Berlin und die Europawahl (5): EU-Förderung: Wo kein Wille ist, ist kein Weg
Man könnte mit Fördermitteln der EU den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Aber der Senat denkt nicht fortschrittlich, kritisieren die Grünen.
Die Summe ist gewaltig: Berlin investiert mit Hilfe der Europäischen Union rund 1,7 Milliarden Euro in Wirtschafts- und Infrastrukturmaßnahmen. Aus dem sogenannten Efre-Programm, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, fließen 875 Millionen Euro bis 2013 in die Stadt. Einen ähnlich hohen Betrag schießen das Land und der Bund dazu, denn die EU-Gelder bedürfen einer Kofinanzierung.
Einen Teil der Fördermittel könnte man dazu nutzen, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern, sagt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. Der Bau einer Straßenbahnlinie etwa ließe sich mit Efre finanzieren. Überhaupt müsste ein umweltverträglicher Stadtverkehr, so Cramer, "angesichts der Tatsache, dass der Verkehr in Ballungsräumen für 40 Prozent der CO2-Emissionen und für 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich ist, eine der Prioritäten des Senats bei der Vergabe der Gelder sein".
Das ist er auch - theoretisch. Im sogenannten Operationellen Programm des Landes Berlin für die Förderperiode 2007 bis 2013, das die Grundlage für die Vergabe der Efre-Gelder bildet, heißt es: "Der Straßenverkehr ist einer der wesentlichen Verursacher anthropogener Umweltbelastung. Dies gilt in besonderem Maße in städtischen Ballungsgebieten wie Berlin. Die Reduzierung verkehrsbedingter Emissionen ist daher eine wesentliche Zielsetzung städtischer Umwelt-und Verkehrspolitik. Dies soll durch den bevorzugten Einsatz umweltfreundlicher Verkehrsträger erfolgen." Den Ausbau des Straßenbahnnetzes fördert Berlin trotzdem nicht. Und auch nicht den von S- oder U-Bahnen, wie das zum Beispiel die Stadt Madrid macht.
Eher schon die Nutzung von Autos. Rund 5 Millionen Euro investieren Land und EU in einen Straßenanschluss ans transeuropäische Netz, sprich an eine Autobahn nach Warschau. Das sei ein Lieblingsprojekt der EU, erklärt Christiane Sternberg, beim Senat zuständig für Europäische Strukturfondsförderung. Nur deshalb sei es von der EU-Kommission genehmigt worden.
Aber gerade mal 9 Prozent der Efre-Gelder fließen in die Umwelt, Verkehrssystemtechnik und Mobilitätsmanagement. "Da staune ich jetzt selbst", sagt Fondsverwalterin Sternberg. Der überwiegende Anteil, fast zwei Drittel der Mittel, geht in die Wirtschaft und Wissenschaft. Das mag daran liegen, dass die Koordination der Mittel in Händen der Wirtschaftsverwaltung liegt. "Es ist immer eine politische Entscheidung, wofür man das meiste Geld verwendet", sagt Hermann Blümel, in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für das EU-Monitoring zuständig. Vor allem im Osten sei die zentrale Frage, wie man Arbeitsplätze mit EU-Mitteln schafft. "Und wenn Jobs entstehen sollen, kann man wenig dagegen sagen." Das oberste Ziel des Operationellen Programms für Berlin sei die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung, erklärt Sternberg. "Dort, wo der beste Struktureffekt erzielt werden kann, wird investiert." Und das sei nun mal in der gewerblichen Förderung und in der Wissenschaft - unter anderem in der Übernahme von Finanzierungsdarlehen.
"Es würde dem Senat gut anstehen, wenn die Zukunftsfähigkeit der Stadt auch dadurch gewährleistet wird, dass EU-Gelder nicht nur für renditeorientierte Forschungsprojekte, sondern auch für soziale und umweltverträgliche Wachstumssektoren eingesetzt würden", wettert Cramer. Zum Beispiel einen Straßenbahnanschluss ins Märkische Viertel. "Es ist doch ein Skandal, dass das Märkische Viertel auch 40 Jahre nach seiner Entstehung noch immer keine Bahnerschließung hat." Rund 25 Millionen würde so ein Projekt kosten, rechnet Cramer vor. Und natürlich würden auch dabei Arbeitsplätze geschaffen, sowohl beim Bau als auch beim Betrieb einer solchen Straßenbahn.
Die sozioökonomische Analyse eines unabhängigen Instituts habe aber gezeigt, dass es keinen Förderbedarf beim öffentlichen Nahverkehr in Berlin gebe, hält Sternberg dagegen. Damit werde es schwierig, solch ein Projekt vor der Europäischen Kommission zu verteidigen. Aber unmöglich ist es nicht. Der öffentliche Nahverkehr ist laut Sternberg grundsätzlich förderfähig. Diese Aussage ärgert Cramer: "Mehr als ein Jahr lang hieß es in der Wirtschaftsverwaltung, die EU fördert nicht den öffentlichen Nahverkehr. Jetzt müssen sie eingestehen, dass es doch gehen würde. Sollen sie es doch einfach mal probieren."
So muss die EU als Sündenbock herhalten, wo der eigene politische Wille fehlt. Denn die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat mögliche Gelder für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gar nicht erst beantragt. Dort will man sich mit EU-Geldern anscheinend nicht befassen. Für die EU sei die Wirtschaftsverwaltung zuständig, heißt es. Sternberg sagt dagegen: "Die haben bei uns keinen Förderbedarf gemeldet."
Mit EU-Mitteln lassen sich sehr wohl auch öffentliche Fahrzeuge oder der Bau von Haltestellen fördern, sagt EU-Fachmann Blümel. Da gebe es ohne weiteres Möglichkeiten, das zeigten auch die Beispiele anderer Bundesländer, wie Sachsen oder Brandenburg. Letztlich ist es auch eine Frage, wie man ein Projekt vor der EU begründet. "Man sollte sich die Argumentation anderer Länder anschauen", schlägt Blümel diplomatisch vor. Auch Sternberg gibt zu, die Spanier mit ihrer EU-geförderten U-Bahn in Madrid seien cleverer: "Spanien strotzt vor Efre-Mitteln."
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