Kolumne Speckgürtel: Der Blick aus dem Höllenschlund

Eigentlich soll es ein entspanntes Familienfest werden - aber die Vorbereitungen enden fast in Handgreiflichkeiten.

Es gilt zu feiern. Allerlei Wundersames ist in letzter Zeit geschehen, wir wollen ein Familienfest geben. Nichts Großes, "nur die Kernfamilie", wie die Pubertistin unsere 17-köpfige Basismannschaft umschreibt. Zu würdigen sind diverse Schulzeugnisse und eine durch ein Wunder überstandene schwere Krankheit. Wir laden in den Speckgürtel ein.

Das Planungstreffen ist für morgens anberaumt: Wer fährt einkaufen, wer räumt die Gartenmöbel raus, was wollen wir essen, derlei. Schlecht gelaunt kommt die Pubertistin aus ihrem Zimmer. Das Blondhaar verlegen, die Augen schmal, mault sie erst mal rum, noch nicht in der Lage, zu einem klaren Gedanken zu sein. Wir ahnen, was die nächsten Stunden für uns bereithalten. Ein Kind, renitent und reizbar, ein Kind, das wir hassen werden, obwohl wir uns doch gerade heute alle lieb haben wollen.

Den ersten Kampf gewinnt die Pubertistin: Sie muss nicht mit zum Einkaufen fahren, ihr Vater verzichtet "auf diese Fresse". Also setze ich sie im Innendienst ein und fordere sie auf, schon mal ihr Zimmer aufzuräumen. Sie überspringt ein paar Eskalationsstufen und rebelliert offen. "Hallo!? Ich checks nicht!", tönt es rau aus ihrem zarten Mund, "ich hab erst vor zwei Wochen aufgeräumt." - "Hör auf zu diskutieren", antworte ich, "und mach, was ich dir sage!" Das hätte ich besser unterlassen. Die Pubertistin kennt ihre Rechte. "Hallo!? Ist jetzt hier Diktatur?" Ich erspare Ihnen weitere Einzelheiten. Nur so viel: Es fallen die Wörter Taschengeld und kürzen, dann rummst ihre Zimmertür ins Schloss, und es ballert menschenverachtende Untergrundmusik durchs Haus.

Ich sehe die Pubertistin herumstapfen. Mal zwingt sie einen Klumpen Dreckwäsche in den Korb, dann stellt sie Pfandflaschen vor der Kellertür ab und füllt den Mülleimer mit den Schulbroten der letzten Woche. Alles mit jenem herausfordernden Blick, der mich dringend davor warnt, sie das Naheliegende zu fragen: Wer bitte die Flaschen die Kellertreppe hinunterträgt oder warum sie so vehement darauf besteht, jeden Morgen Schulbrote zubereitet zu bekommen, wenn sie sie ja doch nicht isst.

Eine Weile schaue ich mir das an. Dann ist High Noon. Als ich sie bitte, die verkrusteten Müslischalen, die sie aus ihrem Zimmer in den Geschirrkreislauf zurückführt, nicht nur auf, sondern in die Spülmaschine zu stellen, nimmt sie mich ins Visier. Es ist einer jener Blicke, die man von jugendlichen S-Bahn-Fahrgästen geschenkt bekommt, wenn man sie bittet, den Ton ihres Handypornos etwas runterzuschrauben. Hinter ihrem platinblonden Pony starrt das Kind mich an, ihr Blick kommt direkt aus einem Höllenschlund. Und verdammt, jetzt tue ich, was ich hasse. Ich fange an zu schreien. Laut. Ausdauernd. Ich bin eine Megäre, die Türen schlagend durchs Haus stampft. Ich schreie "DU!!! DU!!!" Den Drang, die Pubertistin zu schütteln, kann ich ganz knapp unterdrücken. Unfassbar.

Es wird dann noch ein schöner Abend. Die Pubertistin hat jemanden gefunden, der ihr ihren Hass zurückgibt. Ich habe ihre Demütigungen schreitherapeutisch verarbeitet. Und bald darauf klingeln auch schon Oma und Opa. Das Kind ist jetzt ein zugewandter, liebenswürdiger Kleinmensch. Ich habe so gebrüllt, dass meine Stimmbänder hin sind. Ich koche eine Kanne Salbeitee und genieße still lächelnd den Anblick meiner vielversprechenden Tochter im Kreis der Familie.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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