piwik no script img

Pina Bausch ist totSo viele Küsse, so viele Seufzer

Weltweit gilt Pina Bausch als Erneuerin der Sprache des Tanzes. Am Dienstag ist die Tänzerin und Choreografin überraschend im Alter von 68 Jahren gestorben.

Noch am Sonntag vor einer Woche stand sie mit ihrem Tanzensemble auf der Bühen: Bausch. Bild: ap

So viel Sanftheit, so viel Zärtlichkeit, das traute sich sonst niemand. Von Jahr zu Jahr schienen die Tänzerinnen ihres internationalen Ensembles schöner geworden und die Lust der Choreografin, sich ihren verführerischsten Seiten zu widmen, ungebrochen. Fast Jahr für Jahr brachte Pina Bausch, seit 1973 Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters, eine neue Choreografie heraus, oft noch ohne Titel.

Das einzige, was ihre Kritiker ihr vorwarfen in den letzten Jahren, war die große Wiedererkennbarkeit ihrer Sprache. Weltweit aber hat sich ihr Ruf als Erneuerin der Sprache des Tanzes und der Konzeption von Tanzstücken erhalten. Dafür erhielt sie viele Preise, darunter 2007 den hochdotierten japanischen Kioto-Preis, den Goldenen Löwen von Venedig und zuletzt den Laurence Olivier Award.

So viele Küsse, so viele Seufzer. Lange fließende Haare, lange schwingende Röcke, Tänzerinnen aus Indien, Korea, Japan, Bilder von Wasser, Badende, Rutschende, Übermütige, Fliegende, Stürzende, Aufgefangene: So kehrt die Erinnerung an ihre Stücke zurück. Es waren viele Bilder des Trostes dabei, von kleinen Hilfeleistungen, von hochgereckten Händen, die andere Körper tragen und durch Träume wandern lassen. Bilder, an denen man sich festhalten möchte, angesichts der erschreckenden Nachricht von ihrem Tod. Pina Bausch starb am Dienstag mit 68 Jahren an Krebs, nur fünf Tage nachdem die Krankheit erkannt worden war.

Vor einem Jahr trat sie im Antiken Theater von Epidauros in Griechenland auf, vor 10.000 Zuschauern, mit der Tanzoper "Orpheus und Eurydike", einstudiert vom Ballett der Pariser Oper, 33 Jahre nach seiner Uraufführung 1975. Das war eine Wiederbegegnung mit der Entstehung der berühmten Bausch-Bewegungen, die sowohl mit ihren weiten und weichen Schwüngen als auch mit jäher Plötzlichkeit das damalige Vokabular aufbrachen.

Pina Bausch, die von der Folkwang Schule in Essen kam, ließ in ihren frühen Stücken noch die Nähe zum Ausdruckstanz sehen, der den Gefühlen und der Expressivität viel mehr verbunden war als das Ballett. Die Pariser Compagnie ist die einzige, die zwei Stücke von ihr im Repertoire hat: Denn anders als musikalische Kompositionen, die von verschiedenen Dirigenten und Orchestern interpretiert werden, bleiben viele Choreografien immer in der Hand ihrer Schöpfer. So ist das Werk von Pina Bausch eng an ihre Person und an ihr Wuppertaler Ensemble gebunden. Wiederaufnahmen haben ihr Werk und ihre Entwicklung lebendig erhalten. Dabei ließ die veränderte Wahrnehmung der Zuschauer oft ermessen, wie sehr Bauschs choreografisches Konzept modellhaft geworden ist und heute als Vorbild durch viele Theaterprojekte scheint.

Ein ganz besonderer Coup war 1998 die Wiederaufnahme von "Kontakthof" mit "Damen und Herren ab 65". 1978, bei der Uraufführung, wirkte "Kontakthof" wie eine Kampfansage an die sozialen Konstruktionsmuster der Geschlechterrollen. Wie vorgefertigte Träume und männliche Blicke den weiblichen Körper zurechtkneten, wie triviale Handlungsmuster den Spielraum verengen, wie Kleider zwicken und Stöckelschuhe schmerzen, all das wurde vorgeführt im selbstzerstörerischen Training einer Männer- und einer Frauenriege. Der Blick der Choreografin schien sezierend in den Leib gesellschaftlicher Regeln einzudringen.

Zwanzig Jahre später, und von Laien einstudiert, war aus der gläsernen Schärfe eine zärtliche Komödie geworden, die ihren Protagonisten verzieh, dass sie sich in diesen Mustern eingerichtet hatten. Die ausführenden Tanzamateure waren so um die vierzig gewesen, als Pina Bausch das Stück entwickelt hatte und ihrem Ensemble eine bis dahin unerhörte Präsenz abverlangte. Das waren nicht nur Tänzer auf der Bühne, sondern Performer, die mit großem persönlichem Witz in ihre Rollen stiegen und ihren Körper auf seinen Marktwert hin befragten. In der Wiederaufnahme mit den "Damen und Herren ab 65" wirkte das alles so viel lässiger, gesättigt mit Erfahrung und von der Bereitschaft getragen, Dinge geschehen zu lassen.

Diese Haltung, dem Leben zuzuschauen, sich seiner Vielfalt bis in die kleinsten Details gewahr zu werden, schien überhaupt immer mehr der Geist, aus dem die Stücke Pina Bauschs in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Sie erzählte von Liebe, Sehnsucht, Trauer, Verführung nie mit großem Druck, nie mit tragischer Geste, sondern stets sehr beiläufig, en passant. Das machte die Leichtigkeit, den Witz, aber auch die wache Sensibilität ihrer Stücke aus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Y
    Yana

    Auch von mir mein Beileid,

     

    der Welt ist eine große Künstlerin verloren gegangen.

  • V
    vic

    "nur fünf Tage nachdem die Krankheit erkannt worden war."

     

    Das ist gut. Wenn schon, dann schnell.

    Jetzt wird´s wohl keinen Medienhype geben, denke ich...

  • BM
    Bastian M.

    Pina war eine tolle Künsterlin, ich kenne viele Frauen die massgeblich von ihr beeinflusst worden sind.

     

    Mein Beileid an die Verwandschaft.

    Sie war starke Raucherin.