Exaltation und Champagner: Dunkel qualmt der Toaster
Martin Wuttke bringt Texte von Ernst Jünger ins Berliner Ensemble.
Ernst Jünger war kein Theatermann. Aber er war eine Figur wie geschaffen für das Theater, kei n Dramatiker hätte sich ihn besser ausdenken können. Mithin ein idealer Stoff für den Schauspieler und Regisseur Martin Wuttke, der Jünger im Berliner Ensemble dramatisierte.
Jünger war ein gefährlicher Mann. Ein Blender. Einer, der die Dinge ästhetisiert, der das Lebendige verkunstet. Er war dem Faschismus zugeneigt, wenn auch eher weniger seiner deutschen Spielart, dem Nazismus. Er war kein Oppositioneller, sondern Militarist, Elitarist, vom Rausch besessen. Von Naturräuschen, vom Champagnerrausch, von Bluträuschen. Jünger schaffte es, den hässlichen Deutschen als Beau zu geben. Zudem war er oft nur ein Schwätzer, der in einer gestelzten, für Stilblüten sehr anfälligen Sprache, Banalitäten schrieb.
Gegen Ende seines Lebens war er vor allem ein hochbetagter Mann. Als er vor elf Jahren als 102-Jähriger starb, liebte man ihn seines schlechten Rufes wegen, auch aufgrund seiner höfischen, etwas geckenhaften Art. In Wuttkes Umsetzung von Jüngers Büchern "Das abenteuerliche Herz" und "Annäherungen" wird gestenreich geraucht, Champagner getrunken, Waffen werden angewandt, es wird über Leben und Tod schwadroniert. Die Spielfassung "Das abenteuerliche Herz: Drogen und Rausch", die Martin Wuttke gemeinsam mit der Dramaturgin Anna Heesen erstellt hat, bedient sich vor allem aus der ersten Fassung von "Das abenteuerliche Herz" von 1929, die, im Gegensatz zur "zweiten Fassung" von 1938, noch nicht von vielen wildromantischen Ideen bereinigt ist.
Das Stück wird im Foyer des BE gegeben, in dessen Mitte ein verglaster Kasten steht und die Bühne abgibt, der Raum mit seinen marmornen Wänden und großen Spiegeln spielt mit. Er ruft Assoziationen an dekadente Zeiten auf. Eine Gesellschaft von acht Herren und drei Damen gibt sich in dem Spielbühnenkasten dem Spekulieren hin, angeleitet von Martin Wuttke als "Dr. Fancy". Es gelingt den guten Schauspielern, die je einen kurzen Soloauftritt haben, Jüngers Texte an die Orte zurückzuführen, an denen sie entstanden sind - in die Salons der Geltungssüchtigen.
"Unzweifelhaft ist der Mensch viel tiefer, als er es sich träumen lässt, vielleicht sogar ebenso tief wie das Tier", heißt es etwa, oder auch: "Ob es eine umgekehrte Embryologie des Todes gibt, die alle Entwicklungsgänge des einzelnen Lebens wiederholt und zusammenfasst als die niedere Vorform und Keimgeschichte einer höheren und wesentlicheren Existenz, die sich im Augenblick größter Dunkelheit gebiert - in DEM Augenblicke, in dem die Nabelschnur zerreißt, die uns der Welt der Materie und ihren Zufällen verband?" Keimgeschichte! Umgekehrte Embryologie des Todes!
Jünger war nicht nur ein Freund des dramatischen Reflektierens, sondern wohl auch der einzige deutschsprachige Surrealist. Den schwülstigen Texten, denen man kaum folgen kann, da die Schauspieler schon den nächsten Schwulst aufsagen, nimmt diese Inszenierung ihr falsches Geheimnis - dadurch, dass sie ausgesprochen werden. Mancher Text, der auf dem Papier verwirrt, wird zu Gehör gebracht in seiner Phrasenhaftigkeit entlarvt.
Martin Wuttke lässt seinen Akteuren Raum, manchmal sind die Soloauftritte etwas zu lang. Andererseits gibt das wilde Agieren dem Publikum ebenso Raum für Gelächter. Und mitreißend ist die Inszenierung allemal, schöne Bilder gibt es zuhauf. Etwa dann, wenn ein Toaster als Rauchmaschine benutzt wird, indem die Toasts darin verbrennen. Und allein der steifbeinige Tanz mit einer Suppenschüssel, den Wuttke gemeinsam mit Marie Löcker tanzt, lohnt den Besuch der Aufführung.
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