piwik no script img

Kommentar Schwarz-rote KoalitionWesterwelle freut sich zu früh

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Noch ist es viel zu früh, um auf ein Ende der großen Koalition zu setzen. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass es nach der Bundestagswahl mit schwarz-rot weitergeht.

W ar es das jetzt mit der großen Koalition? Hört der Dauerkrampf der Stagnation endlich auf? Der Bundestag absolvierte am Freitag seine letzte reguläre Sitzung vor der Neuwahl. Das schmeckt nach Abschied, nach Zäsur. Doch könnte es verfrüht sein, auf ein Ende der großen Koalition zu setzen. Vielleicht hält diese Notgemeinschaft weit länger als gedacht - auch gegen alle Wahrscheinlichkeit.

taz

Ulrike Herrmann ist finanzpolitische Redakteurin der taz.

Zugegeben, momentan scheinen alle Umfragen zu belegen, dass Schwarz-Gelb im Herbst mit einer Mehrheit rechnen kann. In der aktuellen Sonntagsfrage kommen Union und FDP auf 50 Prozent. Was sollte einen Guido Westerwelle als FDP-Außenminister also noch verhindern?

Zunächst einmal gehört es zu den leidvollen Erfahrungen der Demoskopen, dass Umfragen zur Wahrsagerei werden: Etwa die Hälfte aller Bürger wissen noch nicht, wen sie wählen wollen - und viele entscheiden erst in der Wahlkabine. Das ist natürlich der Albtraum aller Demoskopen: Ihnen entzieht sich das Untersuchungsobjekt. Sicher ist nur der Blick in die Vergangenheit, und da ist zu konstatieren, dass es seit 1998 bei Bundestagswahlen keine bürgerliche Mehrheit mehr gab. Warum sollte es jetzt anders sein? Wenn es jedoch für Schwarz-Gelb nicht reicht - dann ist die große Koalition garantiert, weil die SPD nicht mit der Linken koalieren will.

Aber selbst wenn Schwarz-Gelb theoretisch regieren könnte, ist nicht unbedingt ausgemacht, dass Westerwelle ins Außenministerium einzieht. Denn Kanzlerin Merkel dürfte eigentlich keinerlei Interesse daran haben, die FPD in Regierungsämter zu hieven. Für die Union ist die große Koalition momentan die ideale Machtoption - und zwar aus drei Gründen.

Erstens: Die Vergangenheit lehrt, dass die Bürger dazu neigen, das Ergebnis der Bundestagswahl alsbald zu korrigieren, indem sie bei den nächsten Landtagswahlen verstärkt für die Oppositionsparteien votieren. Eine schwarz-gelbe Bundesregierung könnte also für einige CDU-Landesfürsten gefährlich werden. Dieser Effekt ist bei einer großen Koalition nicht ganz so ausgeprägt, weil das Bündnis der beiden Volksparteien suggeriert, man wolle alle Bürger repräsentieren. Schwarz-Gelb hingegen würde als die Kampfansage des bürgerlichen Lagers verstanden - und das mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und die enorme Staatsverschuldung zu finanzieren ist, dann dürften die vielen Verlierer dieser Finanzkrise bald den Charme der nichtbürgerlichen Oppositionsparteien entdecken.

Zweitens: Ein erstes CDU-Opfer könnte Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen sein. Dort stehen Landtagswahlen im Mai 2010 an. Bisher konnte sich Rüttgers als Landesvater inszenieren, der die CDU sozialdemokratisch zu wenden weiß. Doch dieser Kurs ist nicht mehr glaubhaft, wenn im Bund Schwarz-Gelb regiert.

Drittens: Die Union hat die historische Chance, die einst so stolze SPD zu vernichten. Schon jetzt erreichen die Sozialdemokraten in Umfragen nur noch 23 Prozent - sollte die SPD erneut in eine große Koalition eintreten, dann dürfte sie 2013 noch weit darunter liegen. In der Opposition hingegen hätte die SPD zumindest theoretisch die Chance, wieder Schlagkraft zu entwickeln. Sie könnte neues Führungspersonal aufbauen und in aller Ruhe das Verhältnis zur Linkspartei klären.

