die Bundesagentur soll auch Wohnungen inspizieren. Verletzt dies die Unverletzlichkeit der Wohnung?
Die Bundesagentur weiß natürlich um dieses Grundrecht und darf ihre Leistungen nicht wegen mangelnder Mitwirkung einstellen, wenn ihre Mitarbeiter nicht hereingelassen werden. Trotzdem: Regelmäßig erfolgt der Hinweis, dass Leistungen eben doch gekürzt werden, wenn strittige Sachverhalte nicht vor Ort geklärt werden können.
Die Agentur versucht sich an einem repressiveren Kurs?
Ja. Dabei fehlt der gesetzgeberische Rahmen. In der Rechtsprechung wird die Ansicht vertreten, dass eine Observation mangels gesetzlicher Grundlage unzulässig ist. Für Observationen und Vernehmungen zur Aufklärung von Verdachtsfällen wären Gesetzesänderungen notwendig und keine neue Dienstvorschrift. Alles andere führt zu Verwaltungs- und Behördenwillkür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Ich habe um Hilfe gerufen“