Schwerere Panne als angenommen: Das Krümmel-Monster
Beim Störfall im Vattenfall-AKW funktionierte offenbar auch der zweite Transformator nicht richtig. Das ergibt eine Untersuchung vom TÜV Nord, die der taz vorliegt.
Die Reaktorpanne im AKW Krümmel ist offenbar größer als bislang angenommen. Nach einem der taz vorliegenden Ergebnisprotokoll des TÜV Nord ist demnach bei dem Störfall vor einer Woche auch der zweite Transformator in Mitleidenschaft gezogen worden. Vattenfall hatte bislang nur den Ausfall eines Transformators, nämlich des Transformators AT 02, eingeräumt.
"Bei den Transformatoren AT 01 und AT 02 hat auf der Niederspannungsseite in je einer Phase ein Überspannungsableiter angesprochen", heißt es in dem Protokoll. Und weiter: "Der Ableiter des AT 01 zeigt Lichtbogenspuren." Das Protokoll hält fest, dass auch das "Transformatorgebäude des AT 02 analog zur Untersuchung des Gebäudes AT 01 (Meldepflichtiges Ereignis 01/2007) untersucht werden" muss.
Der Atomphysiker und Greenpeace-Experte Heinz Smital spricht von einem "Skandal". Lichtbögen entstünden bei Kurzschlüssen. "Das bedeutet, dass in Krümmel nicht nur ein Transformator ausgefallen ist, sondern auch der zweite." Vattenfall habe bislang lediglich einen Ausfall zugegeben. "Statt der versprochenen Informationstransparenz mauert der Konzern weiter", so Smital. Erklärbar sei nun auch, warum der Spannungsabfall im Netz plötzlich 1.200 Megawatt stark gewesen sei und nicht - wie technisch geplant - durch den zeitversetzten Ausstieg des zweiten Trafos abgefedert worden ist.
Vattenfall weist die Vorwürfe zurück. "Der Ausfall von AT 01 war eine Folge des Ausfalls von AT 02", sagte eine Sprecherin der taz, und dies sei bereits im ersten Arbeitsbericht am vergangenen Sonntag veröffentlicht worden. "Kommuniziert haben wir nicht jedes Detail, sondern hauptsächlich die Folgen für den Reaktor."
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will unterdessen den Pannenreaktor Krümmel für immer vom Netz nehmen. "Wir werden eine neue Betriebsgenehmigung sehr genau prüfen und dabei das neue Kerntechnische Regelwerk zur Anwendung bringen", sagte der Minister am Freitag in Berlin.
Fünf Jahre hatten Experten des Bundesumweltministeriums mit Bundesländern und Energiekonzernen über neue Sicherheitsregeln für Atomkraftwerke verhandelt. Bislang galt ein Regelwerk von Anfang der 80er-Jahre, das laut Gabriel "Lücken und Abweichungen vom Stand von Wissenschaft und Technik" aufweist. Seit April dieses Jahres liegt nun ein neues 291-seitiges "Kerntechnisches Regelwerk" (KTR) vor, das der deutschen Atomaufsicht neue Handhaben zur Überprüfung von Sicherheitsstandards gibt.
Diese allerdings sind noch nicht bindend. Denn statt die neuen Regeln im Bundesanzeiger zu veröffentlichen - was ihnen Gesetzeskraft verliehen hätte -, einigte sich Gabriel im Frühjahr mit seinen Länderkollegen darauf, das neue KTR zunächst 15 Monate probehalber anzuwenden. Gabriel begründete das seinerzeit damit, dass er sich "nicht auf einen Schützengrabenkrieg einlassen" wolle. Hätte er das neue KTR im Dissens mit den Ländern eingeführt, wäre das "als Wahlkampf ausgelegt" und vermutlich vor Gericht angefochten worden, so Gabriel.
Das hat sich nun geändert. Die für Krümmel zuständige Atomaufsicht in Kiel habe dem Bundesumweltministerium angeboten, "vor einer erneuten Betriebsgenehmigung Krümmel nach dem neuen KTR prüfen zu wollen", erklärte Gabriel. Daraus würden sich deutlich strengere technische Anforderungen ergeben, die Prüfung werde auch "längere Zeit in Anspruch nehmen". Insgesamt sei er "optimistisch, dass Krümmel nicht mehr ans Netz geht".
Gabriel stellte am Freitag zudem seine Daumenschrauben vor, die er in der neuen Legislatur den Atomkonzernen anlegen will. Demnach will er in der kommenden Legislaturperiode - falls man ihn lässt -gleich acht AKWs stillegen, die atomrechtliche Aufsicht für die verbleibenden neun Kraftwerke auf Bundesebene konzentrieren und eine Kernbrennstoff-Steuer einführen, die jährlich bis zu 2 Milliarden Euro in den Steuersäckel bringt. Gabriel: "Die Union wird aufjaulen. Deshalb wäre es besser, die SPD regiert ohne die Union."
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