Debatte Zweistaatenlösung: Detail im Machtpoker

Die Rede des US-Präsidenten in Kairo setzte neue Akzente. Jetzt warten alle gespannt auf die Antwort des israelischen Ministerpräsidenten.

Wer sich in diesen Tagen gegen Barack Obama stellt, hat es nicht leicht. Das gilt in Washington ebenso wie in Tel Aviv. In Windeseile hat sich der neue Mann im Weißen Haus darangemacht, die politischen Karten des Nahen Ostens neu zu mischen, und dabei fast im Tagesrhythmus mit ehernen Prinzipien US-amerikanischer Nahostpolitik gebrochen. Ausgerechnet in Kairo umriss Obama die Grundpfeiler seiner Nahost-Agenda und ließ sich dafür wie ein Popstar feiern.

Spätestens jedoch als der US-Präsident am Nil mit Standing Ovations bejubelt wurde, dürften israelische Entscheidungsträger zittrige Hände bekommen haben. Zweistaatenlösung? Siedlungsstopp? As Salaam Aleikum? Solche Töne kannte man aus Skandinavien - doch aus dem Weißen Haus? Auch manch ein Palästinenser mochte seinen Ohren kaum trauen. Mit Ende der Obama-Rede war auch dem letzten Zuhörer klar geworden, dass der US-Präsident es ernst meint - und dass der ebenfalls neu gewählte israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein Problem hat.

Am morgigen Sonntag wird Netanjahu, der einer Rechtsaußenkoalition vorsteht, nun auf Obamas rhetorischen Aufschlag antworten. In einer mit Spannung erwarteten Grundsatzrede muss er nun den heiklen Spagat versuchen, auf den Druck der USA zu reagieren und zugleich seine weitgehend antipalästinensische Regierung zusammenzuhalten.

Bislang ist unklar, wie weit Netanjahu in seiner Replik gehen wird. An die Öffentlichkeit drangen bislang nur Meldungen, dass der Redeentwurf derzeit sowohl mit Koalitionspartner Ehud Barak als auch mit Staatspräsident Schimon Peres abgestimmt wird. Beide haben das Manuskript zur persönlichen Begutachtung vorgelegt bekommen. Sehen so Vorbereitungen für umfassende Kompromisse aus?

Politische Kommentatoren in Israel sprechen schon heute von einer historischen Rede und einer "zweiten Chance" für Netanjahu, das Steuer in Richtung Obama herumzuwerfen. In den palästinensischen Gebieten jedoch verspricht man sich von der Rede weniger - und schaut vor allem auf die Fakten vor Ort. Dabei sehen Palästinenser ihre Lage derzeit optimistisch: Chefunterhändler Saeb Erekat verkündete am Donnerstag, seit Obamas Amtsantritt seien die Palästinenser "das erste Mal in einer Position der Stärke". Am selben Tag bekannte der prominente Aktivist Mustafa Barghouti, "seit Jahrzehnten" erstmals wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken. Allerdings: Diese Zuversicht bezieht sich ausschließlich auf den US-Präsidenten. An Netanjahus Erklärungen und einen Gesinnungswandel des Likud-Mannes glaubt kaum ein Palästinenser. Die Erfahrungen aus der ersten Amtsperiode des Ministerpräsidenten und dem Kollaps des Oslo-Prozesses sind nicht vergessen.

Palästinenser fordern von Netanjahu dreierlei: die öffentliche Absegnung der Zweistaatenlösung, das sofortige Einstellen der Hauszerstörungen in Jerusalem und als Vorbedingung zu weiteren Verhandlungen den sofortigen Stopp des Siedlungsbaus. Nicht von ungefähr sind dies zugleich die Eckpfeiler der Obama-Rede. Schließlich wird eine Zweistaatenlösung mit jeder weiteren Wohneinheit jüdischer Siedler politisch schwieriger umsetzbar. Und angesichts der fortgesetzten Landnahme häufen sich auch in Palästina Stimmen, die eine Zweistaatenlösung als nicht mehr umsetzbar zurückweisen. Die Option Einstaatenlösung ist dabei jedoch eher ein letztes Druckmittel der Palästinenser denn eine realistische Forderung. So drohte der palästinensische Außenminister Riad al-Maliki am Donnerstag, die Alternative zu zwei Staaten sei ein binationaler Einheitsstaat, in dem "die Palästinenser in 20 Jahren die Mehrheit stellen werden". Angesichts dieser demografischen Fakten bleibt "Zwei Staaten für zwei Völker" der einzig mögliche Lösungsansatz.

Trotz dieser Forderungen zum Siedlungsbau dürfte Netanjahu in seiner Rede bestenfalls einen zeitweiligen Stopp in Aussicht stellen und weiterhin auf "natürliches Wachstum" der Siedlungsblöcke pochen. Es wird erwartet, dass er Zugeständnisse von palästinensischen Konzessionen abhängig machen wird.

Etwa durch die Forderung nach Anerkennung Israels als "jüdischer Staat". Ein solches Bekenntnis würde Verhandlungen über ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge von vornherein ausschließen und wäre für Palästinenser und die arabischen Staaten unannehmbar.

Als Kern der Rede erwarten Beobachter dabei eine Berufung Netanjahus auf George W. Bushs Roadmap. Diese sollte eigentlich schon 2005 mit der Gründung eines Palästinenserstaates enden und war von Israel nur mit 14 Vorbehalten akzeptiert worden.

Ein Beschwören der Roadmap könnte als indirekte Anerkennung der Zweistaatenlösung interpretiert werden und würde Netanjahu eine Atempause in den Vereinigten Staaten und zugleich Spielraum in Bezug auf die Palästinenser verschaffen. Denn Netanjahu und palästinensische Entscheidungsträger wissen nur zu gut, dass sich die Roadmap als störungsanfällig und leicht zu torpedieren erwiesen hat. Eine Neuauflage würde Netanjahu daher zwar Zeit geben, doch eine regionale Gesamtlösung des Konflikts auf absehbare Zeit erschweren.

Allerdings ist ein solches Spiel auf Zeit für die Palästinenser unannehmbar, für Netanjahu jedoch attraktiv. Ausschlaggebend ist, dass das Palästinenserproblem für die israelische Regierung derzeit nur ein Detail im großen geostrategischen Machtpoker darstellt. Nicht von ungefähr hatte Netanjahu anlässlich seiner Regierungsbildung die drei Schwerpunkte seiner Agenda dramatisch mit "Iran, Iran und Iran" beschrieben. Vor diesem Hintergrund dürfte er Teheran auch am Sonntag als Bedrohung beschwören - übrigens unabhängig vom Ausgang der dortigen Wahlen.

Im Vorfeld seiner Rede sollte sich Netanjahu jedoch auch fragen, ob US-Präsident Obama tatsächlich bereit sein wird, einen Ausgleich mit den Palästinensern für einen konfrontativen Kurs gegen den Iran aufzugeben. Denn es läge wohl kaum im Interesse des US-Präsidenten, Frieden im Nahen Osten gegen eine Eskalation im Mittleren Osten einzutauschen. MICHAEL BRÖNING

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