Es könnte jedoch die Rettung der SPD sein, dass die Basis der Union zu dumpf ist, ihre strategischen Chancen zu erkennen. Stur wird der CDU-Wirtschaftsflügel darauf beharren, dass es eine schwarz-gelbe Lager-Regierung geben muss, sobald es sich rechnerisch ergibt. Das weitere Szenario würde sich dann sehr erfreulich für alle Parteien links der Union entwickeln: Schon jetzt hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit im Bundesrat - allzu großen Schaden könnte eine CDU-FDP-Regierung also gar nicht anrichten, da sie faktisch mit Grünen und SPD zusammenarbeiten müsste. Außerdem, siehe oben, würden wohl bald weitere CDU-Länder kippen.

Doch bevor man sich links der Mitte allzu sehr auf Schwarz-Gelb freut: Kanzlerin Merkel ist bekanntlich taktisch klug. Deswegen ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die große Koalition gegen alle Wahrscheinlichkeit hält.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

3 Kommentare

 / 
  • N
    Nadi

    Die SPD ist das Zentrum dieser Wahl, weil sich an dem jetzt schon sich abzeichnenden negativen Wahlergebnis die politische Landschaft neu ausrichten wird. Mag sein, dass die SPD in der großen Koalition neue Leute aufbauen kann - konnte sie tatsächlich aber seit 1998 in der Regierung. Wer sich die Führung der SPD ansieht, gewinnt aber eher den Eindruck, dass es denen überhaupt nicht mehr gelingt, eine Scharr charismatischer und fähiger Leute aufzubauen.

    Insofern sehe ich diese These sehr kritisch.

    Wenn die CDU aber die FDP in eine Koalition zieht und Hartz-IV verbessert, dann könnte es für die SPD doppelt so schlimm kommen.

    Dann wäre nämlich die CDU in der Lage eine ganze Menge an politische Landschaft sozialdemokratisch abzudecken, wärend die SPD sich nicht recht dagegen abgrenzen könnte.

    Man kann es drehen und wenden, die SPD hat sich mit Hartz-IV in einen tödlichen Eiertanz gestürtzt, aus dem sie nicht recht ausbrechen kann. Die letzte Variante, Scholz verteilt massiv Geld und Geschenke an Gewerkschaften und Arbeitgeber, hat keinerlei Auswirkung auf das Ergebnis oder die Stimmung für die SPD gehabt.

    Mehr hat die SPD aber nicht, alle anderen Forderungen sind nur ein Sturm im Wasserglas, weil schon jetzt das Geld für weitere Wohltaten fehlt.

    Ich denke, dass die CDU sich weitaus eher einen Gefallen damit täte, die FDP abzuwaschen, als die SPD nochmals in Ämter und Würde zu heben. Vielleicht wird die SPD im Herbst ohnehin in ein großes Durcheinander fallen, denn die bisherige Führung vertröstet die Mitglieder und Funktionär von Niederlage zu Niederlage auf Besserung - die freilich nicht in Sicht ist.

    Zuletzt vielleicht noch dieser Punkt: Die SPD will nicht mit den Linken koaliieren oder zusammen arbeiten. Diese Aussage ist explizit an Steinmeier, Scholz, Steinbrück, Müntefering gebunden - für eine ganze Gruppe von Abgeordneten und Linken in der Partei gilt sie nicht.

  • KK
    klaus keller

    Trostpflaster: CDU wählen um die SPD zu retten, aber nur mit der Erststimme, die zweite für die Linke, macht im Durchschnitt sozialdemokratie + antimillitarismus :-)

     

    Was ist mit der Variante Frau Merkel hat das Pech alleine regieren zu können(müssen)? :-)

    Hm.. dann können sich SPD und FDP erholen....

    Die SPD von Muntefehring/Steinmeier&Co die FDP vom neo.- und rechtliberalen Flügel.(wenn sie denn solche hat, dann müßten ihr 2 neue wachsen das dauert)

     

    Ich habe den Verdacht Sie wollen mich trösten...

    für den Fall das es zu schwarz/gelb kommt

    (was kommt heraus wenn man die Farben mischt?)

     

    Dafür vielen Dank :-)

     

    Klaus Keller Hanau

  • V
    vic

    Sollte sich die SPD nochmal auf diese Koalition einlassen ist sie tot. Endgültig.

    SPD-FDP, oder SPD-CDU passt nicht. Aber egal.

    Ich kann keinen Unterschied mehr erkennen.

    Und nachdem ich lange die Linke wählen wollte (wie 2005), weiß ich jetzt definitiv was ich machen werden. Ich gehe zur Wahl, und ich werde einen leeren Bogen abgeben.

    Ich habe keine Wahl, also gibt´s auch nichts zu wählen.