SPD-Kandidat Steinmeier bei Parteitag: Der Mann, der Stile ausleiht
Nach dem Desaster der Europawahl will SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier die Partei aufbauen. Und die SPD ihn.
Es ist eher selten geworden, dass in der SPD die historische Mission der Partei beschworen wird. Die Idee, dass die SPD einen geschichtlichen Auftrag zu erfüllen hat, taugte lang noch nicht mal mehr als Folklore. Vielleicht war es ein Zeichen, dass Parteichef Franz Müntefering gleich zu Beginn des SPD-Parteitags in Berlin den "Sozialstaat als Menschheitsfortschritt" feierte, den Sozialdemokraten errungen haben. Demonstratives Selbstbewusstsein, keine Scheu vor Pathos, das war die Melodie, die Müntefering vorgab. Und kein Kurswechsel. Und Frank-Walter Steinmeier folgte.
Müntefering, der beste Rhetoriker der SPD, redet kurz und prägnant. Danach tritt Steinmeier ans Rednerpult. Im Saal wird es ganz still, obwohl die Genossen ihren Kandidaten doch feiern wollen. Steinmeier ruft den knapp 500 Delegierten mit heiserer Stimme: zu: "Der letzte Sonntag war Mist. Aber das Ding am 27. September ist offen." Und verspricht ein "Programm mit klarer Kante". Er scheint Müntefering bis in die flapsige Wortwahl zu imitieren. Später klingt er, wie oft bei Wahlreden, ein wenig wie Schröder. Das ist ein Problem des Kanzlerkandidaten.
Er wirkt manchmal wie jemand, der sich Stile ausleiht, wenn er eindringlich wirken will. Eigentlich liegt ihm die mittlere Tonlage mehr, das Moderate, Vernünftige. Mit der Rolle des Volkstribun fremdelt er, noch immer. Ein Kandidat auf der Suche nach Erkennbarkeit, noch immer. Es dauert eine Viertelstunde, ehe die Genossen mit Steinmeier warm werden. Steinmeiers Rede ist eine politische Tour dHorizon. Fast alles kommt vor - von Opel bis zum Betriebsverfassungsgesetz, von den Atomwaffen bis zur Abwrackprämie, von flammenden Warnungen vor Schwarz-Gelb bis zur knappen Verteidigung der Agenda 2010. Steinmeier prangert "Hungerlöhne von 2,73 Euro" an Und zitiert das Lied, das Sozialdemokraten noch immer am Ende ihrer Parteitage singen: "Mit uns zieht die neue Zeit." Es geht auch jetzt um eine "neue Zeit", ruft Steinmeier. Keine Scheu vor großen Worten. In der besten Passage skizziert Steinmeier die sozialdemokratische Erzählung, die Idee "eines neuen Wir", das die Gesellschaft prägen soll. Die SPD erscheint als Verkörperung und Avantgarde dieses Wir. "Wir", ruft Steinmeier, sind "eine Volkspartei, für Jüngere oder Rentner, für Bauarbeiter und Computerunternehmer." Das klingt etwas hochtrabend. Aber es ist die Idee, die auf einen neu begründeten Republikanismus zielt, immerhin.
Energisch verteidigt Steinmeier sein Engagement für Opel. "Ich habe den Opelanern Ende Februar in die Augen geschaut und ihre Angst und Hoffnung gesehen", sagt er. Und verwehrt sich gegen den Vorwurf, dass die SPD Steuergelder verschwendet. Die Pleite sei "doch teurer". Den Vorwurf, die Partei verschleudere Geld, versucht Steinmeier auch biografisch zu entkräften. "In meinem Elternhaus wurde die Mark jedenfalls zweimal umgedreht", sagt er. Bei Opel, so die Aussage, gibt es keine Kurskorrektur. Der Ton aber ist etwas anders: nicht mehr so bissig, eher routiniert. Offenbar will Steinmeier den Eindruck zerstreuen, sich eine Fehde mit zu Guttenberg zu liefern - wo sein Gegner doch die Kanzlerin ist.
Es ist keine glänzende Rede - aber für Steinmeier eine recht gute, konzentrierte. Es ist eine Rede, die ihren Zweck erfüllt. Der Kandidat will nach dem Desaster der Europawahl die Partei aufbauen. Die Partei will nach dem Desaster der Europawahl ihren Kandidaten aufbauen. Wo alle das Gleiche wollen, kann es keine Verlierer geben. Am Ende jubeln die Delegierten eifrig und minutenlang. Ein bisschen gewollt wirkt das schon.
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